Arzneimittel und Therapie

Agomelatin bessert die Stimmungslage und den Schlaf

Agomelatin (Valdoxan®) ist ein Melatoninagonist, der zur Behandlung von Episoden einer Major Depression zugelassen ist und nun in Deutschland eingeführt wurde. Er wirkt als Agonist an Melatonin (MT1 - und MT2 -)-Rezeptoren sowie als Antagonist an 5-HT2c -Rezeptoren. Als melatonerges Antidepressivum verbessert es Kernsymptome einer Depression, verkürzt die Einschlafzeit und beeinflusst die Schlafqualität sowie die zirkadiane Rhythmik positiv, die bei Depressionen oft gestört ist. Dabei wirkt es nicht sedierend.
Unerwünschte Wirkungen von Antidepressiva hängen mit der Neurotransmitteraktivität und der Rezeptorbindung zusammen. Agomelatin wirkt als Agonist an MT1 - und MT2 -Rezeptoren und als Antagonist an 5-HT2C -Rezeptoren. Es hat keinen Effekt auf die Monoaminaufnahme und weist keine Affinität zu alpha- und beta-adrenergen, histaminergen, cholinergen, dopaminergen und Benzodiazepin-Rezeptoren auf. Agomelatin erhöht die Freisetzung von Noradrenalin und Dopamin und hat keinen Einfluss auf den extrazellulären Serotoninspiegel. In Studien blieb unter Agomelatin die sexuelle Funktion erhalten, es verhielt sich in Bezug auf Körpergewicht, Herzfrequenz und Blutdruck neutral.

Auch der Mensch hat seine physiologischen Prozesse auf den natürlichen Hell-Dunkel-Wechsel abgestimmt. Das zirkadiane System, die innere Uhr, besteht aus drei Komponenten: Schaltzentrale ist der Nucleus suprachiasmaticus, ein Teil des vorderen Hypothalamus. Er hat Schrittmacheraktivität und generiert unabhängig von Umgebungsreizen einen 24-Stunden-Rhythmus. Über das Auge wird der exogene Taktgeber, das Tageslicht, als elektrischer Reiz an den N. suprachiasmaticus weitergeleitet. Als endogener Botenstoff fungiert das Neurohormon Melatonin, das in der Epiphyse aus Serotonin synthetisiert wird und selbst der Tagesperiodik unterliegt: Mit Beginn der Dämmerung wird es in Dunkelheit produziert, nicht jedoch bei Tageslicht. Viele der physiologischen und psychologischen Vorgänge im Körper hängen direkt mit der zirkadianen Rhythmik zusammen. Die Körpertemperatur unterliegt ebenso tageszeitlichen Schwankungen wie der Blutdruck oder die Ausschüttung verschiedener Hormone. Auch Stimmung und Schlaf sind direkt mit der inneren Uhr verbunden. Ist der Taktgeber gestört, können innere Stresssituationen die Folge sein, die neuroendokrine Veränderungen initiieren und schließlich zur Depression führen können. Andererseits kann auch eine Depression zur Veränderung der Rhythmik führen. Bei Depressiven sind die Schwankungen der Körpertemperatur über den Tag weniger ausgeprägt und im Schlaf sinkt die Körpertemperatur weniger ab. Es scheint eine wechselseitige Beeinflussung von Schlaf-Wach-Rhythmus und Stimmungslage zu geben: Beides kann sich gegenseitig bedingen, wobei die auslösende Ursache häufig nicht genau zu benennen ist. Antidepressiva können als unerwünschte Wirkung das Schlafmuster beeinflussen. Bupropion, Fluoxetin und Reboxetin führen häufig zu Schlafstörungen und Agitation. Bekannt sind diese Nebenwirkungen bei Duloxetin, Escitalopram, Paroxetin, Sertralin und Venlafaxin. Mirtazapin fördert den Schlaf, kann aber durch eine sedierende Komponente zu Benommenheit und Tagesmüdigkeit führen. Zudem ist eine Gewichtszunahme unter Mirtazapin nicht selten. Der Melatoninagonist und spezifische 5-HT2c -Antagonist Agomelatin besitzt antidepressive Eigenschaften und resynchronisiert die gestörte zirkadiane Rhythmik, ohne zu sedieren. Dies zeigte sich in Studien über sechs Wochen, in denen die zu Beginn deutlich gestörte Schlafarchitektur mit Agomelatin wieder hergestellt werden konnte: die Einschlafzeit und die Zeit bis zum Herzfrequenzminimum wurde verkürzt, der Tiefschlaf verbesserte sich, ohne dass der REM-Schlaf beeinflusst wurde. Nach Beurteilung der Patienten trat keine Tagesmüdigkeit auf.

Die innere Rhythmik resynchronisieren

Agomelatin bindet als selektiver und spezifischer Agonist an Melatoninrezeptoren vom Typ MT1 und MT2 im Nucleus suprachiasmaticus des Hypothalamus, dem Sitz der inneren Uhr. Diese beiden Rezeptorsubtypen sind verantwortlich für die Funktion von Melatonin bei der Regulation des zirkadianen Rhythmus. Agomelatin wirkt gleichzeitig auch als kompetitiver Antagonist an Serotoninrezeptoren (5-HT2C und 5-HT2B) und erhöht die Freisetzung von Noradrenalin und Dopamin speziell im präfrontalen Cortex. In Studien besserte Agomelatin die depressive Kernsymptomatik und normalisierte den zirkadianen Rhythmus.

Die Zulassung von Agomelatin für Europa basiert auf den Ergebnissen klinischer Studien mit fast 5800 erwachsenen Patienten mit Depressionen, von denen 3900 mit 25 bis 50 mg Agomelatin täglich über einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen behandelt wurden. In diesen Studien war Agomelatin teilweise statistisch signifikant besser antidepressiv wirksam als Placebo und vergleichbar wirksam wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), teilweise konnte kein Unterschied zu Placebo gezeigt werden. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Übelkeit und Schwindel. Sie waren in der Regel leicht bis mäßig und meistens vorübergehend. In einer Langzeitstudie zur Rückfallprävention wurde der Erhalt der antidepressiven Wirksamkeit gezeigt. Patienten, die auf eine acht- bzw. zehnwöchige Akutbehandlung mit 25 bis 50 mg Agomelatin ansprachen, wurden für weitere sechs Monate entweder auf Agomelatin oder Placebo randomisiert. Es zeigte sich eine statistisch signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo bezogen auf das primäre Zielkriterium (Prävention eines depressiven Rückfalls), gemessen als Zeit bis zum Auftreten eines Rückfalls. Zu Rückfällen kam es unter Agomelatin bei 22% und unter Placebo bei 47% der Patienten.

Dosierung, Art und Dauer der Anwendung

Die empfohlene Dosis beträgt 25 mg Agomelatin und soll einmal täglich unabhängig von den Mahlzeiten vor dem Schlafengehen eingenommen werden. Die Bioverfügbarkeit und die Resorptionsrate werden durch Nahrungsaufnahme nicht beeinflusst. Die Dosis kann auf 50 mg erhöht werden, wenn nach zweiwöchiger Behandlung keine Besserung eingetreten ist. Patienten mit einer Depression sollen über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten behandelt werden um sicherzustellen, dass sie symptomfrei sind. Beim Absetzen ist kein Ausschleichen der Dosis erforderlich. Für die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen wird Agomelatin nicht empfohlen, weil Daten zur Unbedenklichkeit und Wirksamkeit fehlen. Auch zur Anwendung bei älteren Patienten liegen nur begrenzt klinische Daten vor, so dass hier Vorsicht geboten ist.

Regelmäßig Leberfunktionstests durchführen

Agomelatin wird hauptsächlich (zu 90%) durch Cytochrom P450 1A2 (CYP1A2) und durch CYP2C9/2C19 (10%) metabolisiert. Arzneimittel, die mit diesen Isoenzymen interagieren, können die Bioverfügbarkeit von Agomelatin entweder vermindern oder verstärken. Daher ist die gleichzeitige Anwendung von Agomelatin und starken CYP1A2-Inhibitoren (z. B. Fluvoxamin, Ciprofloxacin) kontraindiziert. Die Kombination von Agomelatin mit Östrogenen (mäßige CYP1A2-Inhibitoren) führt zu einer mehrfach erhöhten Agomelatinexposition; die gleichzeitige Anwendung von mäßigen CYP1A2-Inhibitoren (z.B. Propranolol, Grepafloxacin, Enoxacin) sollte mit Vorsicht erfolgen. Agomelatin induziert oder hemmt CYP450-Isoenzyme nicht. Daher hat es keinen Einfluss auf die Exposition anderer Arzneimittel, die durch Cytochrom P450 metabolisiert werden. In klinischen Studien traten unter Agomelatin erhöhte Transaminasenwerte auf, vor allem bei der 50-mg-Dosierung, die nach dem Absetzen gewöhnlich auf normale Werte zurückgingen. Bei allen Patienten sollten zu Beginn der Behandlung und danach regelmäßig Leberfunktionstests durchgeführt werden Die Behandlung sollte abgesetzt werden, wenn der Anstieg der Transaminasen das Dreifache des oberen Normbereichs überschreitet. Bei der Anwendung von Agomelatin bei Patienten, die viel Alkohol konsumieren oder mit Arzneimitteln behandelt werden, die zu einer Leberschädigung führen können, ist Vorsicht geboten.

 

Quelle

Fachinformation Valdoxan, Stand Februar 2009.

 

Prof. Dr. Göran Hajak, Regensburg; Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, München; Prof. Dr. Gerd Laux, Wasserburg; Prof. Dr. Eberhard Fuchs, Göttingen: "Valdoxan - Aufbruch in eine neue Dimension der Depressionsbehandlung", München, 25. April 2009, veranstaltet von der Servier Deutschland GmbH, München.

 

ck

Steckbrief: Agomelatin

Handelsname: Valdoxan
Hersteller: Servier Deutschland, München
Einführungsdatum: 1. April 2009
Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 25 mg Agomelatin. Sonstige Bestandteile: Tablettenkern: Lactose-Monohydrat, Maisstärke, Povidon (K30), Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A) (Ph. Eur.), Stearinsäure (Ph. Eur.), Magnesiumstearat (Ph. Eur.), hochdisperses Siliciumdioxid. Filmüberzug: Hypromellose, Eisen(III)-hydroxid-oxid × H2 O (E 172), Glycerol, Macrogol 6000, Magnesiumstearat (Ph. Eur.), Titandioxid (E 171).
Packungsgrößen, Preise und PZN: 28 Filmtabletten, 64,93 Euro, PZN 9003879; 98 Filmtabletten, 203,18 Euro, PZN 9003885. Kosten pro Jahr: 714,88 Euro.
Stoffklasse: Antidepressiva; Melatoninagonist. ATC-Code: NO6AX22.
Indikation: Behandlung von Episoden einer Major Depression bei Erwachsenen.
Dosierung: 25 mg einmal täglich unabhängig von den Mahlzeiten beim Zubettgehen, kann auf einmal täglich 50 mg (zwei Tabletten à 25 mg) beim Zubettgehen erhöht werden.
Gegenanzeigen: Eingeschränkte Leberfunktion (d. h. Leberzirrhose oder aktive Lebererkrankung); gleichzeitige Anwendung von starken CYP1A2-Inhibitoren (z. B. Fluvoxamin, Ciprofloxacin).
Nebenwirkungen: Häufig: Kopfschmerzen, Schwindel, Schläfrigkeit, Schlaflosigkeit, Migräne; Übelkeit, Diarrhö, Obstipation, Oberbauchschmerzen; vermehrtes Schwitzen; Rückenschmerzen; Müdigkeit; erhöhte AST- und/oder ALT-Werte Angst. Häufigkeit nicht bekannt: Suizidgedanken oder suizidales Verhalten.
Wechselwirkungen: Arzneimittel, die mit den Cytochrom-P450-Isoenzymen 1A2 und durch CYP2C9/2C19 interagieren, können die Bioverfügbarkeit von Agomelatin entweder vermindern oder verstärken; daher ist die gleichzeitige Anwendung von Agomelatin und starken CYP1A2-Inhibitoren kontraindiziert; die gleichzeitige Anwendung von Agomelatin und mäßigen CYP1A2-Inhibitoren sollte mit Vorsicht erfolgen. Die gleichzeitige Einnahme von Agomelatin und Alkohol ist nicht ratsam.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Patienten mit suizidalem Verhalten in der Anamnese oder solche, die vor der Therapie ausgeprägte Suizidabsichten hatten, sollten während der Behandlung besonders sorgfältig überwacht werden. Bei Patienten mit Manie oder Hypomanie in der Anamnese sollte Agomelatin mit Vorsicht eingesetzt werden. Bei allen Patienten sollten zu Beginn der Behandlung und danach regelmäßig Leberfunktionstests durchgeführt werden; die Behandlung sollte abgesetzt werden, wenn der Anstieg der Transaminasen das Dreifache des oberen Normbereichs überschreitet oder eine Gelbsucht auftritt; bei der Anwendung von Agomelatin bei Patienten, die beträchtliche Mengen Alkohol konsumieren oder mit Arzneimitteln behandelt werden, die zu einer Leberschädigung führen können, ist Vorsicht geboten. Da Schwindelgefühl und Schläfrigkeit häufige Nebenwirkungen sind, sollten Patienten auf ihre möglicherweise eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit und Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen hingewiesen werden.

1 Kommentar

Valdoxan und Tavor

von Hostert am 18.12.2019 um 17:56 Uhr

Kann man die zusammen einnehmen?

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