Selbstmedikation

Nicotin inhalieren – neue Möglichkeit zur Entwöhnung

Rauchverbot, Nichtraucherschutz und Raucherentwöhnung sind mehr denn je in der Diskussion, und das kontrovers und leidenschaftlich. Nachdem ein Großteil der Raucher das Rauchen gerne aufgeben möchte, es aber oft nicht schafft, steht auch die Nicotinersatztherapie im Mittelpunkt des Interesses. Nun macht mit dem Nicotininhaler eine neue Darreichungsform auf sich aufmerksam, die vor allem auch die Beachtung des beratenden Apothekers verdient. Die DAZ sprach hierzu mit Prof. Dr. Michael Kunze, Vorstand des Instituts für Sozialmedizin der Medizinischen Universität Wien.
DAZ Zur Nicotinersatztherapie wird jetzt auch noch ein Nicotininhaler eingeführt. Gibt es nicht mit den Kaugummis und Pflastern schon genügend Entwöhnungsmittel, warum eine neue Darreichungsform?

Kunze:

Mehrere Darreichungsformen zu haben, ist sinnvoll, denn Raucher, die sich einer Entwöhnung unterziehen wollen, haben unterschiedliche Bedürfnisse und Vorlieben. Auch wird durch ein neues Produkt Interesse geweckt. Die Folge ist, dass weitere Entwöhnungsversuche unternommen werden, sowohl von Personen, die es das erste Mal versuchen, als auch von solchen, die bereits Entwöhnungsversuche mit Nicotinersatzprodukten hinter sich haben. Wichtig ist, den Raucher dort "abzuholen", wo er sich gerade befindet und seine spezifischen Interessen zu berücksichtigen.

DAZ Umfragen bestätigen, dass ein Großteil der Raucher weg will von der Zigarette. Warum greifen relativ Wenige zur Nicotinersatztherapie?

Kunze:

Ein Grund ist immer noch die zu geringe Information. Es muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass Nicotinersatzpräparate eine wesentliche Unterstützung der eigenen Motivation sind. Internationale Studien zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit, abstinent zu werden, verdoppeln wird, wenn man die Nicotinersatztherapie einsetzt.

DAZ Aber viele glauben, sie könnten es auch ohne Unterstützung schaffen, dass der eigene Wille ausreiche.

Kunze:

Sicher, man kann Motivation aufbauen, um es dann "aus eigener Kraft" zu schaffen. Aber sich dabei durch eine geeignete Medikation wie die Nicotinersatztherapie unterstützen zu lassen, ist einfach sinnvoll.

DAZ Über die Nicotinersatztherapie wird viel gesprochen, mehr in der Werbung als beim Arzt und Apotheker. Sind es nicht gerade diese beiden Berufsgruppen, die aufklären sollten?

Kunze:

Nicht nur aufklären. Für die Ärzteschaft sollte es geradezu verpflichtend sein, dem Tabakabhängigen beim Entzug seiner Sucht zu helfen, zum Beispiel durch Einsatz der bewährten und wirksamen Nicotinersatzpräparate. Es ist bedauerlich, dass dies noch so wenig geschieht. Hier gilt es, die Ärzteschaft auch weiterhin zu informieren und gegebenenfalls "in die Pflicht zu nehmen".

Von zentraler Bedeutung sind aber auch die Apotheker, denn die Nicotinersatzprodukte sind Produkte der Selbsmedikation, können also ohne Rezept erworben werden. Und es zeigt sich auch, dass zur Zeit die Apotheke die zentrale Anlaufstelle für entwöhnungswillige Raucher ist und dass viele Apotheker der Beratungspflicht auch bei der Rauchentwöhnung sehr intensiv nachkommen.

DAZ Die Gefahren der Zigarette – Infarkt und Krebs – werden von Laien meist dem Nicotin zugeschrieben. Der Gefahrenunterschied zwischen Nicotin als Suchterzeuger und den anderen in Zigaretten enthaltenen Zusatzstoffen als Gesundheitsschädiger ist offensichtlich zu wenig bekannt.

Kunze:

Das ist richtig, die Gefahren des Rauchens hinsichtlich Infarkt und Krebs werden fälschlicherweise dem Nicotin zugeschrieben, während es in Wirklichkeit neben anderen kanzerogenen Stoffen das Kohlenmonoxid ist, das durch den Verbrennungsprozess beim Rauchen entsteht. Das Nicotin hingegen ist der eigentliche Suchtauslöser.

DAZ Zwischen dem Nicotininhaler und anderen Nicotinersatzpräparaten gibt es keinen prinzipiellen Unterschied. Worin sehen Sie dann seinen Vorteil?

Kunze:

Der große Vorteil des Inhalers besteht darin, dass es jene Raucher anspricht, für die beim Rauchen die manuelle Komponente eine wichtige Rolle spielt.

DAZ Und das heißt?

Kunze:

Etwas in den Fingern zu halten und zum Mund zu führen, also das Ritual. Erfahrungsgemäß werden dadurch zusätzliche Raucher motiviert, einen Entwöhnungsversuch zu unternehmen. In Österreich ist der Inhaler nach dem Kaugummi mittlerweile die zweitbeliebteste Darreichungsform.

DAZ Das Ritual, wie Sie sagen, spielt also beim Zigarettenrauchen eine große Rolle. Stand dieses Hand-zu-Mund-Ritual dann auch bei der Entwicklung des Inhalers Pate?

Kunze:

Ja, das Hand-zu-Mund-Ritual war tatsächlich der Aus-gangspunkt für die Entwicklung des Inhalers. In der Folge hat sich dieses Konzept dann auch millionenfach bewährt. Ich begrüße es sehr, dass diese Form der Nicotinersatztherapie demnächst auch in Deutschland zur Verfügung stehen wird.

DAZ Gerade dieses Ersatzritual wird aber von manchen Experten kritisiert. Wie kann man, so wird argumentiert, vom Rauchen wegkommen, wenn man weiterhin "raucht"?

Kunze:

Man kann, denn dieses scheinbare Weiterrauchen spricht nach unserer Erfahrung gerade die Raucher an, die auf diesen Teil des Rituals nicht verzichten wollen oder noch nicht können.

DAZ Der Nicotininhaler sieht äußerlich wie eine Zigarettenspitze ohne Zigarette aus. Wird er aufgrund Ihrer Kenntnisse auch während längerer Geschäftssitzungen verwendet oder doch vorwiegend im privaten Umfeld?

Kunze:

Nach unseren Erfahrungen wird der Inhaler im Allgemeinen ganz ohne Vorbehalte oder Scheu angewandt. In bestimmten Situationen "outet" sich der Raucher sogar bewusst, und holt sich dadurch sogar Zustimmung beim Entwöhnungsversuch.

DAZ Wie lange sollte man nach Ihrer Erfahrung den Nicotininhaler benutzen? Kann man auch ganz bei ihm bleiben?

Kunze:

Bei allen Nicotinersatzprodukten besteht weniger die Gefahr, dass diese Medikamente zu lange eingesetzt werden, denn zu kurz. Vielfach tendieren die Entwöhnungswilligen eher dazu, unter- als überzudosieren, sowohl was die tägliche Dosis als auch was die Gesamtdauer der Anwendung betrifft. Unabhängig von den Empfehlungen der Hersteller – gewöhnlich drei Monate – gibt es keine zeitliche Begrenzung. Und man darf nie vergessen, dass die Alternative darin besteht, dass der Ausstiegswillige zum Zigarettenrauchen zurückkehrt.

DAZ Der Nicotininhaler wird zwischenzeitlich immer wieder mal weggelegt. Kann er dadurch nicht zu einer Gefahr für Kinder werden?

Kunze:

Das Produkt ist Kindersicher, und es sind auch trotz weit verbreiteter Anwendung – in Österreich ist er seit 1998 erhältlich – bisher keinerlei Zwischenfälle berichtet worden.

DAZ Herr Professor Kunze, wir danken für dieses Gespräch!

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