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"Impfungen sind wie Versicherungen"

Mit den Impfungen gegen die Neue Grippe soll in den nächsten Tagen begonnen werden. 50 Millionen Dosen Pandemrix® sind geordert. Ganz oben auf der Liste der zu Impfenden stehen Risikogruppen wie Schwangere und chronisch Kranke einschließlich Kinder und Jugendliche mit Grunderkrankungen. Für Diskussionen sorgen dabei nicht nur der Impfstoff, sondern auch die STIKO-Empfehlungen. Wir haben mit dem STIKO-Mitglied Prof. Dr. Ulrich Heininger gesprochen, um mehr über die Hintergründe der Empfehlungen zu erfahren. Professor Heininger ist auch Vorsitzender der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, dem Dachverband der pädiatrischen Gesellschaften.
Prof. Dr. Ulrich Heininger, Basel
Foto: Aventis Pasteur MSD GmbHh Leimen

DAZ Herr Professor Heininger, die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin (DGKJ), Kinder und Jugendliche mit schweren Vorerkrankungen gegen die saisonale Grippe zu impfen, ist eindeutig. Wie sehen die konkreten Empfehlungen zur Neuen Grippe aus? Wann wird eine Impfung für notwendig erachtet?

Heininger:

Die Empfehlung der DGKJ lehnt sich eng an die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am RKI an, die eine Impfung von Kindern ab dem Alter von sechs Monaten empfiehlt, wenn sie ein erhöhtes Infektions- oder Komplikationsrisiko haben. Die DGKJ präzisiert die Empfehlung dahingehend, dass möglichst alle Kinder mit einer chronischen Grundkrankheit wie Asthma, Diabetes oder Herzerkrankungen nach individueller Prüfung gegen die Neue Grippe geimpft werden sollen. Dazu zählen auch immunsupprimierte Kinder. Grundvoraussetzung ist natürlich, dass die Eltern über Nutzen und Risiken der Impfung informiert werden, dass beispielsweise mit Lokalreaktionen an der Einstichstelle oder auch mit Fieber zu rechnen ist. Und auch mögliche seltene, schwere Komplikationen wie z. B. ein Guillain-Barré-Syndrom müssen angesprochen werden.


DAZ Welche Kinder sollten mit welchem Impfstoff geimpft werden? Im Moment wird ja wohl nur Pandemrix® zur Verfügung stehen. Gibt es Bedenken hinsichtlich der geringen Erfahrung mit dem neuen Adjuvans AS03?

Heininger:

Gegenüber dem neuen Adjuvans haben wir keine grundsätzlichen Bedenken. Die Daten, die im Zusammenhang mit dem präpandemischen Impfstoff von Pandemrix® gewonnen wurden, lassen keine signifikanten Probleme erwarten, auch bei Kindern und Jugendlichen nicht.

DAZ Nun rät ja die STIKO, Schwangere bis zum Vorliegen weiterer Daten nur mit adjuvanzienfreien Spaltimpfstoffen zu impfen. Gelten hier andere Maßstäbe?

Heininger:

Bei Schwangeren sind wir natürlich ganz besonders vorsichtig, weshalb die STIKO hier mit ihrer Impfempfehlung ein zusätzliches Sicherheitsnetz gezogen hat. Solange ein solcher Impfstoff nicht zur Verfügung stehen wird, besteht gemäß einer vorläufigen Empfehlung des Robert Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts auch die Möglichkeit, mit Pandemrix® zu impfen. Das ist von der Zulassung gedeckt.

DAZ Die Diskussion um das Adjuvans wird sicher auch mit Eltern von Kindern und Jugendlichen zu führen sein. Da die Antigen-haltige Suspension von Pandemrix® mit der Adjuvans-haltigen Emulsion vor dem Impfen gemischt werden muss, besteht theoretisch die Möglichkeit, nur mit einer erhöhten Dosierung der Antigen-haltigen Suspension zu impfen. beispielsweise mit einer vierfachen Dosierung. Was halten Sie von einem solchen Vorgehen?

Heininger:

Das kann ich wegen fehlender Studiendaten nicht empfehlen.

DAZ In einer Pressemitteilung der DGKJ wurde die Diskussion um den möglicherweise verträglicheren adjuvanzienfreien Ganzvirusimpfstoff Celvapan® angesprochen und darauf verwiesen, dass hierzu keine Studien bei Kindern und Jugendlichen vorliegen. Raten Sie grundsätzlich von der Ganzvirusvakzine Celvapan® ab oder gibt es Situationen, in denen Sie diesen Impfstoff bevorzugen würden?

Heininger:

Diese Frage stellt sich im Moment nicht, denn Celvapan® steht momentan nicht allgemein zur Verfügung. Sie wird zu stellen sein, wenn dieser Impfstoff in Deutschland auf den Markt käme.


DAZ Laut Fachinformation von Pandemrix® ist eine zweimalige Impfung für Kinder ab dem sechsten Monat im Abstand von mindestens drei Wochen möglich. Welchen Abstand empfehlen Sie, reicht unter Umständen auch eine einmalige Immunisierung?

Heininger:

Die zweimalige Impfung ist bis zum Alter von neun Jahren notwendig, das zeigen nicht nur die Studien, sondern entspricht auch den Erfahrungen, die man mit der Impfung gegen die saisonale Grippe gemacht hat. Der empfohlene Mindestabstand von drei Wochen zur zweiten Impfung sollte unbedingt eingehalten werden. Um einen raschen Schutz zu erreichen, sollte man allerdings auch nicht wesentlich länger als drei Wochen bis zur zweiten Impfdosis warten.

DAZ Empfohlen wird ja auch, Kinder mit Grundkrankheiten unverzüglich gegen die saisonale Grippe zu impfen. Sollte zuerst gegen die saisonale Grippe geimpft werden? Und wenn ja, in welchem Abstand ist eine Impfung gegen die Neue Grippe möglich?

Heininger:

Bei der Impfung gegen die Neue und die saisonale Grippe hat man alle Optionen. Man kann sowohl zuerst gegen die Neue als auch gegen die saisonale Grippe impfen. Idealerweise sollte jetzt so schnell wie möglich gegen die saisonale Grippe geimpft werden und dann unverzüglich gegen die Neue Grippe, wenn der Impfstoff zur Verfügung steht. Dabei gibt es keinen empfohlenen Mindestabstand, selbst eine Simultanimpfung an verschiedenen Injektionsstellen ist möglich, aber nicht das Vorgehen der Wahl, weil im Falle von unerwünschten Ereignissen eine Zuordnung zum jeweiligen Impfstoff schwierig bis unmöglich ist.

DAZ Da scheint die Bundeswehr etwas vorsichtiger zu sein. Vor dem Hintergrund der umfassenden Impfungen, die Bundeswehrsoldaten erhalten müssen, setzt man hier auf den adjuvanzienfreien Impfstoff Celvapan® , um Interaktionen zu umgehen. Befürchten Sie nicht, dass bei simultaner oder zeitnaher Impfung das in Pandemrix® enthaltene Adjuvans eine überschießende Immunreaktion oder andere schwere Nebenwirkungen hervorruft?

Heininger:

Warum die Bundeswehr sich für diesen Impfstoff entschieden hat, ist mir nicht bekannt. Aber, nein, dass das in Pandemrix® enthaltene Adjuvans eine überschießende Immunreaktion oder andere schwere Nebenwirkungen hervorrufen würde, erwarten wir nicht.


DAZ Es gibt viele ungeklärte Fragen rund um die Impfung. Selbst medizinisch vorgebildete Menschen sind verwirrt. Ist die Impfung gegen die Neue Grippe bei dem doch noch harmlosen Verlauf und den vielen Sicherheitsbedenken unbedingt erforderlich?

Heininger:

Es ist richtig, dass bislang zum Glück keine besonders schweren Verläufe an Neuer Grippe bei uns in Deutschland zu verzeichnen waren. Wohl aber in anderen Ländern, was zeigt, dass das Virus dazu grundsätzlich in der Lage ist und sich die Lage auch bei uns jederzeit ändern kann. Impfungen sind wie Versicherungen: wer sein individuelles Risiko, schwer zu erkranken, reduzieren möchte, ist mit der Impfung gut beraten.

DAZ Herr Professor Heininger, wir danken Ihnen für das Gespräch!



Prof. Dr. Ulrich Heininger UKBB, Universitäts-Kinderspital beider Basel, Postfach CH-4005 Basel

Interview: Dr. Doris Uhl, Stuttgart


Liebe Bundesregierung ...


Die Meldungen, Kommentare und Empfehlungen zur Impfung gegen die Schweinegrippe überschlagen sich und tragen eher zur Verwirrung als zur Erhellung bei. So auch ein Kommentar von Friederike Krumme vom NDR am 19. Oktober 2009 in den Tagesthemen. Auch sie beklagt das Informationschaos und schließt dann Ihre Ausführungen:

"Liebe Bundesregierung, was halten Sie davon, Ihren speziellen Impfstoff Schwangeren und Kindern zur Verfügung zu stellen, damit diese schnell und besonders risikoarm geimpft werden können?"

Bei dem speziellen Impfstoff der Bundesregierung handelt es sich um den inaktivierten Ganzvirusimpfstoff Celvapan® , mit dem nicht nur keine Erfahrungen bei Schwangeren vorliegen, er wurde auch nicht bei Kindern und Jugendlichen untersucht. Inaktivierte Ganzvirusimpfstoffe enthalten neben den wichtigen Impfantigenen alle Bestandteile des Virus und gelten als hoch reaktogen. Sie sind schlechter verträglich als Spaltimpfstoffe. Celvapan® ist daher sicher keine gute Alternative für chronisch kranke Kinder.

Und den Schwangeren empfiehlt die STIKO ganz bewusst nicht-adjuvantierte Spaltimpfstoffe, denn mit ihnen ist man eher auf der sicheren Seite.

Wenn die Kommentatorin der Ansicht ist, dass es sich bei dem Impfstoff der Bundesregierung um einen besonders risikoarmen Impfstoff handelt, kann sie nur von der Annahme ausgehen, dass die Bundesregierung für sich etwas Besseres geordert hat. Doch das ist keineswegs sicher. Also liebe Bundesregierung, behalte deinen Impfstoff so lange, bis wirklich klar ist, ob Kindern und Schwangeren damit etwas Gutes getan wird.


Doris Uhl

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