Phytopharmaka

Interaktionsprüfungen für Phytopharmaka?

In den Fachkreisen wird in den letzten Jahren vermehrt über pflanzliche Arzneimittel (Phytopharmaka) diskutiert, die aufgrund ihrer langjährigen Anwendung und/oder pharmakologischen und klinischen Studien als wirksam und relativ risikoarm von Patienten, Apothekern und Ärzten akzeptiert worden sind. Solche Diskussionen und Verunsicherungen entstehen häufig dann, wenn in Literaturberichten vorschnell und unkritisch Stellung zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Phytopharmaka genommen wird. Solche Berichte schaden dem guten Ruf der Phytopharmaka, belasten die Hersteller und verunsichern Anwender, Verbraucher und Patienten.
Interaktionsverdacht Die Kooperation Phytopharmaka schlägt ein pragmatisches abgestuftes Vorgehen vor, wenn sich ein Interaktionsverdacht bei Phytopharmaka zeigt.
Foto: DAZ Archiv

So hat zum Beispiel die Zahl der Berichte über pharmakokinetische Interaktionen mit Phytopharmaka in den letzten Jahren – vor allem in der englischsprachigen Literatur – exponenziell zugenommen und zeigt eine grundsätzliche Verschiebung der Bewertung pflanzlicher Zubereitungen an.

Die bisherige unsachliche Diskussion der erklärten Gegner der Phytotherapie mit der Argumentation "Phytopharmaka sind unschädliche Placebos" verschiebt sich zunehmend zu der Argumentation: "Phytopharmaka haben häufig unerwünschte Wirkungen, sie sind lebertoxisch, können den Metabolismus anderer Arzneimittel verändern und bewirken dadurch einen gravierenden Wirkverlust oder eine Wirkverstärkung bis hin zu toxischen Reaktionen eines gleichzeitig gegebenen chemisch-synthetischen Arzneimittels …"

Das heißt also, die Wirksamkeit pflanzlicher Arzneimittel ist heute nicht mehr der primäre Kritikpunkt, denn dazu liegen nach Abschluss der Nachzulassung inzwischen doch zu viele positive klinische Studien vor. Jetzt findet die Auseinandersetzung auf einem anderen Gebiet statt. Jetzt wird die "Unbedenklichkeit" pflanzlicher Arzneimittel angezweifelt.

Wie ernst ist diese Flut an Publikationen zu nehmen? Wie sollen wir damit umgehen? Bedenken gegen die Sicherheit müssen immer ernst genommen werden, aber sie müssen sachlich behandelt und bewertet werden. Der Verdacht eines Sicherheitsrisikos muss nicht notwendigerweise katastrophal für das entsprechende Präparat sein, da seine Zulassung auf einer positiven Nutzen-Risikobewertung basiert. Nebenwirkungen in geringem Umfang sind grundsätzlich bei allen Zubereitungen – auch ohne Kausalzusammenhang – zu erwarten. Das wissen wir von Synthetika schon lange und tolerieren das auch.

Auffällig ist, dass die Publikationen, die ein Risiko pflanzlicher Zubereitungen darstellen, selten in Deutsch erscheinen.

Die Ursachen dafür sind bekannt: Manuskripte über unerwünschte Wirkungen von Phytopharmaka (ob mehr oder weniger wissenschaftlich fundiert) lassen sich in hochrangigen internationalen Zeitschriften publizieren, während gut durchgeführte klinische Studien mit Phytopharmaka mit positivem Ausgang kaum in einem hochrangigen "Journal" zu platzieren sind. Sind negative Ergebnisse also gewollt und willkommen?

Zum einen liegt also ein unsachlicher Bias zugunsten aller negativen Ergebnisse vor, zum anderen können solche Studienergebnisse durchaus nur für das eingesetzte Pflanzenmaterial, nicht aber für die in Deutschland eingeführten, zugelassenen Phytopharmaka zutreffen.

BfArM in Zugzwang

Einen erheblichen Umfang nehmen – vornehmlich in der englischsprachigen Literatur – in den letzten Jahren Veröffentlichungen ein, in denen ein Verdacht auf mögliche pharmakokinetische Interaktionen von Phytopharmaka mit chemisch-synthetischen Arzneimitteln geäußert wird. Ein Teil dieser Publikationen ist bereits auf den ersten oder spätestens den zweiten Blick als irrelevant einzustufen – wenn Dosierungen in vitro getestet werden, die um einen Faktor 1000 oder mehr über im Körper erreichbare Konzentrationen hinausgehen, oder wenn nur eine Strukturverwandtschaft mit interaktionsrelevanten Substanzen vorliegt.

Natürlich müssen gravierende Interaktionen aufgeklärt werden und, wie wir von Johanniskraut-Zubereitungen wissen, können pflanzliche Präparate durchaus ernst zu nehmende Interaktionen verursachen.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sah sich in Zugzwang und erstellte im Januar 2004 einen Entwurf zur "Bewertung möglicher pharmakokinetischer Arzneimittelinteraktionen mit Phytopharmaka" sowie "Erläuterungen zum Vorgehen bei der Beurteilung von In-vitro-Untersuchungen pharmakokinetischer Interaktionen mit Phytopharmaka".

Die Reaktionen waren heftig. Unterschiedliche Fragen standen im Focus:

1. Wer soll untersuchen? Der Hersteller des Phytopharmakons mit bekanntermaßen großer therapeutischer Breite oder der des gleichzeitig verabreichten Synthetikums, von dem ein mögliches Risiko ausgeht?

2. Wer soll ggf. Interaktionen deklarieren?

3. Wann soll untersucht werden? Das heißt, was ist als "Anhaltspunkt" aus Fallberichten oder Literaturdaten für mögliche Interaktionen zu bewerten?

4. Wie soll geprüft werden? Zum Beispiel in welchen Konzentrationen, da pharmakokinetische Daten in der Regel fehlen? Ist eine "worst case calculation" mit der Annahme einer 100%-Resorption, der alleinigen Verteilung im Blut etc. zur Ermittlung relevanter Prüf-Konzentrationen zugrunde zu legen?

5. Warum sollen Phytopharmaka untersucht werden und Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel nicht? Unterstützt diese Aktion nicht ganz erheblich das Abwandern pflanzlicher Arzneimittel aus dem Pharma- in den Lebensmittelmarkt? Und das insbesondere im Licht des Wegfalls der Erstattungsfähigkeit der "rezeptfreien" (sicheren) pflanzlichen Arzneimittel. Dies hat ohnehin schon zu einem irrationalen Verlust an Reputation beim Patienten/Verbraucher geführt nach dem Motto: "Was nicht erstattungsfähig ist, kann nicht wirken und ist verzichtbar!"

6. Wie relevant sind die als erster Schritt geforderten In-vitro-Untersuchungen? Ist bei Phytopharmaka, die komplexe Vielstoffgemische darstellen, nicht mit einer Vielzahl falsch positiver Ergebnisse zu rechnen?

Abgestuftes Vorgehen

Die Arbeitsgruppe Wirksamkeit der Kooperation Phytopharmaka beschäftigt sich mit dem Thema der Interaktionen schon seit längerer Zeit. In den letzten Monaten hat sie einige Gespräche zu Interaktionen mit dem BfArM geführt, Hieraus ergibt sich jetzt für uns ein pragmatisches, abgestuftes Vorgehen:

1. Beim Vorliegen eines Verdachts auf ein mögliches Interaktionspotenzial ist zunächst eine kritische Bewertung der entsprechenden Literatur gefragt, die zu diesem Verdacht geführt hat. Damit besteht durchaus eine realistische Chance, mit guter Argumentation einen solchen Verdacht auszuräumen.

2. Erst wenn dies nicht gelingt, soll eine In-vitro-Studie durchgeführt werden. Dabei ist es möglich, das Design einer In-vitro-Studie zuvor mit dem BfArM abzusprechen, ebenfalls können die Ergebnisse solcher Untersuchungen mit dem BfArM diskutiert werden. Nur wenn sich der Verdacht dadurch weiter erhärtet, wird – in ganz wenigen Einzelfällen – eine Patientenstudie erforderlich werden. An einen unklaren In-vitro-Befund schließt sich also nicht notwendigerweise eine In-vivo-Studie an.

3. Die Durchführung von In-vivo-Studien wird damit auf Einzelfälle begrenzt bleiben.

Dieses geplante Vorgehen schöpft zwar nicht alle Möglichkeiten der wissenschaftlichen Untersuchung möglicher Interaktionen aus, aber es ist in dieser Form nicht deletär für die ohnehin in arge Bedrängnis geratenen Phytopharmaka und es scheint adäquat und durchführbar.

Insbesondere angesichts des oben schon erwähnten Abwanderns pflanzlicher Präparate in weniger kontrollierte Bereiche (hat schon jemand einen Interaktionswarnhinweis auf einer Flasche Grapefruitsaft gesehen?) sind alle am Geschehen Beteiligten eingeladen, an einem vernünftigen Vorgehen mitzuwirken.

Prof. Dr. Hilke Winterhoff, AG Wirksamkeit der Kooperation Phytopharmaka

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