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Zirkadiane Rhythmen: Die innere und die äußere Uhr

Der ewige Lauf der Dinge wird rhythmisch geteilt in Jahreszeiten und in Tage und Nächte. Diese geophysikalischen Konstanten prägen die inneren Uhren des Menschen, der Tiere und Pflanzen. Selbst bei niederen Lebewesen bis hin zu Bakterien sind innere Uhren gefunden worden. Jetzt konnten sogar in Herz, Leber und Niere organspezifische Uhren identifiziert werden.

Als die deutsche Fußballnationalmannschaft in Japan ankam, war die Zeitumstellung ihr erster großer Gegner. Nach zwei Stunden Schlaf begann der neue Tag in Fernost. Die strikte Anweisung an die Spieler lautete, sich sofort dem neuen Tagesrhythmus anzupassen und auf keinen Fall tagsüber zu schlafen. Nur so könne der Tageslauf am schnellsten von Körper und Geist angenommen werden. Dieses jedem Überseeflugreisenden als Jetlag bekannte Phänomen zeigt sehr anschaulich, dass der Körper auf den Tag-Nacht-Rhythmus als Zeitgeber merklich reagiert, wenn er aus dem Takt gebracht wird.

In Leber und Herz gehen die Uhren anders

Die innere Uhr ist allerdings keine homogene Unruh, die für alle Zellen und Gewebe denselben Takt vorgibt. In den inneren Organen ticken eigene Uhren. So ändert sich die Frequenz des Herzschlags im Tagesverlauf, die Niere variiert den Transport von Ionen und Elektrolyten, und die Leber die Produktion von Zucker- und Fettmolekülen. Diese zirkadianen Rhythmen sind genetisch bestimmt. Jetzt ist es gelungen, sie näher zu analysieren.

Charles Weitz und Kai-Florian Storch von der Harvard Medical School haben an Mäusen 12 000 Gene (ein Drittel des gesamten Maus-Genoms) auf ihre Aktivität in Herz und Leber untersucht. Mit Hilfe eines mathematischen Modells errechneten sie, dass acht bzw. zehn Prozent dieser Gene in ihrer Aktivität rhythmisch schwanken – sehr viel mehr, als erwartet wurde.

Von den 460 bzw. 600 Genen, deren Aktivität in Herz bzw. Leber eindeutig als zirkadian erkannt wurde, waren allerdings nur 37 identisch. Die meisten davon sind aus der Uhr des Gehirns bekannt. Das lässt darauf schließen, dass sie zu einer Art Kernkomponente aller inneren Uhren gehören.

Die zirkadiane Genexpression in Leber und Herz zeigt sehr unterschiedliche Rhythmen: Beim Herzen ist sie am Vormittag am höchsten, und in der Leber hat sie, über den Tag verteilt, mehrere Maxima. So entgiftet die Leber den Alkohol am effizientesten zwischen 17.00 und 18.00 Uhr. Merkwürdigerweise erwiesen sich die unterschiedlichen Gene der beiden Organe funktionell als sehr ähnlich. Sie sind jeweils an denselben Aufgaben der Kommunikation, des Signaltransports, des Stoffwechsels und der Apoptose beteiligt.

Synchronisation der inneren Uhr

Die innere Uhr des Menschen liegt sehr häufig bei einer Periodenlänge von 25 Stunden. Damit der Rhythmus einen Sinn macht, wird er über den Reiz des Tageslichts eingestellt bzw. synchronisiert. Die für die Synchronisation zuständige zentrale Steuereinheit im Gehirn ist der Nucleus suprachiasmaticus (SCN). Er regelt die Produktion von Melatonin in der Epiphyse (Zirbeldrüse). Das Hormon bewirkt die Senkung der Körpertemperatur, der Mensch wird schläfrig. Wir wachen auf, wenn das Melatonin wieder abgebaut wird und Cortisol und Adrenocorticotropin (ACTH) akkumuliert werden.

Der SCN erhält für seine Steuerungsfunktion

  • ein direktes Signal des Tageslichts von 500 nm Wellenlänge über die Netzhaut des Auges und den retinohypothalamischen Trakt (RHT),
  • ein indirektes Lichtsignal über das Intergeniculate Leaflet (IG) im Corpus geniculatum laterale (seitlicher Kniehöcker), das als Schaltstelle der zentralen Sehbahn fungiert, und
  • ein drittes, ebenfalls indirektes Signal durch Serotonin über den Nucleus raphe (dieser Weg wurde durch die Gabe des Serotonin-Antagonisten Quipazin nachgewiesen).

Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Stickstoffmonoxid (NO) an der Verarbeitung von Lichtsignalen beteiligt ist.

Künstliche Eingriffe in den Rhythmus

In Versuchen am Europäischen Feldhamster (Cricetus cricetus) wurde entdeckt, dass es auch nicht-photische Synchronisationen gibt. Das zirkadiane System kann zum Beispiel auch durch Käfigwechsel oder den reglementierten Zugang zum Laufrad im Käfig geregelt werden. Solche Stimuli beeinflussen das System über die Steigerung der motorischen Aktivität oder des allgemeinen Erregungszustandes. An Ratten wurde gezeigt, dass veränderte Haltungsbedingungen die Periodenlänge beeinflussen können.

Die Untersuchung der zirkadianen Rhythmik ist nicht zuletzt aus pharmakologischer Sicht sehr interessant. Erhofft man sich doch irgendwann, auf das Verhalten medikamentös einwirken zu können. Denkbar sind Wirkstoffe gegen den Jetlag und gegen die unangenehmen Begleiterscheinungen der Schichtarbeit. Auch die Behandlung von Schlafstörungen und Depressionen werden hier ins Auge gefasst. In den USA werden bereits Melatonin-Pillen in Gesundheitsläden verkauft, die für ein besseres Einschlafen sorgen sollen.

Gesundheitliche Gefahren

Langzeitstudien an Stewardessen haben gezeigt, dass ohne ausreichende Ruhephasen nach einem Jetlag Teile des Cortex und des Hippokampus zu schrumpfen beginnen. Das sind immerhin die Teile des Gehirns, die für Denken und Lernen zuständig sind. Die untersuchten Flugbegleiterinnen reagierten mit einer verminderten Gedächtnisleistung und der Ausschüttung von Cortisol, wenn sie mehr als sieben Zeitzonen überflogen und gleichzeitig weniger als fünf Tage zum Ausruhen hatten. Trotz der Schwierigkeiten mit der Zeitumstellung zeigen die Fußballer in Fernost hoffentlich auch weiterhin Leistung.

Kastentext: Endogene Oszillationen

Zirkadiane Rhythmik ist die von Franz Halberg 1954 eingeführte Bezeichnung für eine biologische Dynamik, die durch endogene Oszillation metabolischer oder physiologischer Aktivität oder des Verhaltens mit einer Periodizität von ungefähr 24 (20 bis 28) Stunden verursacht wird. Sie ist unabhängig von externen Faktoren, weil sie genetisch gesteuert wird. Im natürlichen Tag-Nacht-Wechsel wird sie auf 24 Stunden synchronisiert. Durch Einnahme von Melatonin, dem von der Epiphyse produzierten "Schlafhormon", kann der Rhythmus gezielt verschoben werden.

Kastentext: Aschoff-Regel

Der zirkadiane Rhythmus ist bei tagaktiven Organismen meistens etwas länger als 24 Stunden, bei nachtaktiven etwas kürzer.

Kastentext: Ein Prinzip des Lebens

Zirkadiane Rhythmen lassen sich bei fast allen Organismen, vom Bakterium bis zum Menschen nachweisen. Sie stellen eine Anpassung des Organismus an die regelmäßigen geophysikalischen Veränderungen der Umwelt dar.

Kastentext: Frühaufsteher und Nachteulen

Die Melatonin-Rezeptoren von Ratten zeigen bei der Affinität zum Melatonin deutliche stammesspezifische Unterschiede. Vielleicht erklärt das die Unterscheidung der Menschen in morgens putzmuntere Frühaufsteher und Nachteulen, die einfach nicht aus dem Bett kommen.

Kastentext: SCN

Der Nucleus suprachiasmaticus (SCN) ist die zentrale Steuereinheit in einem digitalen Regelkreis. Er regelt viele Körperfunktionen. Dazu zählen die Körpertemperatur, die Melatonin-Sekretion und die Aktivität. Letztere beeinflussen den SCN ihrerseits wieder über noch nicht verstandene Rückkopplungsmechanismen.

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