Arzneimittel und Therapie

Sildenafil zur Behandlung des Lungenhochdrucks zugelassen

Am 6. Juni 2005 wurde die uneingeschränkte Zulassung des Phosphodiesterasehemmers Sildenafil (Viagra®) unter dem Handelsnamen Revatio® zur Behandlung des Lungenhochdrucks durch die amerikanischen Behörden FDA (Food and Drug Administration) erteilt. Wie Pfizer mitteilte, wird die europaweite Zulassung zum Ende 2005 erwartet. Die Zulassung erfolgte im Eilverfahren aufgrund der akut lebensrettenden Wirksamkeit für geschätzte 100.000 Patienten weltweit. Insgesamt sind von den verschiedenen Formen des Lungenhochdrucks jedoch viele Millionen Patienten betroffen. Sildenafil ist damit das erste Medikament, das auch in den frühen Stadien der Krankheit in der Dosierung von 20 mg/3 T pro Tag) eingesetzt werden darf. Die erweiterte Anwendung von Sildenafil wird derzeit in weltweiten Studien überprüft.

 

Verengung der Lungengefäße durch Sauerstoffmangel

Pulmonaler Lungenhochdruck resultiert aus einer chronisch fortschreitenden Verengung der Blutgefäße in der Lunge und endet im Rechtsherzversagen. Eine Vielzahl von Faktoren wie COPD, Lungenfibrose, Kollagenosen, Lungenembolie können die Lungengefäßveränderungen auslösen, für die es bisher keine Heilung gibt. Seit vielen Jahren konzentriert sich die Arbeitsgruppe "Respiratorische Insuffizienz" der Universität Gießen auf die Entwicklung neuer Therapiestrategien bei der pulmonalen arteriellen Hypertonie.

Erste klinische Studien mit Sildenafil wurden im off label use an schwerstkranken Patienten durchgeführt. 300 Patienten mit pulmonaler Hypertonie (Säuglinge, Kinder und Erwachsene) wurden am Universitätsklinikum Gießen mit Sildenafil am Leben erhalten. Der Beweis der Effektivität an gesunden Probanden erfolgte in einem einfachen Experiment, der Giessen-Mt. Everest-Studie. Ein Ärzteteam hatte im April und Mai 2003 eine internationale Bergsteigergruppe zum Mount Everest begleitet. Ziel dieser Untersuchungen war es, in extremen Höhen Veränderungen der Herz- und Lungenfunktion zu untersuchen, die modellhaft für die Krankheitsprozesse bei lungenkranken Patienten sind.

Extreme Höhe als Modell für Lungenhochdruck

Die durch Sauerstoffmangel bedingten Veränderungen bei Extrembergsteigern und Höhenbewohnern haben Modellcharakter für eine Vielzahl von Herz- und Lungenerkrankungen, wie die Chronisch Obstruktive Lungenerkrankung, Lungenfibrose, angeborene Herzfehler, chronisches Linksherzversagen oder akute und chronische Lungenembolien. Bei diesen Erkrankungen kommt es zu vergleichbaren Gefäßreaktionen, die entweder durch die schlechte Belüftung der Lungenbläschen oder durch Entzündungsvorgänge ausgelöst werden. Die Muskulatur der rechten Herzkammer wird dauerhaft überansprucht.

Sowohl für Bergsteiger, die in eine Notlage geraten, als auch für Patienten mit den genannten Erkrankungen sollte eine gezielte Therapie des Lungenhochdrucks entwickelt werden. Die Wirkung von Sildenafil wurde im Rahmen des Mount Everest Experiments zunächst an gesunden Bergsteigern untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass der im Rahmen der Höhenkrankheit auftretende pulmonale Hochdruck (PAH) durch die Einnahme von Sildenafil gesenkt werden kann. Zudem zeigten die Gießener Pulmologen in einer kleineren Studie mit 16 Patienten, dass Sildenafil auch bei Patienten mit PAH wirksam ist.

In einer größeren Zulassungsstudie an 277 Patienten mit pulmonaler Hypertonie erhielten die Patienten Plazebo oder Sildenafil in drei unterschiedlichen Dosierungen (20 mg, 40 mg oder 80 mg dreimal täglich). Primärer Endpunkt war die Verbesserung der Sechs-Minuten-Gehstrecke nach Abschluss der zwölfwöchigen Therapie. Sie verbesserte sich bei allen drei Dosierungen um 45 bis 50 Meter, sodass die niedrigste Dosis (20 mg, dreimal täglich) zugelassen wurde. Nach dem Ende der Studie wurden die Patienten über ein Jahr mit Sildenafil weiterbehandelt. Am Ende des Jahres war die Gehstrecke stabil, und 94% der Patienten waren noch am Leben.

Gefäße in gut belüfteten Lungenbereichen erweitern

Sildenafil ist in der Lage, durch Senkung eines durch Sauerstoffarmut hervorgerufenen Lungenhochdrucks die körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern. Eine atmosphärische Sauerstoffarmut, wie sie in extremen Höhenlagen vorkommt, führt zur Verengung von Lungengefäßen auch in sonst gesunden Personen. Innerhalb weniger Wochen werden wie im Zeitraffer Reaktionen im Gefäßsystem ausgelöst, die sich bei chronischen Lungenerkrankungen über Jahre und Jahrzehnte hinweg entwickeln. Glücklicherweise erholen sich die Organe bei den Bergsteigern aufgrund der nur vorübergehenden Exposition, wohingegen die Krankheitsprozesse bei den Patienten bislang unumkehrbar sind.

Die Veränderungen in der Lungenstrombahn, die unter diesen experimentellen Bedingungen der "äußeren Sauerstoffarmut" auftreten, ähneln den pathologischen Prozessen, wie sie bei Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen und "innerer Sauerstoffarmut" auftreten. Sildenafil ist die erste Substanz, die die Mikrozirkulation selektiv verbessert: Es weitet speziell die Lungengefäße, die in gut belüftete Lungenbereiche führen. Der pulmonale Blutfluss wird dorthin umgeleitet, wo die beste Belüftung und Sauerstoffanreicherung innerhalb der Lunge herrscht.

Sildenafil erhöht außerdem die Auswurfleistung des Herzens und steigert somit insgesamt die körperliche Leistungsfähigkeit bei Sauerstoffmangel. Es resultiert eine Entlastung der Herzmuskulatur bei gleichzeitiger Verbesserung der Sauerstoffaufnahme. ck

 

Quelle
Sildenafil (Viagra®) unter dem Namen Revatio® zur Behandlung des Lungenhoch- drucks zugelassen. Pressemitteilung des Universitätsklinikums Gießen vom 9.Juni 2005.
Das Everest-Experiment: Bergsteiger als Modell einer Lungenhochdruck-Erkrankung. Pressemitteilung des Universitäts- klinikums Gießen.

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Tödliche Gefahr durch die Höhe Sowohl bei Bergsteigern und Höhen-Rettungsteams als auch bei Bewohnern großer Höhen kommt es zu Fehlfunktionen der Herz- und Lungensysteme, die nur zum Teil durch Akklimatisation kompensiert werden können. Der in großen Höhen herrschende Sauerstoffmangel bewirkt dramatische Reaktionen der Lungengefäße (Verengung und gesteigerte Zellteilung), die bei nicht-akklimatisierten Personen bis hin zum akuten Kreislauf- und Lungenversagen mit teils tödlichem Ausgang führen können.

Die Akklimatisierung bedeutet unter anderem, dass die rechte Herzkammer sich dem erhöhten Widerstand im Lungenkreislauf allmählich durch eine Zunahme seiner Muskelmasse und Pumpkraft anpasst. Der Druck im Lungenkreislauf steigt an. Dennoch kann es bei längerem Aufenthalt in großen Höhen bei zunehmender Verdickung der Lungengefäßwände zu einer schleichenden Überlastung des rechten Herzens und Abnahme der körperlichen Belastbarkeit kommen. Ein längerer Aufenthalt in Höhen über 5500 m kann auf Dauer nicht überlebt werden. In der Todeszone ab 7000 m ist ein Überleben ohne Hilfsmittel sogar nur für wenige Stunden bis Tage möglich.

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