Schwerpunkt Zahngesundheit

Der Kampf um das Biotop Mundhöhle

Etwa 600 bis 700 unterschiedliche Mikroorganismen sind als potenzielle Besiedler der Mundhöhle beschrieben. In ihrer Gesamtheit wird diese Lebensgemeinschaft als Mundflora bezeichnet. Neben Bakterien gehören auch Viren und bestimmte Pilze, z. B. Hefen, zur Mundflora. Normalerweise sind aber lediglich nur 30 bis 50 verschiedene Organismen in physiologisch begrenzter Menge vorhanden: ihre Aufgabe ist der Schutz vor pathogenen Keimen.
Durch mangelhafte Mundhygiene oder durch genetische Disposition kann das Zahnfleisch beziehungsweise der Zahnhalteapparat im Laufe der Jahre stark geschädigt werden. Besonders ohne eine Parodontitis-Behandlung besteht die Gefahr des Verlustes von Zähnen. So weit sollten Sie es nicht kommen lassen! Zahnfleischentzündungen (Gingivitis) sind immer vorhanden, bevor sich eine Parodontitis ausbildet und sollten als Warnzeichen beachtet werden.
Foto: European Federation of Periodontology (EFP) / Prof. Meyle

Insgesamt ist das Ökosystem "Mundhöhle” aber sehr komplex und kann durch Störungen unterschiedlicher Art rasch aus dem Gleichgewicht geraten. Aktuelle Forschungsergebnisse geben Hoffnung, dass durch eine genauere Kenntnis der mikrobiellen Zusammensetzung der Mundhöhle sowohl die Entstehung von Entzündungen als auch der Krankheitsverlauf besser verstanden werden [1].

In jedem Milliliter Spucke befinden sich rund 100 Millionen Bakterien. Die Mikroorganismen in der Mundhöhle siedeln sich in sogenannten Biofilmen an, die zwischen zwei Phasen, z. B. Flüssig- und Festphase wie beim Zahnschmelz, entstehen. Auf der Grenzfläche bildet sich eine meist geschlossene, dünne Schleimschicht, ein Film, in den die Organismen eingeschlossen sind. Die Bindung wird in vielen Fällen dadurch begünstigt, dass die Grenzfläche bereits mit organischen Polymeren (z. B. Polysacchariden) belegt ist. Die Zusammensetzung der Biofilme in der Mundhöhle ist sehr unterschiedlich: Auf der glatten Zahnoberfläche befinden sich vorwiegend Stämme von Streptococcus sanguinis und Streptococcus mutans , in kariösen Läsionen Lactobacillus spp. und in infizierten Wurzelkanälen und subgingivalen Taschen, auf der Zunge und auch auf den Tonsillen überwiegend obligat anaerobe, gramnegative Bakterien.

Parodontitis und Mikroorganismen

Verschiedene Mikroorganismen sind, besonders in Kombination mit anderen Risikofaktoren wie mangelnder Mundhygiene, Alkohol, Stress, geschwächter Immunlage und bestimmten Stoffwechselerkrankungen, die auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren gingivaler und parodontaler Erkrankungen. Aber auch eine genetische Disposition kommt als Risikofaktor für Entzündungsprozesse infrage.

Unter Parodontitis versteht man die Entzündung des Zahnhalteapparates (Parodont). Eine Folge der Parodontitis kann der Schwund des Zahnhalteapparates sein. Sowohl das Zahnfleisch (Zahnfleischschwund) als auch der Kieferknochen (Knochenschwund) können betroffen sein.

Bei funktionierender lokaler Abwehr und intakter Epithelschranke der Gingiva können pathogene Mikroorganismen dem Zahnhalteapparat keinen Schaden zufügen. Bei einer Störung der Homöostase können Pathogene, meist anaerobe und fakultativ anaerobe gramnegative Bakterien, jedoch eine Entzündung des Zahnfleisches verursachen.

Nach Karies ist Parodontitis die zweithäufigste Erkrankung der Mundhöhle und meist Ursache für ausfallende Zähne. In der Anfangsphase einer Parodontalerkrankung sind vor allem Bakterien wie Prevotella intermedia , Porphyromonas gingivalis, Actinobacillus actinomycetem comitans, Bacterioides spp • oder Capnocytophaga spp. für das Entzündungsgeschehen verantwortlich, die sich im Zahnbelag (Plaque) ansammeln. Diese Arten werden deshalb auch als Markerkeime bezeichnet. Nach einem längeren Zeitraum kommt es dann zu Veränderungen der Zusammensetzung der Mikroorganismenpopulationen. "Atypische” Vertreter wie Escherichia coli und andere Enterokokken, pyogene Kokken und Candida spp. können hinzukommen und zum Fortschreiten der Erkrankung beitragen. Das Spektrum kann jedoch individuell sehr unterschiedlich sein: Patienten mit Störungen des Immunsystems und ältere Patienten mit systemischen Grunderkrankungen zeigen eine Sulcusflora, die gelegentlich fast vollständig von den sogenannten "atypischen Keimen” gebildet wird. Die Folge kann ein besonders massiver und rasch fortschreitender Krankheitsverlauf sein. Auch Mikroorganismen, die normalerweise keine Schäden verursachen, können bei fortgeschrittenen Parodontalerkrankungen zu pathogenen Noxen werden. Die tiefen, oft blutenden Zahnfleischtaschen sind ein ideales Reservoir und Nährboden für verschiedene Arten, die sich hier, ähnlich wie auf einer Wundfläche, ansiedeln und vermehren. Da die Schranke zwischen Epithel und Bindegewebe zerstört ist, können die Stoffwechselprodukte ungehindert ins Gewebe eindringen. Aus den dargelegten Gründen stellt eine Analyse der Sulcusflüssigkeit heute eine unverzichtbare Untersuchung im Rahmen der parodontalen Diagnostik dar. Eine aussagekräftige mikrobiologische Untersuchung muss deshalb eine möglichst breite, umfassende Analyse mit aerober und anaerober Kultur, aber auch die Analyse möglicher Pilzpathogene beinhalten.

Parodontitis vorbeugen

Um Zahnfleischentzündungen vorzubeugen gilt nach wie vor eine regelmäßige Zahnpflege als das A und O.

  • gründliches Zähneputzen nach jedem Essen
  • regelmäßig die Zahnbürste wechseln
  • für die Zahnzwischenräume Zahnseide oder spezielle Zwischenraumbürstchen einsetzen
  • zweimal jährlich bei einer professionellen Zahnreinigung den Zahnbelag auf Zähnen und in den Zahnzwischenräumen entfernen lassen

Das Ziel sollten völlig glatte Zahnoberflächen sein, an denen die Plaque nicht so leicht haften bleibt. Das Risiko einer Zahnfleischentzündung und damit einer Parodontitis lässt sich so erfolgreich senken.

Gezielte Therapie durch Antibiogramme

In schweren Fällen werden bei einer Parodontitis Antibiotika eingesetzt, da ohne eine Bekämpfung der Markerkeime ein Erhalt der Zähne oft nicht möglich ist. Die Bestimmung der Antibiotikaempfindlichkeit durch Antibiogramme der beteiligten Bakterien ist ein wichtiger Pfeiler der parodontalen Mikrobiologie. Werden nur die Markerkeime erfasst, so ergibt sich als Kompromiss häufig ein anderes Antibiotikum als bei Einbeziehung des erweiterten Keimspektrums. Besondere Bedeutung kommt der Erfassung möglicherweise vorhandener Pilze zu, da sie sich bei ungezielter Antibiotikabehandlung ohne antimykotische Therapie stark vermehren und zu weiteren Entzündungen führen können. So soll die mikrobiologische Untersuchung die pathogenen und potenziell pathogenen Keime möglichst vollständig erfassen und damit ein möglichst individuell abgestimmtes Therapiekonzept liefern. "Die Zahnfleischtasche ist ein Schwachpunkt für erneute mikrobielle Besiedelung. Um die Progression der Parodontitis zu vermeiden, muss der Zahnarzt die Möglichkeit haben, rechtzeitig vor dem nächsten Entzündungsschub zu intervenieren. Da die Vermehrung der pathogenen Keime dem Entzündungsschub voraneilt, kann die mikrobiologische Kontrolluntersuchung ein zeitgerechtes Eingreifen ermöglichen” [2]. Eine genaue Kenntnis der mikrobiellen Zusammensetzung der Mundhöhle gibt wertvolle Hinweise auf das Erregerspektrum und ermöglicht eine gezielte Therapie. Das zunehmende Wissen über die mikrobielle Mundflora kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mundhygiene nach wie vor eine wichtige Rolle beim Kampf gegen Karies und Parodontitis spielt und dass diese neben der regelmäßigen Kontrolle beim Zahnarzt Grundpfeiler zum Schutz vor langwierigen Zahnerkrankungen ist.

 

Quelle

[1] Downes, J. et al.: Prevotella histicola sp. nov., isolated from the human oral cavity. Int J Syst Evol Microbiol 2008; 58(8), 1788 – 1791.

[2] Orale Mikrobiologie – ein Baustein zur Erstellung des parodontalen Risikoprofils. www.ärztewoche.at.

 


 

 

Dr. Hans-Peter Hanssen
Universität Hamburg
Institut für Pharmazeutische Biologie und Mikrobiologie
hans-peter.hanssen@hamburg.de

 

 

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