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IceCube spürt Neutrinos auf

Im Eis der Antarktis wird ein Teleskop vergraben. Es soll die Neutrinos der Sterne belauschen. Der "IceCube" wird ein Volumen von einem Kubikkilometer haben und das größte wissenschaftliche Instrument der Erde sein. Seine Messergebnisse versprechen Nachrichten aus der Urzeit des Universums.

 

Neutrinos sind scheue Wesen

Der Mensch ist angefüllt mit einem permanenten Strom Neutrinos. Jede Sekunde durchströmen hundert Billionen (1014) dieser Teilchen seinen Körper. Allein unsere Sonne schickt in jeder Sekunde 70 Milliarden Neutrinos auf jeden Quadratzentimeter der Erde. Sie hinterlassen aber fast keinerlei Wirkung, sind unbeeinflussbar. Nur äußerst selten trifft ein Neutrino auf ein Neutron, das darauf in ein Proton und ein Elektron zerfällt. Neutrinos fliegen nahezu mit Lichtgeschwindigkeit, sind elektrisch neutral und praktisch masse- und wirkungslos. Statistisch gesehen müsste ein Neutrino eine 1000 Lichtjahre dicke Bleiplatte durchfliegen, um mit einem anderen Teilchen zu kollidieren. Diese extrem geringe Wechselwirkungswahrscheinlichkeit hat aus Sicht der Forscher sowohl Vor- als auch Nachteile.

Da sie so gut wie gar nicht mit ihrer Umgebung reagieren, tragen Neutrinos unverfälschte Informationen mit sich. Während das Licht eines weit entfernten Sternes von den Himmelskörpern abgelenkt und von kosmischen und irdischen Staubwolken einfach geschluckt oder reflektiert wird, ziehen die Neutrinos unbeeinflusst ihre Bahnen. Sie sind unmittelbare und unverfälschte Boten ihres Ursprungs und erzählen deshalb spannende Geschichten aus der Frühzeit des Universums. Das können Photonen nicht, die lediglich aus der Oberfläche der Sterne austreten.

Chemische Reaktionen

Die extrem geringe Wechselwirkungswahrscheinlichkeit macht Neutrinos fast unsichtbar. Doch ihre enorme Anzahl kompensiert diesen Nachteil in gewisser Weise. Sind die Empfangsantennen nur groß genug, lassen sich auch Neutrinos beobachten. Der erste, der dies zum Bau eines Neutrinoteleskops nutzte, war der US-Amerikaner Raymond Davis (Physiknobelpreis 2002, gemeinsam mit dem Japaner Masatoshi Koshiba). Er hatte Ende der 1960er-Jahre einen mit 615 Tonnen Perchlorethylen gefüllten Stahltank 1480 Meter tief in die Homestake-Goldmine in Süddakota, USA, gesetzt.

In diese Tiefe können andere störende Teilchen nicht vordringen. Es lag die Idee zugrunde, dass die Neutrinos der Sonne mit einer Energie oberhalb von 0,814 Megaelektronenvolt (MeV) in seltenen Fällen mit den Chloratomen reagieren und diese in radioaktives Argon umwandeln: ne + 37Cl -> 37Ar + e.

Alle 100 Tage wusch Davis das Argon aus und maß dessen Aktivität. Zwischen 1967 und 1994 erhielt er nur eine Ausbeute von 2000 37Ar-Atomen; das sind weniger als sechs je Monat. Dabei wichen die tatsächlichen Werte entsprechend der variierenden Distanz zwischen Erde und Sonne vom Durchschnittswert ab. Nach den darauf basierenden Berechnungen ist das Innere derSonne mit 13 Mio. °C wesentlich kälter als die vorher berechneten 15 Mio. °C.

Davis konnte mit seiner Anordnung nur 0,01 Prozent der Sonnenneutrinos nachweisen. Um energieärmere Neutrinos zu finden, entwickelte man Galliumdetektoren, bei denen die Neutrinos mit einer Energie oberhalb von 0,23 MeV – das ist die Hälfte der Sonnenneutrinos – folgendermaßen reagieren: ne + 71Ga -> 71Ge + e

Blaue Lichtblitze

Die dritte Generation der Neutrinoteleskope wendet ein physikalisches Verfahren an, das wesentlich kostengünstiger ist als die chemischen Verfahren. Kollidiert ein Neutrino mit einem Atomkern, bilden sich u. a. Paare negativ geladener Myonen und positiv geladener Anti-Myonen. Diese zerfallen sehr schnell weiter in:

  • ein Elektron, ein Elektron-Anti-Neutrino und ein Myon-Neutrino bzw.
  • in ein Positron, ein Elektron-Neutrino und ein Myon-Anti-Neutrino.

Die Myonen senden elektromagnetische Wellen in Form von sichtbarem blauem Licht aus, die Tscherenkow-Strahlung. Da ein Myon die Flugrichtung des initiierenden Neutrinos beibehält, lässt sich dessen Flugbahn rekonstruieren. Die modernen Neutrinoteleskope verwenden als Detektionsmaterial reines Wasser oder Eis. Die Detektionsgrenze ist zwar sehr hoch – die Neutrinos müssen eine Energie von mindestens 7,3 MeV haben –, dafür lassen sich die Neutrinos aber in Echtzeit nachweisen und auch ihre Einfallsrichtung bestimmen. Außerdem können außer Elektron-Neutrinos auch Myon-Neutrinos gemessen werden.

Ein neues Fenster ins All

Wie erfolgreich dieses Verfahren sein kann, zeigte der Superkami-okande-Detektor in Japan, der Neutrinos aus der Supernova 1987A in der Magellanschen Wolke nachwies und damit zum ersten Mal nichtsolare Neutrinos detektierte. 19 Neutrinowechselwirkungen wurden innerhalb von zwölf Sekunden beobachtet.

Sehr wahrscheinlich entstehen Neutrinos auch in aktiven Galaxien und in den Gamma Ray Bursts (GRB) – das sind plötzlich auftretende, zwischen 0,01 und 1000 Sekunden dauernde Gammastrahlenausbrüche rätselhaften Ursprungs außerhalb unserer Galaxie. GRBs könnten bei der Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem anderen oder mit einem Schwarzen Loch entstehen. Dieses Beispiel zeigt, dass Neutrinos für die Physik ungeheuer interessant sind.

Das größte Instrument

der Erde

Derzeit entsteht am Südpol mit dem IceCube unter maßgeblicher Beteiligung des DESY (Deutsches Elektronensynchrotron) in Zeuthen bei Berlin das größte Teleskop der Welt. Mit ihm soll das Fenster in die Vergangenheit des Universums noch ein großes Stück weiter aufgestoßen werden. Der Aufbau wird bis zum Jahr 2010 dauern.

IceCube hat ein Volumen von etwa einem Kubikkilometer. Er besteht aus 80 Trossen von 2400 Meter Länge, die im Abstand von 125 m regelmäßig über eine Fläche von einem Quadratkilometer mit einer neuentwickelten Heißwasserbohranlage ins ewige Eis geschmolzen werden. An den unteren 1000 m der Trossen (also in 1,4 bis 2,4 km Tiefe) werden jeweils 60 fast fußballgroße Lichtsensoren im regelmäßigen Abstand von 17 m befestigt. In den Kabeln sind die Stromversorgung und der Kommunikationskanal untergebracht.

Als Sensoren werden Photomultiplier verwendet, die schon auf ein einziges Photon (Lichtquant) reagieren. Sie wandeln die Tscherenkow-Strahlung, die bei der Wechselwirkung von Neutrinos mit dem Eis entsteht, in einen elektrischen Impulse um, der sogleich in ein digitales Signal übersetzt wird. Jeder Sensor ist mit einem Chip ausgerüstet, der ihn direkt mit dem Rechner der Wissenschaftler verbindet. Gemessen wird die Ankunftszeit der Tscherenkow-Strahlung mit einer maximalen Abweichung von fünf Nanosekunden.

Für jedes detektierte kosmische Neutrino fängt IceCube eine Million Neutrinos aus der Atmosphäre auf, die dort durch Wechselwirkung der kosmischen Strahlung mit Atomkernen entstehen. Da IceCube die Flugrichtung der Neutrinos bestimmen kann, kann es auch ihre Herkunft unterscheiden.

Sind Neutrinos

die Dunkle Materie? IceCube soll kosmische Katastrophen beobachten. Explodierende Sterne, GRBs, zusammenbrechende Schwarze Löcher und Neutronensterne und andere Punktquellen gehören dazu. Das Teleskop soll auch nach der Dunklen Materie suchen. Denn noch immer ist rätselhaft, wo sich die riesige Masse versteckt, die nach physikalischen Berechnungen im Universum vorhanden sein muss. Neutrinos sind ein potentzieller Kandidat für diese Masse, nachdem 2001 experimentell nachgewiesen werden konnte, dass Neutrinos definitiv eine von Null verschiedene Masse besitzen. Die Teilchen sind damit zu einem wichtigen Teil der Vorstellung von der Teilchenphysik, der Astrophysik und der gesamten Kosmologie geworden.

 

Literatur
Simonyi, Károly: Kulturgeschichte der Physik. Frankfurt a. M. 1990.
Dr. Uwe Schulte
Händelstraße 10, 71640 Ludwigsburg schulte.uwe@t-online.de

Vor 75 Jahren vorhergesagt

"Also, liebe Radioaktive, prüfet und richtet!". Das schrieb Wolfgang Pauli (Physik-nobelpreis 1945) 1930 in einem Brief an Lise Meitner und Hans Geiger in Berlin. Der exzentrische Physiker, der der Legende nach kein Physiklabor betreten konnte, ohne etwas kaputt zu machen, hatte ein neues Teilchen gefordert. Dies war eine ungeheure Provokation. Denn zu der Zeit waren lediglich das Proton und das Elektron bekannt. Das Neutron wurde erst 1933 entdeckt. Das geforderte Teilchen müsse ganz ungewöhnliche Eigenschaften besitzen. Elektrisch neutral sollte es sein. Jegliche Materie würde es durchdringen können und seine Masse ginge gegen Null. Das Teilchen erschien Pauli notwendig, um das Fehlen von Energie beim radioaktiven Betazerfall zu erklären.

Neutrinos

Das Elektron-Neutrino (ne) gehört wie das Elektron (e–) zu den Leptonen. Es hat aber keine elektrische Ladung und eine sehr viel kleinere Masse. Außer dem Elektron-Neutrino gibt es das Myon-Neutrino (nm) und das Tauon-Neutrino (nt) sowie die jeweiligen Anti-Neutrinos (n–e n–m n–t).

Kooperation 

Das IceCube-Projekt wird von 30 Universitäten und Instituten getragen. Darunter sind fünf aus Deutschland und elf aus den USA.

Neutrinos im Netz

Übersicht www.weltderphysik.de/themen/ bausteine/teilchen/neutrinos

IceCube-Projekt http://icecube.wisc.edu

Neutrinoastrophysik am DESY in Zeuthen bei Berlin www-zeuthen.desy.de/nuastro

Max-Planck-Institut für Kernphysik www.mpi-hd.mpg.de/nuastro

Homestake-Messung von Raymond Davis www.bnl.gov/bnlweb/raydavis/ research.htm

Borexino-Teleskop http://borex.lngs.infn.it

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