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Gesundheitsreform: Große Koalition ringt um Finanzreform

BERLIN (ks). Pünktlich zu Beginn der Fußballweltmeisterschaft hat die 16-köpfige Arbeitsgruppe zur Gesundheitsreform Halbzeitbilanz gezogen. Die Partei- und Fraktionsspitzen von Union und SPD wurden am 8. Juni über den Zwischenstand der Verhandlungen unterrichtet Ų die Öffentlichkeit muss allerdings weiterhin auf Details der geplanten Strukturreform warten.

Diese Woche ist man zunächst in die Finanzierungsdebatte eingestiegen. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt betonte, dass man die Reform als Ganzes sehen müsse. Daher wolle man vermeiden, dass Einzelmaßnahmen vorab "zerredet" werden.

Am 9. Juni versammelten sich zahlreiche Journalisten und Lobbyisten im neuen Bundesgesundheitsministerium in der Berliner Friedrichstraße. Kurzfristig hatte das Ministerium zu einer Pressekonferenz zum "Zwischenstand" der Reformverhandlungen geladen. Doch wer wirkliche Neuigkeiten von Schmidt und den Fraktions-Vizevorsitzenden Wolfgang Zöller (CSU) und Elke Ferner (SPD) erwartet hatte, wurde enttäuscht. Die Gesundheitspolitiker berichteten lediglich, dass man im Zeitplan liege und die Arbeit in guter Atmosphäre verlaufe. Während man zu den geplanten Strukturreformen konsequent schwieg, schimmerte in der Finanzierungsfrage durch, dass das Fondsmodell in den Verhandlungen hoch im Kurs steht. Allerdings wollte sich niemand auf den Begriff als solchen festlegen lassen. "Entscheidend ist nicht, wie das Kind heißt, sondern wie es aussieht", erklärte Ferner.

Zöller sagte, mit einem Fondsmodell habe man die meisten Gestaltungsmöglichkeiten. Aufgabe sei es nun, diese sinnvoll zu nutzen.

Reizthema PKV

Tatsächlich bietet die Grundidee eines Gesundheitsfonds eine Vielzahl an Stellschrauben – und damit auch reichlich Konfliktpotenzial. So ringen Union und SPD etwa darum, ob und inwieweit Privatversicherte in das Modell einbezogen werden sollten. Die SPD fordert dies seit langem. Auch Schmidt betonte erneut, dass sich alle am Gesundheitssystem beteiligen müssen – "auch die mit stärkeren Schultern". Dafür gebe es viele Möglichkeiten. In der Union ist man allerdings skeptisch. Der Widerstand schien zu bröckeln, als der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) am Wochenende in einem Interview mit der "Welt am Sonntag" erklärte, dass auch die Privatversicherten in einen Gesundheitspool einzahlen sollten. Voraussetzung sei, dass "die Kassen dadurch nicht schlechter gestellt werden und ihre unternehmerische Freiheit behalten". Dagegen wandte sich prompt der CDU-Politiker Jens Spahn – einer der 16 Köpfe der Reform-Arbeitsgruppe: Die Einbeziehung der PKV sei inakzeptabel, weil es ihr Ende wäre, sagte er gegenüber der "Berliner Zeitung". Auch der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) und der bayerische CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann stimmten in die Kritik mit ein. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla stellte am 12. Juni klar, dass die CDU an der Existenz der PKV nicht rütteln werde. Dies werde vom CDU-Präsidium "absolut einvernehmlich" so gesehen. Pofalla kündigte zudem an, dass die Spitzen der Koalition am kommenden Sonntag noch einmal ausführlich über die Gesundheitsreform beraten wollen. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil betonte, dass dieses Treffen eine weitere "Zwischenetappe" sei – ein Endergebnis könne man noch nicht erwarten.

Opposition hält nichts vom Fonds

Die Oppositionsparteien übten unterdessen grundsätzliche Kritik am Fondsmodell. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Daniel Bahr erklärte, Geld werde nicht dadurch gespart, dass neben dem normalen Beitragseinzug auch noch der Prämieneinzug organisiert werden muss. Zudem sei in dem Konzept keine Abmilderung der Folgen der demografischen Entwicklung erkennbar. Frank Spieth, gesundheitspolitischer Sprecher der Links-Fraktion, kritisierte, mit dem Fonds werde das Einfrieren des Arbeitgeberanteils und damit der endgültige Ausstieg aus der paritätisch finanzierten GKV eingeleitet. Zudem werde mit der Vereinheitlichung der Krankenkassenprämie der begonnene Qualitätswettbewerb gestoppt. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, der Fonds sei "kein nachhaltiges und zukunftsfähiges Modell". Die Pläne bedeuteten ein "Abkassieren auf dem Rücken der Schwächeren". Sie forderte zudem Einsparungen auf der Ausgabenseite – etwa bei der Pharmaindustrie und den Apotheken.

Spekulationen um Fremdbesitz

Dass sich auf der Ausgabenseite etwas bewegen wird, ist klar. Was die Koalitionäre jedoch planen, bleibt weiterhin der Spekulation überlassen. In der vergangenen Woche hatte die "Welt" berichtet, dass Apotheken künftig auch Nicht-Apothekern gehören dürften – etwa Ärzten oder privaten Klinikbetreibern. Es solle aber dabei bleiben, dass der jeweilige Besitzer maximal drei Apotheken besitzen darf. Bestätigt wurde diese Behauptung allerdings von keiner Seite. Zudem hieß es, dass das Preissystem für apotheken- und rezeptpflichtige Arzneimittel geändert werden solle. Statt Festpreisen sollten Höchstpreise gelten. Doch auch dies sind bislang lediglich Spekulationen. Nicht anders verhält es sich bei den Medienberichten, wonach sich Freizeit- und Risikosportler künftig privat gegen Unfälle absichern und Komplikationen nach Schönheitsoperationen oder Piercings nicht mehr zu Lasten der GKV behandelt werden sollen. Auf welche Maßnahmen sich die große Koalition auch einigen wird: Sicher ist, dass die Gesundheitsversorgung künftig teurer werden wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel betont derzeit immer wieder, dass die alternde Gesellschaft und der medizinische Fortschritt zwangsläufig zu einem Kostenanstieg führen werden. Niemand könne von der Politik erwarten, dass sich "alles ändert, aber niemand was merkt", sagte die Kanzlerin.

Pünktlich zur Fußball-WM hat die 16-köpfige Arbeitsgruppe zur Gesundheitsreform Halbzeitbilanz gezogen. Die Partei- und Fraktionsspitzen von Union und SPD wurden am 8. Juni über den Zwischenstand unterrichtet – die Öffentlichkeit muss allerdings weiter auf Details der geplanten Strukturreform warten.

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