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Wie werden Wirtschaftlichkeitsdaten von Arzneimitteln bestimmt?

KÖLN (tmb). Die Pharmakoökonomie ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft. Über die Gestaltung von Studien besteht daher noch geringer Konsens. Mögliche europaweit akzeptierte Konzepte für solche Studien waren Gegenstand der ISPOR-Konferenz vom 10. bis 12. Dezember in Köln. Bei klinisch-pharmakologischen Studien gilt die randomisierte Doppelblindstudie als Goldstandard. Ihr Hauptvorteil besteht in der hohen internen Validität, die durch eine geringere externe Validität erkauft wird, d. h. die Studien sind in sich schlüssig, geben aber nicht unbedingt die Verhältnisse der realen Welt wieder. Untersucht werden zumeist idealtypische Patienten in einer begrenzten Altersgruppe mit nur einer Krankheit. Die reale Welt mit multimorbiden Patienten aus verschiedensten Alters- und Gesellschaftsgruppen wird zumeist ausgeklammert. Eine aussagekräftige ökonomische Untersuchung kann derartige Einschränkungen aber nicht zulassen. Denn hier geht es um die Krankheitskosten und sonstigen wirtschaftlichen Folgen in der gesamten Gesellschaft oder zumindest für die Versicherten einer bestimmten Krankenversicherung. Solche Studien müssen daher repräsentativ für die gesamte Vielfalt aller Menschen sein, die an der jeweils untersuchten Erkrankung leiden bzw. das betreffende Arzneimittel anwenden sollen. Da sich die reale Welt aber nicht nach Belieben randomisieren und verblinden läßt, endet an dieser Stelle die Anwendbarkeit der angeblich so aussagekräftigen Doppelblindstudien.

Abschied vom Goldstandard

Wegen der grundsätzlichen Probleme randomisierter Studien sind als Informationsquellen für pharmakoökonomische Betrachtungen bevorzugt Daten aus der "Realität" zu verwenden. Dies bietet zahlreiche Vorteile: So lassen sich Aussagen über sehr lange Perioden und sehr seltene Krankheiten bzw. Komplikationen machen. Zudem ist dies im Vergleich zu gezielten Studien sehr billig. Als Nachteil ist eine Verzerrung der gefundenen Daten aufgrund der Fragestellung zu erwarten. Es ist daher zu empfehlen, vor der Recherche eine Frage oder Hypothese möglichst klar zu formulieren.
Die Betrachtung der realen Verhältnisse in ihrer ganzen Vielfalt erfordert, in die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen vielfältige Modellannahmen aufzunehmen, wie sie in praktisch allen Teilbereichen der Ökonomie allgemein üblich sind. Diese den Ökonomen vertraute Arbeitsweise führt einerseits bei Nicht-Ökonomen noch immer zu Akzeptanzproblemen.
Andererseits gibt sie auch unter den Experten in der Pharmakoökonomie Anlaß zu Diskussionen über die jeweils zu treffenden Annahmen. Idealerweise sollten pharmakoökonomische Studien Aussagen über die therapeutischen Ergebnisse sowie die Therapie- und Folgekosten während der gesamten Lebenszeit eines Patienten machen. Da derartig lange Studien in "Echtzeit" nicht praktikabel sind, müssen aussagekräftige Parameter gefunden werden, die in Modellrechnungen zur Ermittlung langfristiger Effekte eingehen.

Solche Modelle werden stets Anlaß zu Kritik geben, doch müssen sie offen diskutiert werden können. Entsprechendes gilt für alle Verfahren zur Bewertung von Kosten und therapeutischen Konsequenzen, z. B. die Auswahl aus der enormen Vielfalt der Konzepte zur Beschreibung der Lebensqualität. Es ist daher dringend Transparenz für alle verwendeten Daten und Modelle zu fordern. Nur wenn alle Daten bekannt, diskussionsfähig und bei neuen Erkenntnissen auch änderbar sind, kann eine solche Studie im wissenschaftlichen Sinne akzeptiert werden. Im Interesse der Wissenschaftlichkeit und Glaubwürdigkeit werden sich alle Interessengruppen, wie z. B. Industrie und Krankenkassen, diesem Transparenzgebot unterwerfen müssen.

Europäische Standardisierungsinitiativen

Um die Gestaltung pharmakoökonomischer Studien zu strukturieren, bietet sich eine Standardisierung an. Ein erster Versuch, für eine Harmonisierung in Europa zu sorgen, war die 1994 begonnene HARMET Initiative (Harmonization by Consensus of the Methodology for Economic Evaluation of Health Care Technologies in the European Union). Zum Abschluß der Arbeiten konnte jedoch 1997 kein Konsens über einheitliche europäische Standards vorgelegt werden. Stattdessen entstanden Regeln, die bei der Festlegung von Standards beachtet werden sollen. Als Folgeprojekt begann bereits 1996 EUROMET (European Network on Methodology and Application of Economic Evaluation Techniques), das bis Mitte 1999 abgeschlossen sein wird und einen weitergehenden Konsens erreichen soll. Als einer der beteiligten Wissenschaftler stellte Prof. Dr. J. Matthias Graf von der Schulenburg, Hannover, dieses europäische Projekt vor. Ein abschließendes Consensus-Papier soll 1999 veröffentlicht werden. Dies wird beispielsweise Angaben über die möglichen Betrachtungsperspektiven der Studien enthalten. Diese können z. B. gesamtgesellschaftlich angelegt werden oder auf die Interessen einer Krankenversicherung bezogen werden. Weitere Inhalte betreffen die Messung der Kosten, wobei die indirekten Kosten, z. B. durch Arbeitsausfall, die größten Bewertungsschwierigkeiten aufwerfen.

Ähnlich problematisch ist die Entscheidung für ein Lebensqualitätsmaß, da die Wissenschaft hier inzwischen eine beträchtliche Vielfalt an Fragebögen mit unterschiedlichen Bewertungskonzepten bereitstellt. Allerdings sind die Standardisierungsbemühungen nicht unumstritten. Gegner befürchten eine Überreglementierung, die die natürliche Entwicklung der Wissenschaft hemmt. Als überzeugende Vorteile einer Standardisierung können jedoch die Vergleichbarkeit der Studien und die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse als Produkte klar geregelter Verfahren angesehen werden.

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