DAZ wissenswert

Nachhaltige Sammlung und Nutzung wildwachsender Arzneipflanzen

Sanft heilen, aber hart räubern überschrieb vor einiger Zeit die Zeit einen Bericht über den globalen Raubbau. Pflanzliches in Arzneimitteln und Kosmetika liegt im Trend. Wenig wird aber darüber nachgedacht, woher die pflanzlichen Grundstoffe stammen. So mag es überraschen, dass immer noch 70 bis 80 Prozent der verarbeiteten Arzneidrogen aus Wildsammlungen stammen. Bei ihrer Gewinnung wird nicht immer mit Samthandschuhen gearbeitet.

Ein wichtiges Anliegen der Naturschutzorganisationen WWF und TRAFFIC ist es, in der Bevölkerung, bei Herstellern wie Kunden, das Prinzip der Nachhaltigkeit stärker zu verankern. Arzneidrogen sollen auf ökologisch tragfähige, ökonomisch sinnvolle und sozial verträgliche Weise gewonnen werden. Vor vier Jahren wurde dazu die Arbeitsgruppe Medizin und Artenschutz gegründet (s. DAZ 13/2001).

Die EU - und hier an erster Stelle Deutschland - ist weltweit der größte Verbraucher und Importeur pflanzlicher Drogen. Ihr kommt daher eine entscheidende Verantwortung für die nachhaltige Nutzung von Heil- und Aromapflanzen zu. 55% der Rohware kommen aus Entwicklungsländern, auch Ost- und Südosteuropa gehören zu den wichtigen Exportgebieten (Bulgarien steht weltweit an 10. Stelle).

Arzneipflanzen als Wirtschaftsfaktor

Kürzliche Recherchen in Produkt- und Händlerkatalogen zur Verwendung von (Heil-)Pflanzen in Kosmetika und als Zusatz in Nahrungsmitteln ergaben mehr als 500 phanerogame Blütenpflanzen aus 409 Gattungen, 15 Nadelgehölze, 23 Algen- und acht Pilzarten. Dem stehen nur etwa 150 Arzneipflanzenarten gegenüber, deren verwendete Produkte ausschließlich aus dem Anbau stammen.

Ökonomisch arme, aber botanisch artenreiche Länder profitieren von dem steigenden Bedarf. So ist in Südosteuropa, das sich nach den politischen Krisen und Kriegen der 90er-Jahre erst allmählich konsolidiert, die Wildsammlung von Arzneipflanzen (s. Kasten) gerade unter der ärmeren und älteren Bevölkerung eine der wichtigsten Einkommensquellen; in Bosnien-Herzegowina (BiH) leben etwa 100 000 Menschen davon.

Die Länder sind noch reich an Beständen, doch droht die Gefahr der Übernutzung, wenn nicht regulierend eingegriffen wird. Zwar entwickelte man dort in den letzten 15 Jahren - z. T. unter ausländischer Anleitung - weitreichende Regulierungssysteme zum Natur- und Umweltschutz, doch die Umsetzung funktioniert gerade in einigen krisengeschüttelten Ländern sehr lückenhaft bis überhaupt nicht. Erst in Bulgarien und allmählich auch in Rumänien ist ein staatliches Monitoring-System, nach dem die Sammellizenzen vergeben werden, wirksam.

Globale Richtlinien Ö

Im Februar verabschiedete die WHO ihre Guidelines on agricultural and field collecting practices (GACP), die u. a. aus der Vorarbeit einer Expertengruppe der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) hervorgegangen sind. Die Forschungsvereinigung der Arzneimittelhersteller (FAH) und die europäischen Zulassungsbehörde EMEA entwarfen, beraten vom WWF, eine Standardverfahrensanweisung zur Auditierung bei Anbau und Wildsammlung von Arzneipflanzen (Z. Arzn. Gew. Pfl. 8: 83 88, 2003).

... und ihre Umsetzung

Konkret anwendbare Standards und Kriterien (S & C) zur Umsetzung solcher Richtlinien, die auch die sozialen und ökonomischen Aspekte vor Ort einbeziehen müssen, fehlen noch weitgehend. 2003 hat das Bundesumweltministerium deshalb beim Bundesamt für Naturschutz (BfN) eine Studie Zertifizierung von aus Wildsammlung stammenden Heilpflanzenprodukten in Auftrag gegeben, die den Schwerpunkt Biologische Vielfalt im 2. Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (NHS) für 2006 flankieren soll. An der Studie sind auch die Arbeitsgruppe Medizin und Artenschutz (s. o.) und die internationale Naturschutzorganisation IUCN beteiligt.

Aus 70 bereits bestehenden, weltweiten Feldprojekten zum Thema Nachhaltige Nutzung von HKG- (Heil-, Kosmetik-, Gewürz-) Pflanzen hat die BfN-Arbeitsgruppe die repräsentativsten Projekte ausgewählt. An ihnen soll die Umsetzung der definierten S & C erprobt und gegebenenfalls nachgebessert werden (Managementpläne, Training der Sammler).

Zertifizierung muss sich lohnen

Oft wird die zertifizierte Wildsammlung, wie sie in einigen Projekten auf dem Balkan bereits praktiziert wird, von der pharmazeutischen Industrie nicht entsprechend (sprich: finanziell) honoriert. In der Vermarktung von Phytopharmaka hat eine Biozertifizierung mit dem Aspekt der nachhaltigen Gewinnung bisher noch keinen Platz; Werbung unter diesem Aspekt ist nicht erlaubt.

Gern zitiertes Paradebeispiel zu dieser Kontroverse ist die Teufelskralle. Trotz erfolgreicher Anbauversuche stammen die etwa 600 t Exportware größtenteils aus Wildsammlung. Ganze Bevölkerungsgruppen in Namibia leben von diesem Erwerb. Durch Unkenntnis und Raubabbau ist die Art bereits massiv gefährdet (sie wurde 2004 in den Anhang D: Gefährdete Arten der europäischen Artenschutzverordnung aufgenommen), doch die nachhaltigen Nutzungsprogramme zur kontrollierten Wildsammlung greifen nur langsam. Wenn hier die Industrie gezielt nur (besser bezahlte) Label-Ware abnähme, würde auch die Bereitschaft der Sammler zum Umlernen steigen.

Mehr Transparenz auch für Konsumenten

Dass Naturschutz und unternehmerische Tätigkeit sich nicht ausschließen müssen, beweisen längst einige Firmen in Deutschland, die aktiv an Nachhaltigkeitskonzepten mitarbeiten. Der Markt von Lebensmitteln aus biologischem Anbau und aus fairem Handel wächst. Dass die Nachhaltigkeit für immer mehr Konsumenten einen wichtigen Wert bedeutet, ergaben Umfragen des WWF Deutschland und der HU Berlin in Deutschland und Italien (Z. Arzn. Gew. Pfl. 9: 79 - 83, 2004).

Die große Mehrheit der befragten Kunden von Apotheken, Drogerien, Reformhäusern und Bioläden würde einen Mehrpreis von 10% und mehr für nachhaltig produzierte Produkte akzeptieren. Gleichzeitig wollen die Konsumenten mehr Information über soziale und ökologische Probleme, die durch unangebrachte Nutzungsweisen verursacht werden.

Revision der Conservation Guidelines

Neu überarbeitet werden zurzeit auch die Richtlinien zum Schutz von Heilpflanzen (Guidelines on the conservation of medicinal Plants). 1988 wurden sie von allen Welt-Naturschutzorganisationen gemeinsam verfasst. Hier hat sich aber zwischenzeitlich viel getan: Die Rio-Deklaration von 1992 brachte die Schlagworte Biodiversität, nachhaltige Nutzung und Benefit Sharing in die Diskussion. Waren die ursprünglichen Guidelines mehr an die Politiker gerichtet, so wendet sich die revidierte Fassung an Ausführende, Beschaffer, Handel und Industrie, an NGO und Behörden. Ein solcher Revisionsprozess dauert lange, da alle unterschreibenden Länder mitdiskutieren. Die Ratifizierung wird für 2006 erwartet.

Aus der reichen Flora Südosteuropas Zu den wichtigsten in Südosteuropa wild gesammelten Arzneidrogen gehören: Salbei (ca. 2000 t allein in BiH und Albanien), Wacholderbeeren (600 t, BiH), Hagebutten (1000 t, Bulgarien), Brennnessel und Wiesenschachtelhalm (je 500 bis 800 t, BiH und Kroatien), Heidel- und Himbeere (2500 bzw. 1500 t, Rumänien), ferner z. B. Thymian, Lorbeerblätter, Weißdornblüten und -früchte, Hirtentäschelkraut, Malvenblüten, Huflattich, Bergbohnenkraut, Rosskastaniensamen, Birkenblätter, Faulbaumrinde, Wermut, Lindenblüten, Himbeerblätter, Spitzwegerich, Schafgarbe, Königskerzen, Keuschlammfrüchte und Helichrysumblüten.

Auch Arnika und Enzianwurzel werden, insbesondere aus Albanien, ausgeführt. Offiziell ist die Ausfuhr kontingentiert. Doch kaufen viele Händler die Ware ohne jegliche Dokumentationspapiere illegal gegen Barzahlung bei Sammlern oder Zwischenhändlern. Klar, dass es da nur auf Menge und Preis und nicht auf Nachhaltigkeit ankommt.

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