Ernährung aktuell

Kohlenhydrate – je komplexer, desto besser

In der ersten Folge unserer Serie "Basiswissen Ernährung" (DAZ Nr. 18/2006, S. 57f) haben wir die Nahrungsenergie näher unter die Lupe genommen. In dieser Folge dreht sich nun alles um die Kohlenhydrate - also einen Nahrungsbestandteil, dessen Hauptfunktion die Bereitstellung der bereits beschriebenen Nahrungsenergie ist. Mehr als die Hälfte der empfohlenen täglichen Kalorienzufuhr sollen wir über Kohlenhydrate zu uns nehmen. Allerdings ist nicht jedes Kohlenhydrat gleich "wertvoll", weshalb man hier eine sorgfältige Auswahl treffen muss.

Kohlenhydrate werden in Poly-, Oligo-, Di- und Monosaccharide eingeteilt (Tab. 1). Die in der Nahrung vorkommenden Kohlenhydrate setzen sich fast ausschließlich aus den Monosacchariden Glucose, Fructose und Galactose sowie deren Derivaten zusammen. Kohlenhydrate werden über Lebensmittel wie Getreide, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse sowie Haushaltszucker und Süßwaren aufgenommen.

Im Mund werden komplexe Kohlenhydrate mittels Speichelamylase in kleinere Untereinheiten gespalten. Der Hauptteil der Verdauung findet im Dünndarm statt, wo die Kohlenhydrate in Einfachzucker gespalten und resorbiert werden. Je nach Bedarf werden sie verstoffwechselt oder in Form von Glycogen in Leber und Muskel gespeichert [1, 2].

Zellen brauchen Glucose

Hauptfunktion der Kohlenhydrate, speziell der Glucose, ist die Bereitstellung von Energie für die Zellen. Der physiologische Brennwert für Kohlenhydrate beträgt 4,1 kcal (17,2 kJ)/g. Während die meisten Zellen auch andere Nährstoffe zur Energiegewinnung verwenden können, sind das Gehirn und die Blutzellen ausschließlich auf Glucose angewiesen. Bei Versorgungsengpässen kann das Gehirn allerdings auf Ketone (Abbauprodukte von Fett) ausweichen.

Neben der Energiebereitstellung ist Glucose als Substrat für die Bildung von Glycoproteinen, Glycolipiden, Nucleotiden, nichtessentiellen Aminosäuren und spezifischen Fettsäuren von Bedeutung. Auch werden Polysaccharidketten an Proteine oder Lipide gehängt, um Aminozucker und weitere Zucker (z.B. Sialinsäure) zu bilden. Weitere Bedeutung haben Kohlenhydrate als Bestandteile der Glycoproteinmatrix und des Bindegewebes [2].

Bedarf und tatsächliche Zufuhr

Laut DACH-Referenzwerten [3] wird empfohlen, mehr als 50% der Nahrungsenergie über Kohlenhydrate aufzunehmen. Bevorzugt sollen diese über stärkehaltige und ballaststoffreiche Lebensmittel zugeführt werden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt zudem, Kohlenhydratträger mit geringer Nährstoffdichte (Süßigkeiten) gegen solche wie Obst, Gemüse und Vollkornprodukte auszutauschen. Der tägliche Verzehr (ca. 650 g = 5 Portionen) der Kohlenhydratträger Obst und Gemüse trägt laut DGE optimal zur Herz-Kreislauf- und Krebsprophylaxe bei [4].

Die empfohlene Aufnahme wird jedoch von weniger als 50% der Bevölkerung erreicht [5]. Im Durchschnitt beträgt die tägliche Aufnahme von Kohlenhydraten etwa 40 bis 50% der Gesamtenergie. Besonders die Aufnahme an komplexen Kohlenhydraten ist seit den 1960er-Jahren zugunsten von Fett zurückgegangen [6]. Ein akuter Kohlenhydratmangel tritt dagegen heute nur in Sonderfällen auf.

Unzureichende Zufuhr und die Folgen

Werden zu wenig Kohlenhydrate mit der Nahrung aufgenommen, z.B. im Rahmen einer kohlenhydratarmen Diät, oder ist die Glucoseverwertung unzureichend, z.B. bei Diabetes, muss sich der Energiestoffwechsel umstellen. Es wird verstärkt Fett abgebaut. Dabei treten Ketonkörper auf, durch die eine Ketoazidose hervorgerufen werden kann. Diese wird durch den Abbau von ketogenen Aminosäuren verstärkt. Die Säuren werden in Form ihrer Natrium- und Kaliumsalze ausgeschieden, was zu einem Verlust dieser Kationen führt. Die diabetische Ketoazidose kann gemeinsam mit anderen Symptomen bis hin zum diabetischen Koma führen. Zugleich wird bei einer unzureichenden Kohlenhydratzufuhr die Gluconeogenese (Neubildung von Glucose aus Aminosäuren) in der Leber gesteigert, wodurch der Abbau von körpereigenen Proteinspeichern zunimmt. Von kohlenhydratfreien Diäten ist daher abzuraten [7].

Kohlenhydrate und Übergewicht

Mit der Nahrung aufgenommene Kohlenhydrate stimulieren die Kohlenhydratoxidation. Gleiches gilt für Proteine, so dass die Fetteinlagerung, die energetisch neutral stattfindet, begünstigt wird. Dagegen bedarf es ein Viertel der Energie an Glucose, um diese in Fett umzuwandeln. So bietet sich eine kohlenhydratreiche und fettarme Ernährung zur Prophylaxe von Übergewicht oder für eine Reduktionsdiät an, denn selbst bei einem Überschuss an Kohlenhydraten würde ein Fettansatz langsamer und geringfügiger ausfallen als bei dem gleichen Energieüberschuss an Fett.

Kohlenhydrate haben auch den Vorteil, weniger als die Hälfte der Energie, die Fett liefert, bereitzustellen. Zudem tritt eine Sättigung durch Dehnung der Magenwand schneller ein als bei der gleichen Kalorienzufuhr durch fettreiche Speisen. Je nach Ballaststoffgehalt des Lebensmittels wird die Sättigungsphase verlängert. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass viele Süßwaren wie Schokoladenprodukte einen hohen Anteil an Fett enthalten können [4].

Kohlenhydrate und Diabetes

Allgemein wird Diabetikern heute keine andere Ernährung empfohlen als die, die zur Gesunderhaltung allen Menschen angeraten wird, so dass sich unter diesen Umständen die Lebensmittelauswahl nicht von der der Familie und des Freundeskreises unterscheiden muss. Eine Saccharosemenge von bis zu 10%, bezogen auf die Gesamtenergie, ist akzeptabel. In Bezug auf Kohlenhydrate sollten Diabetiker darauf achten, dass die aufgenommenen Lebensmittel reichlich Ballaststoffe enthalten und sich durch eine geringe Blutzuckerwirksamkeit auszeichnen. So sind Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, (Vollkorn-) Getreideprodukte, Nudeln, Reis und Kartoffeln für Diabetiker geeignet und zu empfehlen [8]. Dagegen sind zuckerhaltige Getränke nicht zu empfehlen und sollten ausschließlich zur Behandlung von Hypoglykämien verwendet werden.

Problem Lactoseintoleranz

Lactasemangel zählt in Europa zu den häufigsten Disaccharid-Unverträglichkeiten (10 - 20% der Erwachsenen). Das Vorhandensein von Lactase im Erwachsenenalter ist jedoch kein Defekt, sondern vielmehr eine Besonderheit der Nordeuropäer. Fehlt Lactase, so gelangt Lactose in den Dickdarm, wo sie hygroskopisch wirkt und von Darmbakterien vergoren werden kann. Dies hat Blähungen und Durchfälle bei den Betroffenen zur Folge.

Menschen, bei denen ein Lactasemangel vorliegt, werden Hart- und Schnittkäse, die nur Spuren von Lactose enthalten und Sauermilchprodukte empfohlen. Heute stellen vor allem Milchpulver in Fertigprodukten und der Zusatz von Lactose in Medikamenten und Diätprodukten ein Problem für Menschen mit Lactoseintoleranz dar [2, 6].

Ballaststoffe: Vorkommen und Funktionen

Ballaststoffe sind pflanzlicher Herkunft und können durch körpereigene Enzyme des Gastrointestinaltraktes nicht abgebaut werden. Ballaststoffe sind mit Ausnahme von Lignin zu den Kohlenhydraten zu zählen. Als Beispiel sind Cellulose, Pektin, resistente Stärke, nicht verdauliche Oligosaccharide etc. zu nennen.

Ballaststoffe haben innerhalb des Gastrointestinaltraktes eine Reihe wichtiger, zum Teil sehr unterschiedlicher Funktionen, und haben Einfluss auf den Stoffwechsel. Das hohe Wasserbindungsvermögen der Ballaststoffe führt zu einer rascher einsetzenden Sättigungsphase, die durch eine verzögerte Magenentleerung länger anhält. Im Ileum und Colon führt dies zu einer Verkürzung der Transitzeit. Im Dickdarm werden sie partiell durch Bakterien abgebaut. Es entstehen kurzkettige Fettsäuren, die der Darmmucosa als Nährstoffe dienen und gleichzeitig den intestinalen pH-Wert herabsetzen. Auch die Steroid-, Gallensäure- und Schwermetallbindung im Dünndarm ist ein erwünschter Effekt. So können Ballaststoffe einigen Erkrankungen und Funktionsstörungen entgegenwirken wie Obstipation, Gallensteinen, Dickdarmkrebs, Übergewicht, Diabetes mellitus und Arteriosklerose. Unerwünschte Wirkungen wie die Bindung essentieller Nährstoffe, Mucosaveränderungen oder Gasbildung sind gegenüber den genannten Vorteilen meistens zu vernachlässigen [3, 6].

Zufuhrempfehlungen für Ballaststoffe

Den DACH-Referenzwerten zufolge werden ca. 30 g Ballaststoffe/d empfohlen. Für Frauen gilt dabei eine tägliche Aufnahme von 12,5 g Ballaststoffen/1000 kcal und für Männer eine Aufnahme von 10 g Ballaststoffen/1000 kcal. Diese Richtwerte werden jedoch von keiner Bevölkerungsgruppe in Deutschland erreicht [5]. Bei der Lebensmittelauswahl (Tab. 2) sollte darauf geachtet werden, dass sowohl Vollgetreide (überwiegend unlösliche Ballaststoffe) als auch Obst, Gemüse und Kartoffeln (überwiegend lösliche Ballaststoffe) auf dem Speiseplan stehen, da die einzelnen Ballaststoffkomponenten unterschiedliche Wirkungen aufweisen [3, 6]. 

Literatur: [1] Kasper, H.: Ernährungsmedizin und Diätetik. Urban und Schwarzenberg, Wien. 8. Auflage (1996). [2] Biesalski, H.-K.: Kohlenhydrate. In Biesalski, H.-K., Fürst, P., Kasper, H., Kluthe, R., Pölert, W., Puchstein, C., Stähelin, B. (Hrsg.): Ernährungsmedizin. Thieme, Stuttgart 3., erweiterte Auflage, 60-64 (2004). [3] Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE); Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE); Schweizerische Gesellschaft für Ernährungsforschung (SGE); Schweizerische Vereinigung für Ernährung (SVE) (Hrsg.): Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Frankfurt/Main 1. Auflage, 59-63 (2000). [4] Hofmann, L.: Grundlagen Update: Kohlenhydrate in: aid-Verbraucherdienst 6, 393-396 (2000). [5] Mensink, G. u. M. v. Beitz; R; Burger, M; Hintzpeter, B; Henschel, Y.: Beiträge zur Gesundheitsberichtserstattung des Bundes "Was essen wir heute? Ernährungsverhalten in Deutschland". Robert Koch-Institut Berlin, 33-38 (2002). [6] Biesalski, H.-K., Grimm, P.: Taschenatlas der Ernährung. Thieme, Stuttgart 2. Auflage, 48-74 (2001). [7] Thews, G.; Mutschler, E; Vaupel, P.: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 4. Auflage, 246;565 (1991). [8] Toeller M.; Gries F. A.: Diabetes mellitus. In Biesalski, H.-K., Fürst, P., Kasper, H., Kluthe, R., Pölert, W., Puchstein, C., Stähelin, B. (Hrsg.): Ernährungsmedizin. Thieme, Stuttgart 3., erweiterte Auflage, 416-418 (2004). Katja Aue, Kiel

In der ersten Folge unserer Serie "Basiswissen Ernährung" haben wir die Nahrungsenergie unter die Lupe genommen. In dieser Folge dreht sich nun alles um Kohlenhydrate - also einen Nahrungsbestandteil, dessen Hauptfunktion die Bereitstellung von Energie ist. Mehr als die Hälfte der täglichen Kalorienzufuhr sollen wir über Kohlenhydrate zu uns nehmen. Allerdings ist nicht jedes Kohlenhydrat dabei gleich "wertvoll".

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