Regionale Unterschiede beim Zugang zu Innovationen

Arzneimittel-Atlas beleuchtet die Arzneimittelversorgung und ihre Kosten im Jahr 2008

Berlin (ks). Im Jahr 2008 haben die gesetzlichen Krankenkassen 29,2 Mrd. Euro für Fertigarzneimittel und Impfstoffe ausgegeben. Das waren 1,5 Mrd. Euro oder 5,3% mehr als im Vorjahr. Berücksichtigt man überdies die Einsparungen aus individuellen Rabattverträgen zwischen Kassen und Herstellern, so liegt die Ausgabensteigerung gegenüber 2007 bei 4,1%. Hinter dem Zuwachs steckt vor allem ein höherer Arzneimittelverbrauch. Dies geht aus dem "Arzneimittel-Atlas 2009" hervor, den das Berliner IGES-Institut im Auftrag des Verbands forschender Pharmaunternehmen (vfa) erstellt und am 23. Juli in Berlin präsentiert hat.

Seit nunmehr vier Jahren erscheint der Arzneimittel-Atlas. Angetreten ist er mit dem Ziel, die Entwicklungen im GKV-Arzneimittelmarkt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten als etwa der altgediente Arzneiverordnungs-Report. Und so bemühte sich IGES-Chef Bertram Häussler bei der Vorstellung der frischen Publikation, die Ausgabensteigerung möglichst undramatisch darzustellen: Von einer "Explosion" könne keine Rede sein, insgesamt zeichne die Entwicklung der GKV-Gesamtausgaben ein eher "ruhiges Bild". Seit 1998 sind die Ausgaben der Kassen für Medikamente nahezu kontinuierlich um rund 1,4 Mrd. Euro pro Jahr angestiegen – vor zehn Jahren belief sich dieser Kostenblock noch auf 17,7 Mrd. Euro. Ausreißer zeigten sich nur in den Jahren 2004 und 2005; nachdem die nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel 2004 aus dem GKV-Leistungskatalog ausgeschlossen wurden, fielen die Ausgaben zunächst in den Keller, schnellten im Jahr darauf aber wieder kräftig nach oben.

Rabattverträge entlasten

Während in anderen Analysen zumeist die patentgeschützten Präparate als Ausgabentreiber ausgemacht werden, macht der Arzneimittel-Atlas in erster Linie den steigenden Verbrauch für den Kostenanstieg verantwortlich. Er sorgte für zusätzliche Umsätze von knapp 1,8 Mrd. Euro. Davon gingen rund zwei Drittel in die Grundversorgung, also die Behandlung von Volkskrankheiten, und ein Drittel in die Spezialversorgung. Bei der Grundversorgung sieht Häussler langsam die Sättigungsgrenze erreicht – hier habe man in den vergangenen Jahren erfolgreich Unterversorgung abbauen können. Neben der Verbrauchskomponente sorgten auch Innovationskomponenten für Mehrausgaben. Sie ließen die Arzneimittelausgaben 2008 allerdings nur um vergleichsweise bescheidene 384 Mio. Euro anwachsen. Für Einsparungen sorgten auf der anderen Seite unter anderem Parallelimporte, Generika und Preissenkungen. Auch die Rabattverträge bescherten den Kassen eine Entlastung. Ohne sie hätten die Kassen im vergangenen Jahr 675 Mrd. Euro mehr ausgegeben, erklärte Häussler – diese Summe sei in den Jahren 2007 (330 Mio. Euro) und 2008 (345 Mio. Euro) aufgelaufen. Laut Arzneimittel-Atlas hat die Knappschaft Bahn See am erfolgreichsten Rabatte ausgehandelt. 28,3% ihrer Arzneimittelumsätze stehen unter Rabatt. Bei den AOKen waren es lediglich 17,7%, die BKKen bilden mit 14,8% das Schlusslicht.

Was der Arzneimittel-Atlas auch zeigt: In den einzelnen Regionen Deutschlands gibt es starke Unterschiede im Arzneimittelverbrauch. Dies ist eigentlich nichts Neues – von jeher weisen die einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) divergierende Pro-Kopf-Arzneimittelausgaben auf. Sie reichten 2008 von knapp 387 Euro in Bayern bis zu 499 Euro in Mecklenburg-Vorpommern – dies ist immerhin ein Schwankungsbereich von 112 Euro. Häussler zufolge sagen diese Zahlen aber noch wenig über die Wirtschaftlichkeit in den Regionen aus. Nötig sei vielmehr, auch das Alter und die Morbidität – etwa über den Body-Mass-Index – der Versicherten zu erfassen. Und genau dies macht der Atlas. Selbst dann gibt es noch regionale Unterschiede – aber die Schwankungsbreite liegt nur noch bei rund 40 Euro. Die höchsten Arzneiausgaben pro Kopf hat nach dieser Berechnung – aus der die Stadtstaaten Berlin und Hamburg sowie die sie umgebenden Flächenländer Brandenburg und Schleswig-Holstein herausgehalten wurden – die KV Baden-Württemberg, die niedrigsten haben Bremen und Hessen.

Mit dem vfa als Auftraggeber nahm das IGES selbstverständlich die Versorgung mit innovativen Arzneimitteln genauer unter die Lupe. Auch hier wirken die bloßen Zahlen bescheiden. Nur 6% der 2008 verschriebenen Arzneimittel waren in den letzten fünf Jahren auf den Markt gekommen – sie wurden vor allem in der Spezialversorgung eingesetzt. In der Grundversorgung ist sogar nicht einmal jede hundertste Tagesdosis eine Innovation, in Bremen ist es sogar nur jede zweihundertste, in Niedersachsen sind von 100 Tagesdosen 0,76 neuen Arzneimitteln vorbehalten. In Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ist der Anteil von Innovationen in der Grundversorgung dagegen etwas höher als im Bundesdurchschnitt. Häussler führt diese Abweichungen auf einen unterschiedlichen Gebrauch von Regulierungsinstrumenten zurück. Denn gerade in den Bundesländern, welche die Verordnung von neuen Arzneimitteln stärker begrenzen, steige der Verbrauch deutlich, sobald diese generisch geworden sind. "Das zeigt, dass Ärzte diese neuen Arzneimittel keinesfalls für verzichtbar halten, sie aber aus Kostengründen zeitlich verzögert den Patienten zugute kommen", schlussfolgert Häussler.

Der vfa-Vorsitzende Wolfgang Plischke sieht den geringen Innovationsanteil in Deutschland kritisch und verweist auf europäische Länder wie Frankreich, Spanien und Italien, wo neue ‚Arzneimittel einen Anteil von rund 13% an den Arzneiausgaben hätten. Den derzeit immer wieder zu hörenden Vorwurf, gentechnisch hergestellte Arzneimittel entwickelten sich zum Kostentreiber Nummer eins, wies Plischke zurück. Der Anteil dieser Präparate an den Arzneimittelkosten sei von 2007 auf 2008 gerade einmal von 13,2% auf 13,8%, bzw. von 3,5 auf 3,9 Mrd. Euro gestiegen. Dies sei im Rahmen der Gesamtkosten noch immer "adäquat", so Plischke.

Der Arzneimittel-Atlas 2009 wird am 20. August als gebundenes Buch erscheinen. Vorab können Auszüge unter www.arzneimittel-atlas.de heruntergeladen werden.

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