Medizin

Was ist eigentlich ... ein Gaucher-Syndrom?

Als der französische Dermatologe Philippe Charles Ernest Gaucher 1882 über eine Patientin mit einer vergrößerten Milz und einer vergrößerten Leber berichtete, ging er noch davon aus, dass es sich bei der dann nach ihm benannten Erkrankung um eine Tumorerkrankung handeln müsse. Heute weiß man, dass es sich um eine vererbare Lipidspeicherkrankheit handelt, die sich auf den Mangel des Enzyms Glukozerebrosidase zurückführen lässt und durch eine entsprechende Enzymsubstitution behandelt werden kann.

Morbus Gaucher ist eine seltene Erbkrankheit. Weltweit erkrankt im Durchschnitt eine von 40.000 bis 60.000 Personen an dieser Lipidspeichererkrankung. Doch es gibt Bevölkerungsgruppen, in denen diese Erbkrankheit deutlich verbreiteter ist. Bei den aus Osteuropa stammenden Ashkenazi-Juden und in der türkischen Bevölkerung ist bei einem von 1000 an Morbus Gaucher Erkrankten zu rechnen.

Mutationen im Glukozerebrosidase-Gen

Ursache der Erkrankung sind Mutationen des Glukozerebrosidase-Gens auf dem Chromosom 1. Die Vererbung erfolgt autosomal rezessiv. Das bedeutet, dass die Erkrankten in beiden Kopien des Glukozerebrosidase-Gens (des väterlichen und des mütterlichen) eine Mutation vorweisen. Lediglich ein vorhandenes, mutiertes Chromosom 1 löst keine Erkrankung aus, da das zweite, normale Chromosom ausreicht, die Folgen der Veränderung zu kompensieren. Folge der Mutation ist eine reduzierte Menge oder eine mangelnde Qualität des Enzyms Glukozerebrosidase. Dieses Enzym zerlegt das kohlenhydrathaltige Fett Glukozerebrosid, welches beim Abbau von Blutzellen anfällt. Das Enzym ist in den Makrophagen zu finden. Fehlt nun das Enzym Glukozerebrosidase oder ist es nur in verminderter Qualität vorhanden, erfolgt kein Abbau von Glukozerebrosid – es bleibt in den Lysosomen der Makrophagen liegen. Diese mit Glukozerebrosid gefüllten Makrophagen – auch als Gaucher-Zellen bezeichnet – reichern sich vor allem in der Milz, der Leber und dem Knochenmark an. In seltenen Fällen findet man sie auch in Organen wie Lunge, Augen, Nieren und Herz. Hier kommt es zu folgenschweren, zum Teil lebensbedrohlichen Fehlfunktionen und zur Organvergrößerung.

Je nach Verlaufsform unterscheidet sich die klinische Symptomatik der Erkrankung. Drei Formen des Gaucher-Syndroms können unterschieden werden.

Viszerale beziehungsweise nicht-neuronopathische Form (Typ I).

Typisch sind eine Vergrößerung von Leber und Milz (sogenannte Hepatosplenomegalie), Anämie, Gerinnungsstörung sowie Knochen- und Gelenkbeschwerden.

Akute neuronopathische Form (Typ II).

Zusätzlich zu den genannten Organbeteiligungen kommen schwere Abbauprozesse des Nervensystems hinzu. Sie führen innerhalb der ersten Lebensjahre zum Tod.

Chronisch neuronopathische Form (Typ III).

Zur Abgrenzung von der akuten Form ist ein milderer Verlauf und ein späterer Krankheitsbeginn zu nennen.

Viszerale Form

Bei dieser Form sind keine neurologischen oder geistigen Störungen zu erwarten. Der Erkrankungsbeginn kann in jedem Lebensalter auftreten. Die Symptome lassen sich aus der Speicherung von Gaucher-Zellen in verschiedenen Organen ableiten. Wenn die Gaucher-Zellen sich in der Milz anreichern und sich vermehren, vergrößern sie die Milz bis um das 30-Fache (Splenomegalie) und bewirken zusätzlich auch eine Überfunktion. Folge dieser großen Milz ist ein dicker Bauch, mit eventuell auftretenden Oberbauchbeschwerden und einem frühen Sättigungsgefühl.

Durch die Milzüberfunktion werden die Blutzellen schneller abgebaut als sie neu gebildet werden können. Das Fehlen der Erythrozyten (Anämie) führt zu einer schnellen Ermüdbarkeit und allgemeine Abgeschlagenheit. Der Mangel an Leukozyten (Leukopenie) kann die körpereigene Immunität schwächen. Eine Verringerung der Thrombozyten (Thrombozytopenie) führt zur Verlängerung der Blutgerinnung mit der Gefahr von häufigen Blutungen wie beispielsweise starkes Nasenbluten, Zahnfleischbluten sowie von Hämatomen. Nicht selten treten die Gaucher-Zellen auch im Knochenmark auf und verhindern dadurch die Neubildung von Blutzellen. Durch die mangelnde Durchblutung kommt es zur Zerstörung der Gelenke und des Knochengewebes. Zudem resultiert hieraus ein übermäßiger Knochenabbau und ein gestörter Knochenaufbau. Dies kann Frakturen und Deformierungen der Knochen hervorrufen. Zudem sind die befallenen Knochen anfälliger für Infektionen. Die Patienten haben extreme Knochenschmerzen. Dies kann die Mobilität stark einschränken und bis zu einer absoluten Immobilität führen. Chronische Entzündungen und Gefäßverschlüsse durch Gaucher-Zellen führen zu chronischen oder krisenhaften Knochen- und Gelenkschmerzen.

Die Entdeckung des Morbus Gaucher


1882 beschrieb erstmals der französische Dermatologe Philippe Charles Ernest Gaucher (1854–1918) die Erkrankung. Bei einer Patientin fand er eine vergrößerte Milz und eine vergrößerte Leber. Jedoch ging Gaucher zu damaliger Zeit noch von einem Milztumor aus. Erst im Jahr 1924 isolierte der deutsche Arzt H. Lieb einen zuckerhaltigen Fettstoff aus der Milz von Gaucher-Patienten. Weitere zehn Jahre später identifizierte der französische Arzt A. Aghion den Fettstoff als Glukozerebrosid. Glukozerebrosid ist ein Bestandteil der Zellmembranen, beispielsweise von Erythro- oder Leukozyten. 1965 wies der amerikanische Arzt Rosco O. Brady nach, dass diese Ansammlung von Glukozerebrosid auf einen Mangel des Enzyms Glukozerebrosidase zurückzuführen ist. Damit war die Basis für die Entwicklung einer Therapie gelegt, bei welcher das fehlende Enzym den Patienten verabreicht wird.

Akute neuronopathische Form

Zusätzlich zur Organbeteiligung kommen bei dieser Form schwere Abbauprozesse des Nervensystems hinzu. Kinder entwickeln die Symptome bereits in den ersten Lebensmonaten, wobei Oberbauchbeschwerden bei den Kindern im Vordergrund stehen. Weiterhin sind Knochenschmerzen und Gedeihstörungen zu beobachten. Aufgrund der schweren Schädigungen am zentralen Nervensystem kommt es innerhalb der ersten zwei Lebensjahre zum Tod.

Chronisch neuronopathische Form

Diese Form unterscheidet sich von der akuten neuronopathischen Form durch einen späteren Krankheitsbeginn, welcher erst in der frühen Kindheit mit einem langsameren Verlauf gekennzeichnet ist. Die Beteiligung des zentralen Nervensystems zeigt sich in einem fortschreitenden Abbau geistiger Fähigkeiten, Augenbewegungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Störungen der Bewegungsmotorik und Krampfanfällen. Die Betroffenen versterben zwischen dem ersten und dritten Lebensjahrzehnt.

Knochenschmerzen oft fehlgedeutet

Schwierigkeiten bei der Diagnose können entstehen, weil die Symptome nicht typisch und offensichtlich sind. Sie können bei vielen anderen Krankheiten und insbesondere anderen Speicher- und Stoffwechselkrankheiten auftreten. Zum Beispiel werden Knochenschmerzen bei Erwachsenen als Arthritis fehldiagnostiziert und behandelt. Bei Kindern werden Knochenschmerzen als wachstumsbedingt gedeutet.

Auffallende Krankheitszeichen sind eine Milzvergrößerung, Blutungsneigung, schnelle Ermüdbarkeit, Knochen- oder Gelenkschmerzen oder spontane Knochenbrüche. Im Blut sind unter anderem erhöhte Werte für Ferritin, saure Phosphatase und ACE (Angiotensin-Converting-Enzyme) zu finden. Bei Verdacht auf diese Erkrankung weist ein Enzymtest die stark verminderte Aktivität der Glukozerebrosidase nach.

Schwierigkeiten bereitet die Diagnostik der selteneren neuronopathischen Formen. Computertomografie- oder Kernspinaufnahmen erhärten einen möglichen Verdacht. Mittels der Histologie lassen sich Gaucher-Zellen im Knochenmark nachweisen. Durch eine DNA-Untersuchung anhand einer Blutprobe ist die Untersuchung des Glukozerebrosidase-Gens auf Mutationen hin möglich.

Therapie

Seit 1991 steht mit Imiglucerase eine Enzymersatztherapie zur Verfügung. Es handelt sich dabei um eine chemisch abgewandelte Form des menschlichen Enzyms Glukozerebrosidase, das intravenös verabreicht wird. Bei der viszeralen und der chronisch neuronopathischen Verlaufsform des Gaucher-Syndroms können durch wiederholte Infusionen mit dem Enzym die Krankheitssymptome von Milz, Leber und Knochen verringert werden und sogar zum Stillstand kommen. Die Patienten sind allerdings auf eine ständige, lebenslange Versorgung mit dem Enzym angewiesen. Eine effektive Therapie der Hirnschädigung bei Patienten mit dem neuronopathischen Gaucher-Syndrom gibt es gegenwärtig noch nicht.

Unterstützende Maßnahmen, unter anderem mithilfe eines Krankengymnasten und/oder Ergotherapeuten, können motorische Fehlfunktionen oder Beschwerden lindern.

Vorbeugen

Da es sich beim Gaucher-Syndrom um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, ist eine gezielte Vorbeugung gegen die Krankheit selbst nicht möglich. Eltern von betroffenen Kindern erfahren erst mit der Geburt des erkrankten Kindes, dass sie Anlagenträger für die Erkrankung sind, und diese mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent beim nächsten Kind wieder auftreten kann. Bei bekannter Konstellation ist eine vorgeburtliche molekulargenetische Untersuchung möglich. Familien mit Betroffenen sollten das Angebot einer genetischen Beratung erhalten.


Quelle

Baenkler HW: Innere Medizin.Thieme Verlag, Stuttgart 2001.

Renz-Polster H: Basislehrbuch Innere Medizin von Herbert Renz-Polster, Urban & Fischer Verlag, 4. Auflage 2008.

Hahn JM: Checkliste Innere Medizin. Thieme Verlag, Stuttgart 2006.


Dr. Ingo Blank, Gärtringen

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