Gesundheitspolitik

Richtgrößen sind kein taugliches Steuerungsinstrument

Anlässlich der Vorstellung des Arzneimittel-Atlas fordert der vfa von der Regierung "mehr Mut zum Markt"

Berlin (ks). In diesem Jahr erscheint der Arzneimittel-Atlas – ein Konkurrenzprodukt des IGES-Instituts zum Arzneiverordnungs-Report – zum fünften Mal. Auch diesmal zeigt die im Auftrag der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) erstellte Studie auf, dass die Ausgabensteigerungen im Arzneimittelbereich erklärlich und keinesfalls so überdimensioniert sind, wie in der Politik oft behauptet. Zudem nehmen die Autoren das Steuerungsinstrument der Richtgrößen unter die Lupe – und kommen dabei zu einem vernichtenden Urteil.

IGES-Chef Prof. Bertram Häussler stellte die Ergebnisse des aktuellen Arzneimittel-Atlas am 30. Juni in Berlin vor. Mit einem Anstieg um 1,52 Mrd. Euro (+5,2 Prozent) auf 30,7 Mrd. Euro ist der GKV-Arzneimittel-Markt 2009 in einem ähnlichen Ausmaß gestiegen wie in den Jahren zuvor. Entscheidend für den Marktzuwachs war insbesondere die Verbrauchskomponente, die wie in den Vorjahren bei 1,1 Mrd. Euro lag. Das heißt, der steigende medizinische Bedarf einer insgesamt alternden Gesellschaft und die wachsenden Behandlungsmöglichkeiten führten zu mehr verordneten Arzneimitteln. Allerdings sieht Häussler in großen Indikationen wie etwa Hypertonie oder Asthma eine Sättigung kommen.

Krebs kein Kostentreiber

Zu Mehrkosten von rund 400 Mio. Euro führte laut IGES die Innovationskomponente. Gerade diese Ausgaben für neue, patentgeschützte Wirkstoffe sind Kassen und Politik immer wieder ein Dorn im Auge. Doch für die Autoren des Arzneimittel-Atlas lassen sich Behauptungen, die extrem hohen Therapiekosten neuer Medikamente würden die Finanzierung der GKV sprengen, nicht belegen. So wies Häussler darauf hin, dass etwa für Krebsbehandlungen im Jahr 2009 rund 1,5 Mrd. Euro ausgegeben wurden, dies sind 5 Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben. In die übrige Spezialversorgung flossen 7,6 Mrd. Euro, 25 Prozent der Gesamtausgaben. Die Behandlung der Hypertonie verschlang dagegen 3,7 Mrd. Euro (12 Prozent). In die gesamte Grundversorgung flossen 70 Prozent der Ausgaben, 21,7 Mrd. Euro.

Richtgrößen: unrealistische Vereinbarungen

Genauer unter die Lupe nimmt der Arzneimittel-Atlas in diesem Jahr die Arzneimittelvereinbarungen zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und Krankenkassenverbänden und die daraus abgeleiteten Richtgrößen für die Vertragsärzte. Hier zeigen sich große Unterschiede in den einzelnen Regionen – sowohl bei den erwarteten Einsparungen als auch bei den tatsächlichen Ausgaben. Stets sind jedoch die Ist-Ausgaben höher als die Soll-Ausgaben. Nach den Worten Häusslers ist dies eine Folge der "unrealistischen" regionalen Vorgaben. Sie stünden in keinem Zusammenhang mit dem tatsächlichen Bedarf an Arzneimitteln und es sei "kein sinnvolles Kriterium" ersichtlich, woran sich die Festsetzung der Ausgabenvolumina festmache. So falle dabei auch die Umlandversorgung durch die Großstädte – insbesondere Hamburg und Berlin – unter den Tisch. Dies zeige sich besonders deutlich in Berlin, wo die Vorgaben "ganz ungerecht" seien – hier erwartet die KV Einsparungen von 122 Euro je Versicherten und Jahr – am unteren Ende der Statistik liegen Thüringen und Rheinland-Pfalz, wo nur eine Einsparung von 39 Euro je Versicherten vorgegeben wird. Die Ärzte hätten diesen Druck dennoch nicht an die Patienten weitergegeben und ihre Verordnungen am medizinischen Bedarf orientiert, so Häussler. Allerdings leide darunter die Zufriedenheit der Ärzte mit ihrem Beruf.

Auch beim vfa sieht man die Richtgrößen kritisch. Nicht zuletzt angesichts der geplanten Änderungen bei der Erstattung von Arzneimitteln forderte der vfa-Vorsitzende Wolfgang Plischke ihre Abschaffung. Er machte anlässlich der Präsentation des Arzneimittel-Atlas zudem deutlich, dass die forschenden Hersteller von der Gesundheitspolitik der schwarz-gelben Regierung in weiten Teilen enttäuscht sind. Trotz vielversprechender Ankündigungen im Koalitionsvertrag setze sie auf dirigistische Maßnahmen, statt auf die Kraft des Wettbewerbs zu vertrauen. Zwangsrabatt und Preismoratorium seien "schwere Kommunikationsfehler" der Politik in die Wirtschaft, so Plischke. Unter Investoren werde so das Vorurteil vom allzu staatsnahen deutschen Gesundheitssystem genährt: "Für das Image des Pharma-Standortes Deutschland ist das alles andere als gut".

vfa steht zu Verhandlungen

Gleichwohl räumte Plischke ein, dass die im Gesetz zur Neuordnung des GKV-Arzneimittelmarkts geplante Aufwertung der Verhandlung von Erstattungsbedingungen zwischen Kassen und Firmen "ein wichtiger und richtiger – vielleicht sogar ein historischer – Schritt" sei. Die Industrie habe immer für wettbewerbliche Strukturen geworben und ziehe auch mit, "wenn es zum Schwur kommt". Wenn auch die Richtung aus Sicht des vfa stimmt, so stört sich der Verband an Details. So sei die Rolle des GKV-Spitzenverbandes – er soll primär die Verhandlungen mit den Herstellern führen – bedenklich nah am "Nachfragemonopol" gebaut. "Hier bündelt sich künftig viel Macht im System", so Plischke. Begegnen könne man dem entweder durch eine Anwendung des Wettbewerbs- und Kartellrechts auf den Spitzenverband oder zumindest durch einen Vorrang von dezentralen Verträgen zwischen einzelnen Firmen und Kassen vor zentralen Vereinbarungen.

Darüber hinaus sei es wichtig, dass der Gesetzgeber alte Lenkungsinstrumente abschaffe, wenn er neue – wie Verträge – einführt. "Die von der Politik vorgesehene Deregulierung im Gesundheitsbereich muss hier mehr sein als ein Lippenbekenntnis", forderte Plischke. Bestes Beispiel für Unnötiges und Unwirksames seien die Richtgrößen, wie der aktuelle Arzneimittel-Atlas aufzeige. Daher sei es "richtig, dieses überkommene Instrument symbolischer Gesundheitspolitik abzuschaffen", so Plischke.

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