DAZ aktuell

Außenansicht: Statt Nicht-Raucherschutz nun Raucherschutz

Die Spitzen der großen Koalition rücken vom generellen Rauchverbot wieder ab. Dabei hatten sie im Sommer, als sich ein Aus für die Tabakwerbung abzeichnete, fast alle lauthals getönt und den Nichtraucherschutz gefordert, allen voran unser rühriger Verbraucherschutzminister (der bekanntlich die seltene Begabung hat, sich weit aus dem Fenster lehnen zu können, ohne hinauszufallen). Da so viele Menschen an den Folgen des Rauchens sterben, lamentierte Seehofer (CSU), "sollten wir gemeinsam für mehr Nichtraucherschutz eintreten und den Mut haben, in allen öffentlichen Einrichtungen das Rauchen zu verbieten." So oder so ähnlich dachten auch die Bundeskanzlerin (CDU), SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast, ihre Stellvertreterin Bärbel Höhn, die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Martina Bunge (Linkspartei/PDS), und auch ein paar Ministerpräsidenten, wie die von Niedersachsen (Christian Wulff, CDU), Sachsen (Georg Milbradt, CDU) und Sachsen-Anhalt (Wolfgang Böhmer, CDU). Und viele, viele andere. Die Vorausblickendste von allen aber war, wie sich jetzt zeigt, unsere Gesundheitsministerin, denn sie wusste zu dem Thema gar nichts zu sagen und wollte erstmal "abwarten, was das Parlament vorlegt".

Das alles war im Juni. Und schon im September sind alle Beteuerungen wieder vergessen, der Gruppenantrag der Gesundheitsexperten, der ein generelles Rauchverbot vorsah, ist vom Tisch. Stattdessen wollen die parlamentarischen Geschäftsführer der beiden Koalitionsfraktionen einen gemeinsamen Antrag in den Bundestag einbringen, mit dem laut Norbert Röttgen (CDU) "das richtige Maß des Nichtraucherschutzes nicht überschritten werden soll". Recht hat er, schließlich gehen von den 110 bis 150 Tausend jährlichen Tabak-Todesopfern nur etwa 3500 auf das Konto des Passivrauchens.

Auch sollte man, meine ich, die für tabakbedingte Krankheiten geschätzten 17 Mrd. Euro pro Jahr nicht überbewerten, kommt doch durch Steuern auch ein hübsches Sümmchen wieder herein. Und eingespart werden können endlich auch die teuren Aufklärungskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Deutschen Krebsforschungszentrums, denn in der Kampagne "Rauchfrei 2004" wurden von 90.000 an der Aktion beteiligten Rauchern gerade mal 30.000 zu Nichtrauchern.

Ironie beiseite: Während Nichtraucher in immer mehr EU-Staaten (Irland, Italien, Schweden, Norwegen, Malta, und demnächst Schottland, England, Portugal, Belgien und Lettland) vor dem blauen Dunst per Gesetz geschützt werden, und sich die große Mehrheit der Europäer ein Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden wünscht, läuft bei uns alles gegen diesen Trend. Deshalb hat schon im Sommer EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou die Bundesregierung aufgefordert, endlich das europäische Werbe- und Sponsorenverbot für Tabak in nationales Recht umzusetzen und dafür zu sorgen, dass Rauchen an allen Arbeitsplätzen und in allen frei zugänglichen Räumen untersagt wird. Und er drohte wegen dieser Versäumnisse Deutschland sogar mit rechtlichen Schritten. Hoffentlich macht er diese Drohung nun wahr!

Obwohl inzwischen auch der Letzte weiß, dass Rauchen nicht gerade gesundheitsförderlich, sondern das größte Risiko in unserem Leben überhaupt ist, dass Rauchen bei uns zu mehr Todesfällen führt als Aids, Alkohol, illegale Drogen, Verkehrsunfälle, Morde und Selbstmorde zusammen genommen, wird der Zigarette (und ihrer Lobby) von der Politik eisern die Stange gehalten.

Unsere Politiker sollten sich endlich klar machen, dass es hier nicht um Mangel an Toleranz den Rauchern gegenüber geht, sondern dass die Mehrheit der Nichtraucher durch den Rauch einer Minderheit Gesundheitsschaden nimmt. Rauchen ist zwar ein individuelles (freiwilliges) Risiko, aber nur für den Raucher selbst, nicht für den, der unfreiwillig dem Rauch anderer ausgesetzt ist. So wie der einzelne Bürger nicht das Wasser, das er trinkt, beeinflussen kann und der Staat somit für seine Unbedenklichkeit zu sorgen hat, so hat der Staat auch die Pflicht, für die Unbedenklichkeit der Luft, die wir atmen, Sorge zu tragen. 3500 Menschenopfer durch Passivrauchen jährlich bedeutet, dass bei uns während eines Jahrzehnts politischer Verantwortungslosigkeit vermutlich zwischen 30.000 und 50.000 Menschen durch unfreiwilliges Rauchen gestorben sind, Menschen, die noch leben könnten, hätte man die Gefahren des Passivrauchens ernst genommen.

Passivrauchen kommt einer Körperverletzung gleich! Das Recht des Einzelnen, gesund und länger am Leben zu bleiben, ist legitim. So können wir nur hoffen, dass EU-Gesundheitskommissar Kyprianou rasch aktiv wird, und dass ein europäisches Gericht der deutschen Bundesregierung klar macht, dass Nichtraucherschutz nicht nur weitgehend gewünscht, sondern auch ein einklagbares Recht ist.

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