Arzneistoffporträt

Jugendliche oft mit Omega-3-Fettsäuren unterversorgt

Omega-3-Fettsäuren befinden sich gegenwärtig im Fokus verschiedener Diskussionen. Die mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren besitzen zweifellos einen hohen gesundheitlichen Stellenwert. Das gilt insbesondere für die langkettigen Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure. Auch wenn die Fettzufuhr allgemein mehr als ausreichend ist, gibt es bezüglich der Versorgung mit diesen Fettsäuren in Deutschland Defizite. Vor allem Jugendliche, werdende Mütter und Personen, die sich fischfrei ernähren, sind häufig unterversorgt. Für sie sowie für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist eine Supplementierung mit langkettigen Omega-3-Fettsäuren empfehlenswert.
Fettsäuren im Überblick Nahrungsfett besteht aus Glycerin und Fettsäuren. Letztere bestimmen die Eigenschaft des Fettes und seine Funktion im Organismus.

Fettsäuren sind Bestandteile der Nahrungsfette, vor allem der Triglyceride. Sie dienen der Energiegewinnung und sind Bestandteile biologischer Strukturen, insbesondere von Zellmembranen. Zudem üben sie zahlreiche Signalfunktionen im Körper aus. Unterschiedliche Fettsäuren sind dabei durch unterschiedliche Wirkungen im Organismus gekennzeichnet (Abb. 1). Daraus ergeben sich Fragen für die optimale Zufuhr – sowohl was die absolute Menge als auch die Relation der einzelnen Fettsäuren bzw. Fettsäurefamilien untereinander betrifft. Untersuchungen haben ergeben:

1. Der Anteil gesättigter Fettsäuren an den mit der Nahrung zugeführten Fettsäuren sollte ein Drittel nicht übersteigen. Die Aufnahme von einfach ungesättigten Fettsäuren, den Monoensäuren, wird in einer relativen Menge von etwas mehr als einem Drittel empfohlen.

2. Bezüglich der mehrfach ungesättigten Fettsäuren, d. h. den Polyensäuren, gilt es, das zurzeit ungünstige Verhältnis in unserer Nahrung zwischen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren zu optimieren. Dabei kommt einer optimalen Zufuhr von langkettigen Omega-3-Fettsäuren (Eicosapentaensäure, INN: Icosapent, und Docosahexaensäure, INN: Doconexent) eine besondere Bedeutung zu.

Der essenzielle Charakter von Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren ist seit Längerem bekannt. Doch bezüglich des Verhältnisses von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren wurden in den zurückliegenden Jahren grundlegende neue Erkenntnisse erzielt. Insbesondere hat man erkannt, dass Konkurrenzbeziehungen zwischen unterschiedlichen Fettsäurefamilien bestehen. Lange Zeit wurde die Linolsäure (Omega 6) mit dem Hinweis auf ihre essenzielle Natur und ihre cholesterinsenkenden Effekte in den Vordergrund gestellt. Doch ein Überangebot von Omega-6-Fettsäuren ist ungünstig, weil die aus ihnen gebildeten Eicosanoide, z. B. Thromboxan A2 und Leukotrien B4 , in stärkerem Maße gefäßverengend bzw. entzündungsfördernd sind als die entsprechenden, aus den Omega-3-Fettsäuren gebildeten Eicosanoide Thromboxan A3 und Leukotrien B5 .

Von besonderer Bedeutung ist die Erkenntnis, dass verschiedenartige Omega-3-Fettsäuren ein unterschiedliches Wirkprofil aufweisen. Unter dem Aspekt der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen kommt den langkettigen Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) eine besondere Bedeutung zu. Diese Fettsäuren beeinflussen als Bestandteile von Zellmembranen deren Fluidität und zahlreiche Zellfunktionen. Sie senken erhöhte Blutlipidspiegel (speziell Triglyceride), den Blutdruck und vermindern die Neigung zur Blutgerinnung sowie für das Auftreten von Herzrhythmusstörungen. Ihre antiinflammatorischen Eigenschaften legen darüber hinaus einen günstigen Einfluss bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Psoriasis und entzündlichen Darmerkrankungen nahe (Abb. 2).

Neue groß angelegte Studien haben gezeigt, dass für verschiedene Risikogruppen zudem eine gute therapeutische Wirksamkeit besteht, z. B. für Personen mit Hypertriglyceridämie, Diabetiker und Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen. Eine Senkung der Mortalität nach Herzinfarkt durch langkettige Omega-3-Fettsäuren konnte ebenso nachgewiesen werden wie die Verringerung des Arrhythmierisikos bei Herzinsuffizienz. Unter physiologischen Bedingungen besteht außerdem in der Schwangerschaft ein besonders hoher Bedarf an langkettigen Omega-3-Fettsäuren, insbesondere an Docosahexaensäure, die für die normale Entwicklung der Föten und besonders für deren Hirnentwicklung bedeutsam ist.

Probleme bei der Bedarfsdeckung

Alpha-Linolensäure (ALA) stellt diejenige Omega-3-Fettsäure dar, die in der Nahrung am meisten enthalten ist. Aus ihr können im menschlichen Organismus grundsätzlich auch die langkettigen Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure gebildet werden. Dabei stellen sich jedoch zwei wichtige Fragen:

1. Vermag Alpha-Linolensäure selbst als Omega-3-Fettsäure die langkettigen Fettsäuren EPA und DHA zu ersetzen?

2. Gewährleistet die körpereigene Umwandlung von Alpha-Linolensäure in die langkettigen Omega-3-Fettsäuren deren ausreichende Bereitstellung?

Die erste Frage ist eindeutig mit "Nein" zu beantworten, und zwar infolge des unterschiedlichen Wirkprofils der einzelnen Omega-3-Fettsäuren. Somit ist eine direkte Zufuhr der langkettigen Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA von hohem Wert. Bezüglich der zweiten Frage ist einzuschätzen, dass die Konversionsrate von ALA in die langkettigen Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA sehr niedrig liegt. Sie befindet sich in einer Größenordnung von nur ein bis fünf Prozent. Und die ohnehin geringe Bildung wird noch weiter eingeschränkt, wenn ein überproportional hoher Anteil von Linolsäure als Omega-6-Fettsäure in den Nahrungsfetten vorliegt. Dies ist darin begründet, dass sowohl Linolsäure als auch alpha-Linolensäure als Ausgangssubstrat der längerkettigen Omega-3-Fettsäuren um das gleiche geschwindigkeitsbegrenzende Enzym für die Kettenverlängerung (Delta-6-Desaturase) konkurrieren. So sind ein zu geringer Fischverzehr verbunden mit einem hohen Einsatz von Omega-6-Fettsäuren (Linolsäure) in der Lebensmitteltechnologie und Tierernährung wesentliche Ursachen einer Unterversorgung mit den langkettigen Omega-3-Fettsäuren (EPA und DHA) auf Bevölkerungsebene.

Empfehlungen für eine ausreichende Zufuhr

Fetter Seefisch, vor allem aus Kaltwassergebieten, enthält reichlich Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure, weshalb er regelmäßig verzehrt werden sollte. Epidemiologische und klinische Studien haben ergeben, dass ein bis zwei Seefischmahlzeiten pro Woche eine protektive Wirkung hinsichtlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen entfalten. Doch ein hoher Bevölkerungsanteil mag oder kann Fisch nicht verzehren, z. B. Vegetarier. Für sie ist die Supplementierung mit Präparaten, die EPA/DHA enthalten, sinnvoll. Bei erhöhtem kardiovaskulärem Risiko wird ebenfalle eine Supplementierung mit langkettigen Omega-3-Fettsäuren empfohlen. Auch für Schwangere und junge Mütter ist infolge ihres hohen DHA-Bedarfs eine Nahrungsergänzung sinnvoll, besonders wenn diese keinen Fisch verzehren. Mengenangaben für die absolute oder relative Zufuhr der langkettigen Omega-3-Fettsäuren sind gegenwärtig in der Diskussion. Der Arbeitskreis Omega-3 in Deutschland befürwortet in Übereinstimmung mit den Ernährungsempfehlungen der American Heart Association die Aufnahme von täglich 0,3 bis 0,4 Gramm dieser Fettsäuren (EPA/DHA). In den Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung und der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährungsforschung ist die Empfehlung zur Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren und Omega-6-Fettsäuren im Verhältnis 1:5 enthalten.

Einige Fragen sind bislang noch nicht ausreichend geklärt und deshalb gegenwärtig Gegenstand von Untersuchungen an der Universität Leipzig in Verbindung mit dem Arbeitskreis Omega-31:

  • Wie sieht die allgemeine Versorgungslage auf Bevölkerungsebene in Deutschland aus?
  • Welches Bild ergibt sich bei Jugendlichen und bei Erwachsenen unterschiedlichen Alters?
  • Wie ist die Zusammensetzung der Nahrungsfettsäuren im Personenkreis der Vegetarier einzuschätzen?

Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren in Deutschland

In Leipzig wurden Untersuchungen mit der Zielstellung der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen durchgeführt. Dabei wurde auch das Ernährungsverhalten evaluiert. Messgrößen des kardiovaskulären Risikos sowie Parameter des Fettstoffwechsels (Cholesterin und HDL-Cholesterin), Blutdruck, anthropometrische Kenngrößen und verschiedene Faktoren des Lebens- und Ernährungsstils wurden erfasst. Eine detaillierte Bestandsaufnahme hinsichtlich der Ernährung wurde durch Auswertung von 7-Tage-Ernährungsprotokollen mithilfe des PRODI Expert-Ernährungsprogramms (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart) durchgeführt. In die Studie eingeschlossen waren Jugendliche (Schüler im Bereich des Regionalschulamts Leipzig) und junge Erwachsene sowie Personen im mittleren und höheren Lebensalter. Weiterhin war eine vergleichende Bestandsaufnahme unter Einbeziehung von Vegetariern von Interesse. Hierbei handelte es sich um Mitglieder des Deutschen Vegetarierbunds e. V. aus vielen Teilen des Bundesgebietes.

Nach den Empfehlungen ernährungswissenschaftlicher Fachorganisationen ist der relative Anteil gesättigter Fettsäuren an den mit der Nahrung aufgenommenen Gesamtfettsäuren auf ein Drittel zu begrenzen. Einfach ungesättigte Fettsäuren sowie mehrfach ungesättigte Fettsäuren sollen in etwa jeweils ein weiteres Drittel ausmachen. Auf Grundlage der vorgenommenen Untersuchungen ergibt sich jedoch ein anderes Bild (s. Tab. 1). Bezogen auf die gesättigten Fettsäuren zeigen sich leichte Abweichungen bei den einfach ungesättigten, sowie drastische Abweichungen bei den mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Letztere werden in zu geringer Menge aufgenommen. Erwachsene im mittleren und höheren Lebensalter zeigen offensichtlich ein gesundheitsbewussteres Verhalten bezüglich des Konsums von Nahrungsfetten. Im Vergleich mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von bis zu 30 Jahren ergibt sich bei ihnen eine etwas günstigere Relation der Fettsäureklassen.

Für die Untersuchungen, die sich auf das Ernährungsverhalten im Jugendalter beziehen, wurde die Ernährungsweise von über 300 Schülern an Gymnasien und Mittelschulen ausgewertet (Abb. 3). Es zeigte sich eine bei Weitem unter den Empfehlungen liegende Aufnahme an EPA und DHA mit der Nahrung. Bei Vegetariern zeigt sich erwartungsgemäß ein günstiges Verhältnis von gesättigten zu ungesättigten Fettsäuren, da pflanzliche Produkte weitgehend Lieferanten ungesättigter Fettsäuren sind. Im Gegensatz zu Nichtvegetariern dominierten bei ihnen einfach ungesättigte Fettsäuren und auch der Prozentsatz an mit der Nahrung aufgenommenen mehrfach ungesättigten Fettsäuren war hoch. Da Vegetarier jedoch keinen Fisch verzehren, war in der Untersuchung die Aufnahme der langkettigen Fettsäuren EPA und DHA zu niedrig. Eine Substitution erscheint sinnvoll.

Fazit: Ein gemischtes Versorgungskonzept ist sinnvoll

Zweifellos wäre unter ernährungsphysiologischen Aspekten ein ausreichender Fischverzehr sinnvoll. Doch erscheint die Empfehlung zu mindestens zwei Fischmahlzeiten pro Woche, speziell von fettem Seefisch, versorgungstechnisch unrealistisch. Sie ist auf Bevölkerungsebene schon aus verschiedenen ökonomischen und ökologischen Gründen kaum zu verwirklichen, und zwar unabhängig von der persönlichen, individuellen Akzeptanz. Aus diesem Grund ist ein "gemischtes Versorgungskonzept" ein möglicher Lösungsansatz. Basis dieses Konzepts ist der Verzehr von fettem Seefisch sowie Omega-3-Fettsäure-reicher Pflanzenöle wie Raps-, Lein- und Walnussöl unter Beachtung der Kalorienbilanz. Eine verstärkte Aufnahme der langkettigen Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA sollte zudem über entsprechend angereicherte Lebensmittel angestrebt werden (Eier, Milchprodukte, verschiedene Margarinesorten, Säfte und Brot). Nicht selten ist darüber hinaus auch eine zusätzliche Supplementierung notwendig. Für Vegetarier stellen DHA-reiche Mikroalgenöle eine gute Alternative hinsichtlich der Zufuhr der für Fisch typischen langkettigen Omega-3-Fettsäuren dar. Die Mikroalgenöle (z. B. aus der Mikroalge Ulkenia) besitzen in Deutschland Novel-Food-Status und sind in der Apotheke erhältlich. Sie sind auch für Schwangere und Stillende besonders ratsam, da bei ihnen ein erhöhter DHA-Bedarf besteht. Eine gezielte Ergänzung langkettiger Omega-3-Fettsäuren aus Fischölkapseln ist Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, besonders auch mit Herzrhythmusstörungen, sowie Risikogruppen für kardiovaskuläre Krankheiten wie Diabetiker und Patienten mit einer Hypertriglyceridämie zu empfehlen.

Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. Volker Richter, Priv.-Doz. Dr. Fausi Rassoul

Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik, Universitätsklinikum Leipzig, Liebigstraße 27, 04103 Leipzig, Arbeitsbereich Ernährung und Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen

Prof. Dr. Michael Hamm

Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Fakultät Life Sciences, Studiendepartment Ökotrophologie, Lohbrügger Kirchstraße 65, 21033 Hamburg, Vorsitzender des Arbeitskreises Omega-3 e. V., Frankfurt/Main
Tab. 1: Relation von Fettsäureklassen (bezogen auf gesättigte Fettsäuren
Personengruppe
gesättigte Fettsäuren
Einfach
ungesättigte Fettsäuren
Mehrfach
ungesättigte Fettsäuren
Jugendliche
(14-18 Jahre)
1
0,83
0,32
Junge Erwachsene
(19-30 Jahre)
1
0,88
0,34
Erwachsene
(31-85 Jahre)
1
0,97
0,57

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