Arzneimittel und Therapie

Neuer Tyrosinkinase-Inhibitor

Chronisch myeloische Leukämie Hierbei kommt es im Knochenmark zu einer unkontrollierten Vermehrung von weißen Blutkörperchen, die jedoch nicht funktionstüchtig sind: Es finden sich über 30% unreife hämatopoetische Blasten, die die normalen blutbildenden Zellen verdrängen. Die sich bei Fortschreiten der Erkrankung rapide vermehrenden Blasten werden auch ins periphere Blut ausgeschwemmt und lassen sich dort nachweisen (hier histochemisch angefärbte Blasten in der pericardialen Flüssigkeit).

Dasatinib zur Behandlung der Leukämie

Dasatinib (Sprycel®) ist ein Tyrosinkinase-Hemmer. Er blockiert das Signalmolekül BCR-ABL-Tyrosinkinase, das bei einer chronisch myeloischen Leukämie (CML) überaktiv ist und zu abnormer Proliferation der Stammzellen im Knochenmark führt.

Dasatinib ist als Second-line-Therapie für die Behandlung von Erwachsenen mit chronisch myeloischer Leukämie (CML) in der chronischen oder akzelerierten Phase oder in der Blastenkrise angezeigt, wenn die Patienten eine Resistenz oder Intoleranz gegenüber einer vorherigen Behandlung einschließlich Imatinib (Glivec®) entwickelt haben. Außerdem wird es eingesetzt für die Behandlung von Erwachsenen mit Philadelphia-Chromosom-positiver (Ph+) akuter lymphatischer Leukämie (ALL) oder lymphatischer Blastenkrise der CML mit Resistenz oder Intoleranz gegenüber einer vorherigen Therapie.

Die chronische myeloische Leukämie (CML) ist die zweithäufigste Form der chronischen Leukämien. Sie geht mit einer starken Vermehrung von weißen Blutkörperchen, speziell von Granulozyten und ihrer Vorstufen im Blut und blutbildenden Knochenmark, einher und ist in der Anfangsphase häufig symptomlos. Die CML hat eine Inzidenz von ein bis zwei Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner im Jahr und macht etwa 20% aller Leukämien aus. Sie tritt überwiegend im Erwachsenenalter auf, mit zunehmendem Alter wird sie häufiger.

Bei der chronisch myeloischen Leukämie ist das ABL-Gen der blutbildenden Zellen, der Stammzellen im Knochenmark, verändert. Das ABL-Gen ist eine Tyrosinkinase und spielt eine wichtige Rolle bei der zellulären Wachstumsregulation. Kommt es zur Bildung des Fusionsgens BCR-ABL auf Chromosom 22, dem Philadelphia-Chromosom, dann ist ABL entscheidend in seiner Funktion gestört. Die Tyrosinkinase ist dauerhaft aktiviert, die betroffene Zelle wird zur Tumorzelle und proliferiert unkontrolliert. Die Ursache dieser Chromosomenveränderung ist in den meisten Fällen nicht bekannt. In sehr wenigen Fällen kommt als Ursache ein Strahlenunfall oder auch Benzol in Betracht.

Schleichender Beginn

Die chronisch myeloische Leukämie beginnt langsam und schleichend. Die Leukozyten vermehren sich und die Milz vergrößert sich. Der Organismus kann den Leukozytenüberschuss und die daraus resultierende Anämie nicht dauerhaft kompensieren. Weil zunehmend "gesunde", reife weiße Blutzellen fehlen, kommt es zu einer Abwehrschwäche, die sich unter anderem in Fieber, Schwäche und Müdigkeit ausdrücken kann. Durch den Thrombozytenmangel kann es zu kleinen Blutungen in Haut- und Schleimhäuten kommen (z. B. Petechien, Zahnfleischblutungen). Im weiteren Verlauf treten Knochenschmerzen auf. Aufgrund der Granulozytopenie kommt es häufig zu bakteriellen Infekten, zu Entzündungen und zu Pilzinfektionen. Die Anämie verursacht Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Dyspnö.

Im weiteren Verlauf treten teilweise so hohe Leukozytenzahlen auf, dass es zu leukämischen Thromben kommen kann, die dann zu Embolien in der Milz (Milzinfarkt) oder auch in der Retina führen können. Das letzte Stadium der Blastenkrise endet unbehandelt tödlich.

Blockade von Signalmolekülen

Der Tyrosinkinase-Hemmer Dasatinib blockiert das Signalmolekül BCR-ABL-Tyrosinkinase, das bei chronisch myeloischer Leukämie überaktiv ist.

Dasatinib hemmt die Aktivität der BCR-ABL-Kinase in Konzentrationen von 0,6 bis 0,8 nM. Es bindet an beide, die inaktive und aktive Konformation des BCR-ABL-Enzyms. Weitere onkogene Kinasen hemmt es in einer subnanomolaren Konzentration.

In vitro ist Dasatinib in leukämischen Zelllinien aktiv. Hier kann Dasatinib eine Imatinib-Resistenz überwinden, die auf BCR-ABL-Überexpression, Mutationen der BCR-ABL-Kinase-Domäne, Aktivierung alternativer Signalwege oder einer Überexpression des Multi-Drug-Resistance-Gens beruht.

In vivo verhinderte Dasatinib in separaten Versuchen am CML-Mausmodell die Progression der chronischen myeloischen Leukämie in die Blastenkrise und verlängerte die Überlebenszeit der Mäuse, denen zuvor von Patienten isolierte CML-Zelllinien an verschiedenen Stellen, unter anderem im zentralen Nervensystem, implantiert worden waren.

Wirkung bei Resistenz auf Imatinib

In der Regel ist der Tyrosinkinase-Inhibitor Imatinib bei Philadelphia-Chromosom-positiven (Ph-positiven) Leukämien wirksam, jedoch kommt es zu Rezidiven mit Imatinib-resistenten BCR-ABL-Mutationen.

Insgesamt wurde Dasatinib im Rahmen von klinischen Studien an über 500 Patienten untersucht. Bei Patienten mit chronisch myeloischer Leukämie oder Philadelphia-Chromosom-positiver akuter lymphatischer Leukämie induzierte Dasatinib eine Remission, wenn diese den Tyrosinkinase-Hemmstoff Imatinib nicht vertrugen oder resistent dagegen geworden waren. Schwer erkrankte Patienten mit lymphatischer Blastenkrise oder Phpositiver ALL entwickelten allerdings innerhalb von sechs Monaten ein Rezidiv.

An einer Studie nahmen 387 Patienten in der chronischen Phase der Leukämie teil. Sie erhielten zweimal pro Woche 70 mg Dasatinib. Alle drei Monate wurde das Knochenmark zytologisch und zytogenetisch untersucht. Die mediane Beobachtungszeit während der Dasatinib-Therapie betrug 7,8 Monate. 90% der Patienten sprachen komplett hämatologisch an, die Leukozytenzahl normalisierte sich. Jeder zweite Patient sprach zytogenetisch an, das Philadelphia-Chromosom war in Knochenmark-Zellen nicht mehr nachweisbar. Insgesamt 160 Patienten hatten Mutationen im BCR-ABL-Gen, 20% bei Imatinib-intoleranten und 52% bei Imatinib-resistenten Patienten. Das hämatologische Ansprechen war offenbar unabhängig von Mutationen in dem Gen. Es war in den beiden Gruppen mit 88 und 91% etwa gleich hoch.

Pharmakokinetik

Die empfohlene Dosierung von Dasatinib beträgt 70 mg zweimal täglich zur oralen Gabe morgens und abends, unabhängig von einer Mahlzeit. Die Tabletten dürfen nicht zerdrückt oder zerteilt, sondern müssen im Ganzen geschluckt werden. Sprycel® ist als 20-, 50- und 70-mg-Filmtablette erhältlich.

Es wird nach oraler Einnahme rasch resorbiert, mit maximalen Konzentrationen nach 0,5 bis drei Stunden. Die mittlere terminale Halbwertzeit liegt bei fünf bis sechs Stunden.

Dasatinib wird im menschlichen Organismus sehr stark metabolisiert. Hauptsächlich ist CYP3A4 für die Metabolisierung von Dasatinib verantwortlich. Die gleichzeitige Anwendung von Dasatinib und Arzneimitteln, die CYP3A4 stark hemmen (z. B. Ketoconazol, Itraconazol, Erythromycin, Clarithromycin, Ritonavir, Telithromycin), kann die Dasatinib-Exposition erhöhen. Daher sollten Patienten, die Dasatinib erhalten, keinen potenten CYP3A4-Inhibitor systemisch anwenden. Arzneimittel, die eine CYP3A4-Aktivität induzieren (z. B. Rifampicin, Dexamethason, Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital oder Hypericum perforatum [Johanniskraut]), können den Stoffwechsel anregen und die Plasmakonzentration von Dasatinib verringern. Daher wird von der gleichzeitigen Anwendung potenter CYP3A4-Induktoren und Dasatinib abgeraten.

Die gleichzeitige Anwendung von Dasatinib und einem CYP3A4-Substrat kann die CYP3A4-Substrat-Exposition erhöhen. Deshalb sollten CYP3A4-Substrate mit bekanntermaßen geringer therapeutischer Breite (z. B. Astemizol, Terfenadin, Cisaprid, Pimozid, Chinidin, Bepridil oder Ergotalkaloiden) bei Patienten, die Dasatinib erhalten, mit Vorsicht angewendet werden.

Dasatinib und seine Metaboliten werden vorrangig in den Fäzes ausgeschieden.

Myelosuppression und Blutungen

Die häufigsten Nebenwirkungen von Dasatinib waren Flüssigkeitsretention, Diarrhö, Hautausschlag, Kopfschmerzen, Blutungen, Erschöpfung, Übelkeit und Dyspnö.

Die Behandlung mit Dasatinib wird mit Anämie, Neutropenie und Thrombozytopenie in Verbindung gebracht. Die Myelosuppression war im Allgemeinen reversibel und ließ sich in der Regel durch zeitweiliges Absetzen von Dasatinib oder eine Dosisreduktion behandeln. In den ersten beiden Monaten sollte ein komplettes Blutbild wöchentlich und anschließend einmal im Monat oder nach klinischer Indikation erstellt werden.

Schwere Blutungen im zentralen Nervensystem und andere schwere Blutungen traten auf und verliefen in Einzelfällen tödlich. Die meisten Blutungen waren typischerweise mit schwerer Thrombozytopenie assoziiert. Daher ist Vorsicht geboten, wenn Patienten thrombozytenfunktionshemmende oder gerinnungshemmende Arzneimittel einnehmen müssen.

Dasatinib geht mit Flüssigkeitsretention einher, die bei 7% der Patienten in schwerer Ausprägung auftrat, einschließlich schwerem Pleura- und Perikarderguss. Bei Patienten, die auf einen Pleuraerguss hinweisende Symptome wie Dyspnö oder trockenen Husten entwickeln, sollte eine Thorax-Röntgenkontrolle durchgeführt werden. Schwere Pleuraergüsse können eine Thorakozentese und Sauerstoffbehandlung erforderlich machen.

Wenn bei der Anwendung von Dasatinib eine schwere nicht-hämatologische Nebenwirkung auftritt, muss die Behandlung unterbrochen werden, bis das Ereignis abgeklungen ist. Danach kann die Behandlung sofern angemessen mit reduzierter Dosis fortgesetzt werden je nach ursprünglichem Schweregrad des Ereignisses.

Quelle

Fachinformation zu Sprycel® , Stand November 2006.

Talpaz, M.; Sha, N.P.; Kantarjian, H.; et al.: Dasatinib in imatinib-resistant Philadelphia chromosome-positive leukemias. N. Engl. J. Med. 354, 2531-2541 (2006).

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Steckbrief: Dasatinib
Handelsname: Sprycel
Hersteller: Bristol Myers Squibb, München
Einführungsdatum: 1. Dezember 2006
Zusammensetzung: 1 Filmtablette enthält 20/50/70 mg Dasatinib als Monohydrat. Sonstige Bestandteile: Eine Tablette enthält 27/67,5/94,5 mg Lactose, Tablettenkern: Lactose-Monohydrat, mikrokristalline Cellulose, Croscarmellose-Natrium, Hyprolose, Magnesiumstearat, Filmschicht: Hypromellose, Titandioxid, Macrogol 400.
Packungsgrößen, Preise und PZN: 56 Filmtabletten, 2548,97 Euro, PZN 5556682; 56 Filmtabletten, 5001,84 Euro, PZN 5556699; 56 Filmtabletten, 5001,84 Euro, PZN 5556707.
Stoffklasse: Zytostatikum; Proteinkinase-Inhibitor. ATC-Code: L01XE06.
Indikation: Für die Behandlung von Erwachsenen mit chronischer myeloischer Leukämie (CML) in der chronischen oder akzelerierten Phase oder in der Blastenkrise mit Resistenz oder Intoleranz gegenüber einer vorherigen Behandlung einschließlich Imatinibmesilat; außerdem für die Behandlung von Erwachsenen mit Philadelphia-Chromosom-positiver (Ph+) akuter lymphatischer Leukämie (ALL) oder lymphatischer Blastenkrise der CML mit Resistenz oder Intoleranz gegenüber einer vorherigen Therapie.
Dosierung: 70 mg zweimal täglich (b.i.d.) oral, unabhängig von einer Mahlzeit; Dosissteigerung auf 90 mg b.i.d. (chronische Phase der CML) oder 100 mg b.i.d. (akzelerierte Phase oder Blastenkrise der CML oder bei Ph+ ALL) für Patienten möglich, die weder hämatologisch noch zytogenetisch ansprachen.
Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile.
Nebenwirkungen: Sehr häufig: Anorexie; Kopfschmerzen; Hämorrhagien; Pleuraerguss, Dyspnö; Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen; Hautausschlag; Schmerzen im Bewegungsapparat; oberflächliche Ödeme, Erschöpfung, Fieber, Asthenie. Häufig: Infektionen; Appetitstörungen; Schwindel, Neuropathie, Dysgeusie; Depression, Schlaflosigkeit; Sehstörungen, trockene Augen, Bindehautentzündung; kongestive Herzinsuffizienz, Perikarderguss, Herzrhythmusstörungen, Palpitationen; Hypertonie, Flush; Husten, Lungenödem, Lungeninfiltration, Pneumonitis; Bauchschmerzen, abdominale Distension, Schleimhautentzündungen, Kolitis, Gastritis, Erkrankungen der Mundschleimhäute, Dyspepsie, Obstipation; Pruritus, Alopezie, Akne, trockene Haut, Nesselsucht, Hyperhidrose; Arthralgie, Myalgie, Muskelentzündung, Muskelschwäche; Schmerzen, Brustschmerzen, Schüttelfrost; febrile Neutropenie; Gewichtsverlust, Gewichtszunahme; Kontusion.
Wechselwirkungen: Dasatinib ist Substrat und Inhibitor von CYP3A4; daher besteht die Möglichkeit, dass es zu Wechselwirkungen mit anderen gleichzeitig angewendeten Arzneimitteln kommt, die hauptsächlich von CYP3A4 metabolisiert werden oder die Aktivität von CYP3A4 beeinflussen. CYP3A4-Substrate mit bekanntermaßen geringer therapeutischer Breite sollten bei Patienten, die Dasatinib erhalten, mit Vorsicht angewendet werden. Patienten, die mit Dasatinib behandelt werden, sollten statt H2 -Blockern oder Protonenpumpeninhibitoren Antazida verwenden.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: In den ersten beiden Monaten sollte ein komplettes Blutbild wöchentlich und anschließend einmal im Monat oder nach klinischer Indikation erstellt werden. Es kann zu schweren Blutungen im zentralen Nervensystem kommen; Vorsicht ist geboten, wenn Patienten thrombozytenfunktionshemmende oder gerinnungshemmende Arzneimittel einnehmen müssen. Dasatinib geht mit Flüssigkeitsretention einher, die bei 7% der Patienten in schwerer Ausprägung auftrat, einschließlich schwerem Pleura- und Perikarderguss. Dasatinib kann die kardiale ventrikuläre Repolarisation (QT-Intervall) verlängern.

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