Arzneimittel und Therapie

Morbus Gaucher Typ 1: Enzymsubstitution "repariert" genetischen Defekt

Der Morbus Gaucher ist zwar die häufigste lysosomale Speicherkrankheit. Insgesamt betrachtet gehört er allerdings zu den äußerst seltenen Krankheiten. In Deutschland gibt es schätzungsweise 2000 bis 4000 Personen, die an Morbus Gaucher leiden. Gerade einmal 2552 Patienten aus 43 Ländern sind im Morbus-Gaucher-Register aufgenommen, aus dem deutschsprachigen Raum sind es rund 250. Meist werden solche Krankheiten von der Forschung vernachlässigt, weil sie wenig lukrativ sind. Nicht so in diesem Fall: Hier steht seit etwa zehn Jahren eine äußerst effektive, aber auch kostenintensive Behandlung zur Verfügung.

Es gibt über 40 genetisch bedingte lysosomale Speicherkrankheiten. Ihnen gemeinsam ist die Akkumulation von Substraten in Gewebe und Knochen, die aufgrund eines Enzymmangels nicht abgebaut werden. Langfristig führt dies unbehandelt zu Funktionsbeeinträchtigungen, Organversagen und Tod. Die häufigste lysosomale Speicherkrankheit ist mit einem Anteil von 15 Prozent der Morbus Gaucher Typ 1.

Die Patienten leiden unter einem genetisch bedingten Mangel des Enzyms Cerebrosidase, das bei Gesunden Glucosylceramid in Glucose und Ceramid spaltet. Der genetische Defekt sitzt auf Chromosom 1 und wird autosomal-rezessiv vererbt. Das nicht abgebaute Glucosylceramid reichert sich in lysosomalen Strukturen der Zellen des retikuloendothelialen Systems vor allem in der Milz, der Leber und dem Knochenmark an.

Cerebroside akkumulieren fast ausschließlich in Makrophagen, die sich zu so genannten "Gaucher-Speicherzellen" entwickeln. Sie vergrößern die betroffenen Organe erheblich. So kann die Milz von 200 g auf bis zu 7 Kilogramm zulegen.

Verdächtige Hinweise auf Speicherkrankheiten

Hauptproblem ist die rechtzeitige Diagnosestellung. In der Regel vergehen neun Jahre, bis der Morbus Gaucher Typ 1 erkannt wird. Unspezifische Symptome, wie Abgeschlagenheit, Kraftlosigkeit, Knochenschmerzen, Oberbauchbeschwerden, Neigung zu Blutungen und vermehrte Infekte sorgen dafür, dass Ärzte oft lang im Dunkeln tappen.

Kernspintomographische Untersuchungen zur Abklärung der Knochenschmerzen zeigen eine durch flächige Einlagerungen bedingte Destruktion der Knochensubstanz. Als klassische Fehldiagnose gilt die rheumatoide Arthritis. Konkrete Hinweise können der Blick auf das Blutbild und die klinische Untersuchung geben: Bei Thrombozytopenie, Anämie und gleichzeitiger Hepatosplenomegalie sollte immer an eine Speicherkrankheit gedacht werden.

Enzymsubstitution lässt Milz schrumpfen

Wird die Krankheit erkannt, besteht die Möglichkeit, das fehlende Enzym zu substituieren und so eine Stabilisierung oder gar eine Normalisierung des Gesundheitszustandes zu erreichen. Bereits 1991 kam mit der Alglucerase (Ceridase®) ein chemisch modifiziertes Enzym auf den Markt, das Cerebroside abbaut. Es musste aus menschlicher Plazenta gewonnen werden.

Seit vier Jahren steht nun als rekombinanter Wirkstoff Imiglucerase (Cerezyme®) zur Verfügung. Wie effektiv diese Enzymersatztherapie ist, zeigt eine aktuelle Studie mit 1028 Patienten, die über einen Zeitraum von 24 bis 48 Monaten mit Cerezyme® behandelt und deren Krankengeschichte im Gaucher-Register über fünf Jahre verfolgt wurde.

Die Langzeitergebnisse stützen die Resultate früherer Untersuchungen: Unter der Enzymsubstitution konnte die Anämie ganz oder teilweise beseitigt, die Thrombozytenzahlen annähernd normalisiert und die Größe von Leber und Milz reduziert werden. So war die Milz vor Beginn der Therapie etwa 30-mal so groß wie üblich, ein Jahr nach der Enzymsubstitution hatte sie bereits 30 Prozent ihres Gewichts verloren. Diese allmähliche Reduktion setzt sich dann über die Jahre fort.

Eine vollständige Normalisierung lässt sich aufgrund des narbigen Umbaus im Gewebe allerdings nicht mehr erreichen. Dennoch kann durch die Enzymsubstitution eine Splenektomie, die bei immerhin bis zu 30 Prozent der Patienten durchgeführt wird, weitgehend verhindert werden. Auch Knochenschmerzen und Knochenkrisen gehen unter der Behandlung deutlich zurück, nämlich um 52 bzw. 94 Prozent nach einer Therapiedauer von 24 Monaten.

Verhindert werden kann durch die Enzymsubstitution auch die Erblindung, die droht, wenn Gaucherzellen in den Glaskörper infiltrieren. Entscheidend ist ein früher Therapiebeginn. Denn bereits destruiertes Gewebe lässt sich durch eine Enzymsubstitution nicht mehr reparieren.

Lästige Gewichtszunahme unter der Therapie

Die Compliance der Patienten ist mit 95 Prozent erwartungsgemäß hoch. Die Nebenwirkungen der Behandlung halten sich in Grenzen: Neben einer infusionsbedingten lokalen Reizung und Müdigkeit kommt es zu einer Gewichtszunahme, im Mittel um 4 kg, allerdings wurden auch bis zu 20 kg beobachtet. Und was sich so simpel anhört, ist für den Patienten dennoch belastend: Alle zwei Wochen Infusion, regelmäßige Arztbesuche, Blutuntersuchungen und Kontrolle der Knochen sind lebenslange Begleiter.

Kastentext Klinische Verlaufsformen des Morbus Gaucher

Es werden, bedingt durch unterschiedlichen zellulären Enzymmangel, drei verschiedene Typen des Morbus Gaucher unterschieden, die sehr unterschiedliche Prognosen haben:

  • Morbus Gaucher Typ 1: – chronische, nicht neuropathische Form bei Erwachsenen häufigste Form - Manifestation primär durch Hypersplenismus, Splenomegalie und Knochenläsionen
  • Morbus Gaucher Typ 2: – akute infantile neuropathische Form - mit Splenomegalie, schweren neurologischen Veränderungen und frühem Tod, meist innerhalb der ersten zwei Lebensjahre
  • Morbus Gaucher Typ 3: – jugendliche Form – kann zu jedem Zeitpunkt während des Kindesalters auftreten – entspricht klinisch dem Typ 1 in Kombination mit leichten neurologischen Störungen – Patienten, die das Jugendalter überleben, können noch viele Jahre leben.

Kastentext

Informationen zum Morbus Gaucher sind bei der Gaucher Gesellschaft Deutschland e.V. www.ggd-ev.de/html/frames.html erhältlich.

Quelle

Prof. Dr. Stephan vom Dahl, Düsseldorf, John Graham, CEO Genzyme GmbH; Pressekonferenz "10 Jahre Therapie seltener Erkrankungen", München, 15. Oktober 2002, veranstaltet von der CEO Genzyme GmbH, Cambridge.

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