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Arzneimittelausgaben bleiben im Zaum

BERLIN (ks). Das für 2011 vorhergesagte Milliardendefizit in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist ausgeblieben. Dafür haben zum einen die Spargesetze der Regierungskoalition gesorgt, zum anderen die wirtschaftliche Lage, die für mehr Einnahmen sorgte als erwartet. Einen wesentlichen Anteil an den Überschüssen der Kassen haben die Arzneimittel: Für sie sind die Ausgaben im Jahr 2011 spürbar gesunken, 2010 stagnierten sie nahezu. Die forschenden Pharmaunternehmen nutzen die Gunst der Stunde, die Regierung daran zu erinnern, dass erhöhte Zwangsrabatte nur ein Notfallinstrument seien, das obsolet werde, wenn die Geschäftsgrundlage hierfür entfalle.
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Arzneimittelausgaben Sie sind spürbar gesunken – die Kassen haben Überschüsse.

Wenige Tage bevor in dieser Woche der Arzneiverordnungsreport 2011 vorgestellt wird (nach DAZ-Redaktionsschluss), präsentierte der Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) den in seinem Auftrag erstellten Arzneimittelatlas 2011. Bereits im sechsten Jahr beleuchtet diese vom Berliner IGES-Institut und dessen Leiter Prof. Bertram Häussler herausgegebene Studie die Arzneimittelausgaben indikationsspezifisch und befasst sich mit der Frage, was genau für Mehr- und was für Minderausgaben sorgt. Die zugrunde gelegten Daten stammen von Insight Health sowie aus dem Bundesgesundheitsministerium.

Dieses Jahr konnte Häussler für das Autorenteam gute Nachrichten verkünden: 2010 betrugen die Ausgaben der GKV für Arzneimittel nur 177 Mio. Euro mehr als im Vorjahr, nämlich 30,2 Mrd. Euro. "Das ist sensationell niedrig", so Häussler. Die Steigerungsrate lag bei 0,6 Prozent – 2009 betrug sie noch 5,7 Prozent.

Zwangsrabatte und Preismoratorium wirken

Für Arznei- und Verbandmittel aus Apotheken belief sich der Umsatz 2010 auf 32,8 Mrd. Euro und lag damit um 1.038 Mio. bzw. 3,3 Prozent höher als 2009. Im Vorjahr lag das Umsatzplus noch bei 1.664 Mio. Euro. Insbesondere das seit 1. August 2010 geltende GKV-Änderungsgesetz, sorgte mit seinem Preismoratorium und dem auf 16 Prozent angehobenen Herstellerabschlag für Entlastung bei den Kassen. Die Rabatte der Hersteller waren mit insgesamt 2.876 Mio. Euro um 1.095 Mio. Euro höher als im Vorjahr. Dazu trugen die erhöhten Abschläge und das Preismoratorium zu rund zwei Dritteln bei, die vertraglichen Rabatte zu etwa einem Drittel.

Doch allen Einsparungen zum Trotz stiegen die Arzneimittelausgaben eben doch um 0,6 Prozent. So schlug der schlichte Mehrverbrauch mit 899 Mio. Euro zu Buche, die Innovationskomponente mit 482 Mio. Euro. Dabei sind die Mehrausgaben durch Mehrverbrauch seit vier Jahren rückläufig. Häussler erklärt dies damit, dass die GKV-Versicherten in großen Indikationsgruppen zunehmend ausreichend versorgt seien. "Es ist zu erwarten, dass dieser Prozess weitergeht." Besonderes Augenmerk legte Häussler auch darauf, dass die vielfach kritisch beobachteten Krebsarzneimittel eine moderate Entwicklung aufzeigen. Hier betrugen die Mehrausgaben 2010 weniger als 10 Mio. Euro. "Damit sind diese Arzneimittel vom Vorwurf der systemsprengenden Wirkung entlastet". Häussler betonte, dass viele neue Arzneimittel von vornherein nur kleine Patientengruppen erreichten. Daher sei hier schnell eine Sättigung erreicht.


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Birgit Fischer Der Zwangsrabatt für die Industrie ist folgenschwer.

Fischer: Erhöhten Zwangsrabatt überprüfen

Für die vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer sind die im Arzneimittel-Atlas zusammengetragenen Fakten eine "wichtige Arbeitsgrundlage für Entscheidungen". Und von denen stehen aus ihrer Sicht einige an. Erneut appellierte Fischer an die Politik, die erhöhten Zwangsrabatte zu überprüfen. In einer Notsituation könnten besondere Maßnahmen wie ein Zwangsrabatt erforderlich sein. Aber ein solcher lasse sich nicht unter allen Umständen rechtfertigen und aufrechterhalten. Wenn sich die Grundlagen änderten, müsse man auch sehen, ob man an der Maßnahme etwas ändere. Schließlich sei der Rabatt zwar wirkungsvoll für die Kassen, aber auch folgenschwer für die Industrie. Man brauche eine "Balance zwischen notwendigen Investitionen für die Erforschung neuer Arzneimittel und den Therapiekosten für Patienten", so Fischer. Zudem ist die vfa-Chefin überzeugt, dass andere Maßnahmen – etwa im Bereich der Integrierten Versorgung – schnell vernachlässigt würden, wenn es doch "scheinbar einfach" ist, am Zwangsrabatt festzuhalten.

Offene Fragen zur frühen Nutzenbewertung

Auch die frühe Nutzenbewertung und Preisverhandlungen können aus Sicht des vfa gute Steuerungsinstrumente zum Ausgleich von Versorgungsqualität und Höhe des Preises sein. Erste Erfahrungen forschender Unternehmen mit der frühen Nutzenbewertung gäben jedoch Anlass zur Sorge, ob diese Balance auch gelinge. Damit die neuen Instrumente ohne Fehler entwickelt werden, hält Fischer eine politische Begleitung und Moderation dieses Prozesses für notwendig. Es sei wichtig, rechtzeitig nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, bevor sich kritische Verfahren etablieren könnten.

Derzeit verhandeln die Spitzenverbände der Pharmaindustrie und der Krankenkassen über die Rahmenvereinbarung zu künftigen Preisverhandlungen. Noch sind einige Fragen offen, räumt Fischer ein. Den Stand der Verhandlungen will sie jedoch ausdrücklich nicht kommentieren – dies sei zwischen den Verhandlungspartnern so vereinbart. Ziel bei allem müsse aber sein, dass der hohe Standard, den wir hierzulande haben, nicht gefährdet wird, der Zugang zu Innovationen erhalten bleibt und diese auch finanzierbar sind.

Gesundheitsminister Daniel Bahr signalisierte letzte Woche bereits, dass er den Appell des vfa vernommen hat. Noch in diesem Herbst wolle er prüfen, ob der erhöhte Zwangsrabatt auf Nicht-Festbetragsarzneimittel wie geplant bis 2013 fortgesetzt werden könne. Die Prüfung könne aber erst stattfinden, wenn verlässliche Schätzungen zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und zur Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben in der GKV für 2012 vorliegen. Dies wird wahrscheinlich Mitte Oktober der Fall sein.



DAZ 2011, Nr. 37, S. 37

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