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Immunologie: Mit Cistus-Polyphenolen gegen Grippepandemie?

Gegen Influenza kann man sich impfen lassen. Die Grippeimpfung bietet aber keinen oder nur einen geringen Schutz gegen die Vogelgrippe. Selbst Oseltamivir, das für den Fall einer Pandemie in großen Mengen gelagert wird, besitzt gegen die Vogelgrippe nur eine begrenzte Wirksamkeit. Auf der Suche nach Wirkstoffen gegen aviäre Influenzaviren hat nun eine Tübinger Forschungsgruppe einen Spezialextrakt der Graubehaarten Zistrose erfolgreich im Tierversuch getestet.

Drei große Grippewellen forderten im letzten Jahrhundert unzählige Tote: Die Spanische Grippe erfasste 1918 in drei Wellen die kriegsgeschwächte Welt – mit geschätzten 25 Millionen Toten; die Asiatische Grippe grassierte 1957/58, und auch die Hongkong-Grippe vom Winter 1968/69 forderte weltweit fast 1 Million Todesopfer. Seit dem Auftreten der Vogelgrippe im Jahr 1997 wurde der aviäre Influenzavirus-Stamm H5N1, gegen den das menschliche Immunsystem weitgehend machtlos ist, nur in wenigen Ausnahmefällen auf Menschen übertragen. Da etwa alle zehn bis 40 Jahre eine Grippepandemie infolge einer Virusmutation auftrat, rechnet man jährlich mit der Ausbildung einer Mutante des Vogelgrippevirus, die von Mensch zu Mensch übertragen wird. Deshalb besteht ein großes Interesse an der Entwicklung neuer Virustatika.

Extrakt der Zistrose mit antiviraler Potenz Aufhorchen lässt eine Nachricht aus dem Tübinger Institut für Immunologie des Friedrich-Loeffler-Instituts – Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit: Intensiver Forschung unterliegt dort zzt. ein Spezialextrakt aus der Graubehaarten Zistrose (Cistus incanus ssp. tauricus), der in Zellkultursystemen und nun auch in Tierversuchen auffallende Wirkungen gegen Vogelgrippeviren gezeigt hat.

Zistrosen sind typische Gewächse der Macchia, einer mittelmeerischen Zwergstrauchvegetation. Sie blühen in vielen Schattierungen von weiß bis rot und sind sehr vielgestaltig (Polymorphismus). Ihre Blätter enthalten ätherische Öle, Harze und Polyphenole. Ladanum oder Labdanum, das Harz der Zistrosenblätter, war im Altertum ein wichtiger Exportartikel nach Ägypten und galt als wichtiges Ingredienz von duftenden Salben. Seine mechanische Gewinnung ist legendär: Ziegen wurden durch die Macchien in den Küstengebirgen am Mittelmeer getrieben, sodass sich das Ladanum in ihrem Haar verfing; anschließend kämmte man das Harz aus oder man schor die Ziegen und wusch die Wolle in heißem Wasser, wobei das Harz schmolz, sich auf der Wasseroberfläche absetzte und nach dem Erkalten abgeschöpft werden konnte. Heute ist Ladanum für die Parfümerie immer noch von Bedeutung.

Die ostmediterrane Graubehaarte Zistrose ist bei den Griechen und anderen Bewohnern des östlichen Mittelmeerraums eine traditionelle Heilpflanze in der Geburtshilfe, bei Magen-Darm-Beschwerden, zur Wundbehandlung und bei Hautkrankheiten.

Der daraus gewonnene standardisierte Blattextrakt Cystus® 052 (im Folgenden kurz: Extrakt) ist besonders reich an Polyphenolen und ist ein Forschungsobjekt der Tübinger Immunologen.

"Prophylaktische" Gabe wirkt stärker In einer Kultur von Hundenierenzellen (MDCK) konnte der Extrakt die Infektion durch aviäre Influenzaviren reduzieren oder sogar ganz verhindern. Der Effekt war am größten bei einer "prophylaktischen" Gabe, das heißt, dass der Extrakt der Zellkultur hoch dosiert zugesetzt wurde, bevor diese mit den Viren inkubiert wurde.

In-vivo-Experimente an Mäusen, die vor der intranasalen Infektion den Extrakt in Form eines Aerosols erhielten, bestätigten diese Ergebnisse. In Verum- und Kontrollgruppe wurden nicht nur Infektionsparameter charakterisiert und der individuelle Einfluss des Immunsystems auf die Kontrolle der Infektion verfolgt, sondern mit einem speziellen Monitoring-System wurden auch die Vitalität und die Körpertemperatur der Tiere gemessen.

  • Die Kontrolltiere erkrankten fünf bis sieben Tage nach der Infektion mit einer LD50-Dosis schwer, 50% starben. Dagegen zeigten die behandelten Mäuse zwar einen geringen Gewichtsverlust, aber keine klinischen Symptome, und ihre Vitalität war nicht beeinträchtigt.
  • Bei Infektionen mit höheren, tödlichen Virusdosen wiesen die behandelten Mäuse eine längere Überlebenszeit auf.

Zugang zur Wirtszelle blockiert Man nimmt an, dass die Polyphenole des Extraktes das Andocken und Eindringen von Viren in die Wirtszelle durch Wechselwirkungen mit den viralen Oberflächenantigenen verhindern. Dies wäre ein neues antivirales Wirkprinzip, denn die heute üblichen Virustatika wie Oseltamivir oder Amantadin greifen erst im fortgeschrittenen Replikationszyklus der Viren an, indem sie die Freisetzung der bereits vermehrten Viren bzw. von Viruspartikeln aus der Wirtszelle hemmen.

Ob bestimmte Polyphenole des genannten Extraktes für die Wirkung verantwortlich sind, ist noch nicht geklärt. Jedenfalls wirkt er wesentlich stärker als andere (teilweise völlig wirkungslose) Cistus-Blattextrakte oder Extrakte aus Salbei und grünem Tee, die ebenfalls typische Polyphenol-Drogen sind.

In In-vitro-Experimenten, die am Institut für Molekulare Virologie der Universität Münster durchgeführt wurden, konnte selbst nach sechs und mehr Behandlungspassagen keine Resistenzbildung gegen den genannten Cistus-Blattextrakt beobachtet werden, während Amantadin bereits nach drei Passagen zu Resistenzentwicklungen führte.

Nach den Erfolg versprechenden Tierversuchen mit dem als Aerosol applizierten Extrakt sind nun entsprechende klinische Studien in Vorbereitung.

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