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Physik: Die Superstringtheorie

Das Universum in allen seinen Details, vom gigantischen Attraktor, der ganze Galaxien an sich zieht, bis hin zum Allerkleinsten, das die Welt im Innersten zusammenhält, zu beschreiben, das ist die Aufgabe der Physik. Dabei entwickelt die Physik auch theoretische Konzepte, die sich experimentell (noch) nicht überprüfen lassen.

Mehr als 2000 Jahre lang, seit Demokrit (etwa 460-375) und Leukipp (um 400), kam die Physik mit den Atomen, den unteilbaren Bausteinen der materiellen Welt, gut zurecht. Lord Kelvin glaubte noch um 1900, dass in der Physik nichts Neues mehr zu entdecken sei. Doch dann hat das 20. Jahrhundert die Physik in einer Weise verwandelt, die den gesellschaftlichen Umwälzungen in nichts nachsteht.

Die Stringtheorie, die sich anschickt, die materielle Welt mit allen letzten Geheimnissen zu erklären, ist wohl eigentlich eine Theorie des 21. Jahrhunderts. Sie ist nicht nur hypothetisch, es fehlt auch das Handwerkszeug, sie vollständig zu gestalten. Gleichwohl ist sie sehr populär, weil sie das größte Problem der Physik, die Zusammenführung der Allgemeinen Relativitätstheorie mit der Quantentheorie, ermöglichen könnte.

Subatomare Teilchen: Quarks und Leptonen

Das derzeitige Verständnis der fundamentalen Naturkräfte beruht auf den beiden Grundpfeilern Quantenfeldtheorie und Allgemeine Relativitätstheorie. Die Quantenfeldtheorie liefert für das Verständnis der Elementarteilchen sehr stimmige, experimentell nachprüfbare Ergebnisse, die Relativitätstheorie tut das Gleiche für die Astronomie und Kosmologie.

Alle Materie setzt sich aus Quarks und Leptonen zusammen. Die Quarks bilden die Protonen und Neutronen, aus denen die Atomkerne bestehen, aber sie bilden auch Teilchen der kosmischen Strahlung, wie z.B. die Mesonen (übergeordneter Begriff: Hadronen). Zu den Leptonen gehören z.B. die Elektronen.

Im subnuklearen Bereich werden Materie und Kräfte durch Quantenfelder beschrieben, das sind aus Energiepaketen zusammengesetzte Kraftfelder. Auch das Licht besteht aus gequantelten Energiepäckchen, den Photonen. Folgende Kräfte bzw. Wechselwirkungen unterscheidet die Quantenphysik:

  • Die schwache Kraft: Sie beschreibt die Wechselwirkung zwischen Elektronen und Atomkern. Bestimmte radioaktive Zerfälle (Beta-Strahlung) und Vorgänge in der Sonne unterliegen der schwachen Kraft.
  • Die elektromagnetische Kraft: Durch einen Griff in die Steckdose lässt sich diese Kraft ohne weiteres sinnlich erfahren. Über die Elektronen ist sie z.B. für alle chemischen Phänomene verantwortlich.
  • Die starke Kraft: Die stärkste aller Kräfte hält die Atomkerne gegen die elektromagnetische Kraft zusammen. Sie wird in Atomreaktoren nutzbar gemacht.

Einsteins Deutung der Schwerkraft

Die Naturkraft, die dem Menschen am deutlichsten erfahrbar ist, ist die Gravitation oder Schwerkraft. Newton hat sie mit den Methoden der klassischen Physik definiert. Einstein beschrieb sie aufgrund der Allgemeinen Relativitätstheorie als Krümmung des vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums, das mit Quanten gar nichts zu tun hat.

Bei sehr hohen Energiedichten, wie es sie in Schwarzen Löchern gibt oder wie sie wenige Sekundenbruchteile nach dem Urknall vorgelegen haben, ist allerdings eine Synthese der beiden Theorien notwendig. Denn hier können weder Quanteneffekte noch Raumkrümmung vernachlässigt werden.

String: Punkt mit schwingender Saite

Bisher betrachtet man zum Beispiel das Elektron näherungsweise als Punkt. Da ein Punkt aber keine Ausdehnung hat, könnten sich zwei Elektronen unendlich nahe kommen. Die Schwerkraft zwischen ihnen würde theoretisch ins Unendliche anwachsen, die Elektronen zu einem quantisierten Schwarzen Loch werden - eine paradoxe physikalische Vorstellung, die nur mit mathematischen Verrenkungen zu umgehen ist.

Die Theorie der kleinsten Bausteine erfordert deshalb ein neues Konzept. Hervorragender Kandidat dafür ist die Superstringtheorie. Sie beschreibt das Elektron als schwingende Saite einer bestimmten, wenn auch winzigen, Ausdehnung. Zwei Saiten können sich niemals so nahe kommen wie zwei Punkte.

Strings werden als eindimensionale Objekte (string = Saite) betrachtet, aus denen die Bausteine der subatomaren Teilchen, die Quarks und Leptonen, aufgebaut sind. Wie die Obertöne einer Geige verschiedenen Klängen entsprechen, sind alle Elementarteilchen verschiedene Töne der Natur. Der String eines Elektrons soll etwa 10-33 cm lang sein. Eine nicht vorstellbare Winzigkeit. Ein Atom hat dagegen die riesige Dimension von etwa 10-8 cm.

Theoretisch sollte man einen String wie einen Kaugummi durchs Zimmer ziehen können. Das wäre ein Analogon zum kosmischen String, über den die Astronomen spekulieren. Kosmische Strings könnten sich über größere Bereiche des Himmels erstrecken und sollten irgendwann mit einem Teleskop entdeckt werden.

Die fünfte Dimension

Die Theorie der kosmischen Strings basiert auf Überlegungen von Theodor Kaluza (1885 bis 1954) und seinem schwedischen Kollegen Oskar Klein (1894 bis 1977). Sie hatten eine fünfte Dimension vermutet, die nicht unendlich ausgedehnt ist wie der Raum, sondern kreisförmig geschlossen.

Auf einer Kreisbahn um ein geladenes Teilchen sollten geschlossene Quantenwellen umlaufen. Jede Welle kann nach dem Welle-Teilchen-Dualismus auch als Teilchen verstanden werden. Seine Energie und damit seine Masse wäre durch die Länge der Quantenwelle, mithin durch den Radius, gegeben.

Für die elektrische Elementarladung des Elektrons müsste der Radius bei 10-33 cm liegen. Mit anderen Worten: Der Elektromagnetismus sollte als Krümmungseffekt in einer fünften Dimension aufgefasst werden.

Zehndimensionaler Raum

Die eigentliche Stringtheorie geht jedoch auf Arbeiten des Italieners Gabriele Veneziano aus den 60er-Jahren zurück. Er hatte die rätselhafte, extrem kurze Lebenszeit (10-23 s) mancher Hadronen (s.o.) untersucht. Sein Modell lieferte eine schwingende Saite anstatt eines Teilchens.

Der entscheidende Fortschritt gelang 1984, als ein zehndimensionaler Raum für die eindimensionalen Strings postuliert wurde. Sechs Dimensionen sollten irgendwie aufgerollt und sehr klein sein. Es entstanden fünf Varianten der Theorie. Eine davon ging von kurzen Kurvenstücken aus, die anderen vier von schlaufenförmigen Strings.

p-dimensionale Membranen

Elementarteilchenphysiker sind in der Betrachtung ihrer Teilchen sehr kreativ. Während sich Murray Gell-Mann, der Erfinder der Quark-Hypothese, mit dem Wort "Igitt!" von der vieldimensionalen Theorie abwandte, freuten sich andere, nun in einer zehndimensionalen Welt zu leben. Wieder andere überlegten, ob nicht auch "Superravioli" möglich wären, wenn es schon diese "Superspaghetti" in "p-dimensionalen" Räumen geben sollte.

Die Superravioli sind in der Tat der letzte Schrei der Stringtheoretiker. Denn es soll sich nun nicht mehr um Saiten, sondern um mehrdimensionale Membranen handeln. Das "M" dieser M-Theorie darf man nach Edward Witten aus Princeton, einem der führenden Stringforscher, nach Belieben als Abkürzung für "magic", "mystery" oder "membrane" auffassen. Der Fachbegriff lautet "p-branes" für p-dimensionale Membranen.

Die Physiker sprechen von einer Revolution in der Stringtheorie. Sie hoffen, mit den p-branes die Schwarzen Löcher besser zu verstehen. Nimmt man die Idee ernst, so zerrinnt nach Aussage von Dieter Maison vom Max-Planck-Institut für Physik in München das Konzept der Elementarteilchen etwas zwischen den Fingern, da nicht mehr deutlich werde, welche Elementarteilchen nun noch elementar und welche zusammengesetzt sind. "Die Elementarteilchen hängen damit nur noch an einem seidenen (Super)Faden."

Die Weltformel in Reichweite?

In der Quantenphysik verliert die Unterscheidung zwischen Kraft und Materie ihre Bedeutung. Denn sie ordnet allen Kräften Elementarteilchen zu (Tab. 2). Bisher gelang es, die schwache und die elektromagnetische zur elektroschwachen Kraft zusammenzufassen. Ziel ist jedoch die "Weltformel", die alle vier Kräfte (d.h. auch die starke Kraft und die Gravitation) auf ein einheitliches Prinzip zurückführt. Falls die Stringtheorie dazu beitragen kann, wäre eine Theorie für "Alles" in Reichweite. Eine solche Idee war bereits vom Marquis Pierre de Laplace (1749-1827) formuliert worden:

"Eine Intelligenz, der zu einem bestimmten Zeitpunkt sowohl alle in der Natur wirksamen Kräfte als auch die momentanen Positionen aller Objekte im Universum bekannt sind, wäre in der Lage, die Bewegungen der größten Himmelskörper ebenso wie die der kleinsten Atome nach einer einzigen Formel zu begreifen, vorausgesetzt, sie wäre fähig, sämtliche Daten zu analysieren. Nichts bliebe ihr ungewiss, und Zukunft und Vergangenheit wären ihrem Auge gegenwärtig."

Doch die Physiker wären auch damit noch nicht zufrieden. Denn die Frage, warum das Weltall so ist, wie es ist, ist noch lange nicht entschieden; sogar wenn sich die Stringtheorie als korrekt erweisen sollte.

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