Rohstoffgewinnung

Weltweit sind Wissenschaftler und Pharmakonzerne auf der Suche nach neuen, wirksamen Arzneistoffen aus Pflanzen und biologischen Quellen. Denn das Reservoir der "Apotheke Natur" an Heilmitteln und "Mustermolekülen", die bei der Entwicklung neuer Pharmaka Pate stehen, ist noch nicht erschöpft. Andererseits sind die Bioressourcen nicht unerschöpflich. Um den steigenden Bedarf bestimmter Arzneipflanzen decken zu können, ist inzwischen großflächiger Anbau notwendig. Bleibt "Natur" dabei noch erhalten, fragt man sich da im Hinblick auf die Skandale nicht nur unserer eigenen Landwirtschaft, sondern auch der exportorientierten, oft von Großkonzernen betriebenen Plantagenwirtschaft in den Tropen und Subtropen. Positive Antworten auf diese Fragen gibt die Farm Chapada* in Brasilien; dort wurde "natürlich" zum Prinzip erhoben.

Der Bedarf nimmt zu

Der Bedarf an pflanzlichen Rohstoffen für Arzneimittel, Gewürze und Aromastoffe, für die Kosmetik-, Getränke- oder Naturstoffindustrie hat in den letzten Jahrzehnten rapide zugenommen. Die Forschung nach Neuem läuft auf Hochtouren, aber auch in Vergessenheit Geratenes - z. B. altbekannte Farbstoffpflanzen [1] - erleben eine Renaissance. In kaum zehn Jahren hat sich der weltweite Umsatz allein an Arzneidrogen fast verdoppelt (Import/Export-Volumen 1991: 296 000 Tonnen, 1997: 500 000 Tonnen, Wert laut UNCTAD: ca. 800 Mio. US-Dollar pro Jahr), und die Prognosen lassen in nächster Zeit keine Stagnation vermuten [2 - 4].

Natürliche Ressourcen werden knapp. Immer noch werden 70 bis 80% aller verwendeten Arzneipflanzenarten wild gesammelt. In solche "überraschenden" Statistiken fließen die traditionell genutzten Heilpflanzen, die auf dem internationalen Markt keine Rolle spielen, ein. Andererseits stammten 1995 bereits 50% des Drogenhandelsvolumen aus landwirtschaftlichem Anbau - bei damals etwa erst 100 anbaufähigen Arten - und 1998 schon 70% [5, 6].

Es wird immer dringlicher, den Bedarf an therapeutisch wichtigen Rohstoffen in der von der verarbeitenden Industrie heute geforderten Qualität und Homogenität durch ausgedehnten Anbau sicherzustellen. Nur so kann der bereits drohenden Gefährdung von vielen Wildpopulationen entgegengewirkt werden. (In einem auf der Expo 2000 veranstalteten Symposium "Medizin und Artenschutz: Herausforderung für Mensch und Natur" versuchte man, auch die breite Bevölkerung auf diese Thematik aufmerksam zu machen [7].)

Tropische Arzneipflanzen für die westliche Welt

Arzneipflanzen aus den Tropen spielen schon lange eine Rolle in unserem Arzneischatz. Frühe Bedeutung erlangte z. B. die Chinarinde mit dem Chinin, das derzeit als Bittermittel für "Tonics" und "Aperitifs" in der Getränkeindustrie wichtiger ist als für die Pharmaindustrie [8]. Und viele Naturstoffe haben auch im Zeitalter der synthetischen Chemie nichts von ihrer medizinisch-pharmazeutischen Bedeutung eingebüßt. Zu nennen wären etwa Curare, Yohimbin, die Rauvolfia-Alkaloide mit Reserpin, Raubasin und Ajmalin, dann die Catharanthus-Alkaloide und Camptothecin aus dem südchinesischen Baum Camptotheca acuminata als Vorstufen wichtiger Krebspräparate und vor allem die zur Gewinnung von Corticoiden und Steroidhormonen verarbeiteten Steroidsapogenine aus den tropischen Dioscorea-, Smilax-, Yucca- und Agave-Arten [9 - 11]. Kava-Kava [12], Indische Flohsamen [13], Ingwer, Curcuma [14] und Condurango beziehen wir aus ihrer tropischen Heimat. Und manche Modedrogen - Guarana (von Paullinia cupana) etwa, Lapacho (von Tabebuia-Arten [15]) oder brasilianischer Ginseng (von Pfaffia spp. [11]) - lassen den Bedarf von heute auf morgen in die Höhe schnellen, meistens erst in den USA, dann auch bei uns. Immer soll der Nachschub gewährleistet sein, so fordert die verarbeitende Industrie wie der Konsument.

Pflanzen synthetisieren billiger

Synthesen von komplex und sterisch kompliziert aufgebauten Naturstoffen haben in den seltensten Fällen wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Lange Jahre lagen große Erwartungen in Produktionsverfahren mithilfe pflanzlicher Zellkulturen, doch nur bei wenigen wichtigen Naturstoffen, so bei Vincristin und Vinblastin, die in extrem geringer Konzentration in der Pflanze vorkommen, oder für Paclitaxel konnten rentable biotechnologische Verfahren entwickelt werden [10, 16]. Also werden Chinaalkaloide nach wie vor aus der Chinarinde gewonnen - die Historie der indonesischen Cinchona-Kulturen liest sich aufregend [8] - und Yohimbin aus der meist noch wild gesammelten Rinde des afrikanischen Potenzbaumes (Pausinystalia johimbe) - hier gibt es erste Anbauversuche [17, 18] Die großtechnische Gewinnung von Scopolamin und weiteren Tropanalkaloiden erfolgt heute aus den in Indien großflächig kultivierten australischen Solanaceen-Arten Duboisia myoporoides und D. leichhardtii [9, 10]. Nicht immer gestaltet sich der Übergang zur Domestizierung und Kultivierung so einfach wie bei der Kava-Stammpflanze Piper methysticum, die in ihrer südpazifischen Heimat angebaut wird. Sie wird entweder vegetativ über Stängelstecklinge vermehrt, oder es wird von jedem geernteten Wurzelstock ein Schnittstück im Boden belassen, das wieder austreibt für die nächste Kultur [12].

Anbau oder Wildsammlung?

Zu den Gründen für eine Inkulturnahme zählen neben der Versorgungssicherheit vor allem die gestiegenen Anforderungen an Qualität und Dokumentation. Als Qualitätssicherungssystem für die Produktion pflanzlicher Drogen dienen die Leitlinien für eine "Gute Landwirtschaftliche Praxis" (Good Agricultural Practices, GAP). Sie wurden in den 90er-Jahren von der Vereinigung der Arznei- und Gewürzpflanzenproduzenten (EUROPAM) und der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) gemeinsam erstellt, um Standards für Anbau, Ernte und Lagerung vorzugeben und sicherzustellen, dass das pflanzliche Rohmaterial den hohen Qualitätsansprüchen genügt [27]. Für qualitätsvolle Phytopharmaka ist ein durchgehender "roter Faden" an Begleitprotokollen von der Herkunft der Ausgangsdroge bis zum Endprodukt heute obligatorisch. Dieser fehlt in der Regel bei wild gesammelten Drogen. Zudem ist Wildmaterial uneinheitlich, nicht frei von Verfälschungen und kann im Gehalt an Wirk- oder Leitsubstanzen oft nicht befriedigen, da eine exzessive Wildsammlung erfahrungsgemäß auch zu einer Abnahme der Qualität führt [19 - 22]. (Ebenfalls von der GA vorbereitet, stehen jedoch auch "Richtlinien für das kommerzielle Wildsammeln von Pflanzenmaterial für medizinische Zwecke" kurz vor der Verabschiedung, die neben der gesicherten Drogenqualität und bestandsverträglichen, nachhaltigen Nutzung auch das durchgehende Monitoring beim Sammeln fordern.) Warum geht man aber nicht einfach generell auf den Anbau von Arzneipflanzen über? Sammlung und Trocknung von Pflanzen(-teilen) stellt in vielen Ländern der Erde eine wichtige traditionelle Erwerbsquelle der Bevölkerung dar. Zudem sind Löhne und Trocknungskosten in der dritten Welt meist so niedrig, dass viele Drogen zu sehr günstigen Preisen auf dem Weltmarkt angeboten werden [19]. Zwischen der Notwendigkeit der Erzeugung ertragreicher und monographiegerechter Drogenqualitäten, der Berücksichtigung von Forderungen des Artenschutzes wie auch dem Recht der Bevölkerung auf die wichtige Einnahmequelle des Wildsammelns heute das richtige Gleichgewicht zu finden, ist eine nicht immer leichte Aufgabe von Drogenhandel und verarbeitender Industrie. Anschaulich kann dies bei einem Besuch auf der brasilianischen Farm Chapada erlebt werden, wo die Stammpflanzen wichtiger Arzneidrogen nach ökologischen Prinzipien kultiviert werden.

Beispiel Pilocarpin

Seit mehr als einem Jahrhundert spielt Pilocarpin eine wichtige Rolle in unserem Arzneischatz. Auch für dieses Alkaloid ist bis heute keine wirtschaftliche Synthese möglich. Seit seiner "medizinischen Entdeckung" in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (s. Kasten) wird es daher direkt aus den Jaborandiblättern gewonnen [23]. Der steigende Pilocarpinbedarf in den 60er- und 70er-Jahren und die zunehmende Übererntung durch einheimische Sammler ließen allmählich einen besorgniserregenden Rückgang der Bestände erkennen (1992 wurden Pilocarpus spp. sogar offiziell in die Liste der vom Aussterben bedrohten Arten in Brasilien aufgenommen) [25]. Der Anbau von Pilocarpus-Arten sollte daher den Druck auf die Wildpopulationen verringern und den Nachschub für die Zukunft sichern helfen. Hierfür waren langwierige Prospektions-, Selektions- und Domestikationsversuche mit Wildmaterial durch ein Forscherteam aus Agronomen, Genspezialisten und Bodenexperten nötig. Samen mussten gesammelt, ihr genetisches Material untersucht werden, die vielverprechendsten wurden angezogen und ihre Pilocarpin-Ausbeuten verglichen. Schließlich konnte 1989 ein geeignetes Plantagen-Areal im Zentrum von Maranhčo erworben werden - mit 3000 Hektar für brasilianische Verhältnisse eine Farm "nur" mittlerer Größe. Maranhčo, der achtgrößte Bundesstaat im Norden Brasiliens mit der Hauptstadt Sčo Luis, liegt im Übergangsbereich des Amazonas-Regenwaldes, der trockeneren Waldlandschaft des Nordostens und des Cerrado, der großen Trockenebene des brasilianischen Zentralplateaus. Maranhčo besitzt neben dem benachbarten Amazonasstaat Pará (mit der Hauptstadt Belém im Amazonasdelta) die größten natürlichen Vorkommen von Pilocarpus-Arten, besonders von P. microphyllus, der Pilocarpin-reichsten Spezies. Die "Fazenda Chapada" bietet ideale Wachstumsbedingungen: nährstoffarmen Sandboden und reichlich Wasser zur Bewässerung vom angrenzenden Fluss Mearim. Noch im selben Jahr (1989) konnten 3 Millionen Pilocarpus-Schösslinge auf 300 ha Fläche ausgebracht werden, die man in acht Jahren Vorarbeit aus den robustesten und ertragreichsten Arten entwickelt und vorgezogen hatte. Bewusst hat man darauf verzichtet, genetisch einheitliche Pflanzen zu züchten; innerhalb der Pflanzungen unterscheiden die Sträucher sich daher im Habitus. Bis zu viermal im Jahr konnte bald darauf mit speziell entwickelten, hocheingestellten Mähmaschinen "gepflückt" werden.

Beispiel Uncaria

Noch jung sind in Chapada die Kulturen der Katzenkralle Uncaria elliptica. Mit fünf Pflanzen hatte man vor Jahren erste Versuche gestartet. Ab dem zweiten Vegetationsjahr produziert die strauchartig gehaltene Liane bei geeigneten Bedingungen in den Sprossspitzen bis zu 15% Rutin. Dieser Wirkstoff erlebt heute aufgrund seiner antioxidativen und Radikalfänger-Eigenschaften unter dem Label "Bioflavonoid" einen ungeahnten Boom als Nahrungsergänzungsmittel/Nutraceutical. In der Phytotherapie wird die Wurzelrinde der Katzenkralle verwendet, die andere wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe enthält (s. Kasten). In den "Nurseries", den Aufzuchtstationen der Plantage, wurden die Pflanzen über die Jahre aus den fünf Ur-Ahnen vegetativ "verzigfacht", geklont. Ausgesuchte Zweigspitzen werden dazu einfach in die mit eigens entwickeltem biologischem Bewurzelungssubstrat durchfeuchtete Erde gesteckt. Während der Bewurzelungsperiode sprüht in den riesigen Gewächshäusern alle 10 Minuten 5 Sekunden lang der künstliche Regen und sorgt für tropisches Treibhausklima. Nach 2 Monaten Kinderstube werden die Pflänzchen dann 1 bis 2 Wochen an die trockene Realität gewöhnt - akklimatisiert -, bevor sie mit modernsten Pflanzmaschinen auf die Felder ausgebracht werden. Im 2- bis 3-Monats-Abstand können die jedes Mal buschiger nachwachsenden Zweigspitzen gemäht werden. Das Material wird nach entsprechender Trocknung, Zerkleinerung und Ballenpackung nach Sčo Luis geliefert, wo es in einem Werk extrahiert und weiter verarbeitet wird.

Ökologischer Musterbetrieb

Anbau und Bewirtschaftung der Farm Chapada erfolgen unter streng biologisch-ökologischen Gesichtspunkten. "Für Wirkstoffe, die am Auge angewendet werden, ist höchstmögliche chemische Unbelastetheit ein Muss", so der Direktor von Chapada, Dr. Deoclecio Carmo. Und bei dem Uncaria-Anbau sprechen weitere gewichtige Gründe für diese Entscheidung: Solche genetisch einheitlichen Bestände sind extrem krankheits- und schädlingsanfällig. Besonders gefährlich sind die Monate der Regenzeit, Januar bis April. Hier versucht man, durch möglichst natürliche Wachstumsbedingungen die Robustheit und Widerstandsfähigkeit der Pflanzen zu steigern. Und so hat Chapada sich in den Jahren ihres Bestehens allmählich zu einem ökologischen Musterbetrieb und Vorzeigeunternehmen entwickelt, wo Agrar- oder Ökologiestudenten mit ihren Lehrern von weither angereist kommen, um Unterricht "am Objekt" zu erleben. Die Landwirtschaft in feuchttropischen Regionen ist viel stärker durch Unkräuter und tierische Schädlinge gefährdet als in gemäßigten Breiten [26]. Der Einsatz von "Chemie" jedoch wird in Chapada konsequent vermieden. Statt dessen hält man eine inzwischen auf etwa 300 "stolz erhobene Häupter" angewachsene Emu-Herde. Die Emus, kleine australische Strauße, die nach Südamerika eingeführt wurden und inzwischen in den großen Graslandschaften dieses Halbkontinents weit verbreitet sind, bewegen sich frei in den Pflanzungen und fressen alles, was in Augenhöhe "kreucht und fleucht", also auch potenzielle Schädlinge. Für das Ungeziefer am Boden und in den Wurzelregionen sind 4000 Perlhühner zuständig. Dieses "Reinigungspersonal" der unteren Etage wird immer wieder von Anacondas oder Raubtieren aus der Wildnis drastisch dezimiert.

Dünger zur Schädlingsbekämpfung

Auch für den gefährlichen Fadenwurm, der in den Jaborandi-Wurzeln krebsartige Geschwüre verursacht und die Blätter welken lässt, schuf die Natur einen natürlichen Feind (Nematoden sind ein spezielles Problem der tropischen Landwirtschaft, viele Nematizide sind jedoch inzwischen wegen ihrer Toxizität vom Weltmarkt genommen): Die Sporen des Bakteriums Pasteuria penetrans dringen durch die Haut der Nematoden und schädigen nach ihrer Entwicklung den Wirt nachhaltig [26]. Pasteuria kann auf Naturdünger kultiviert werden. In einem diffizil zu überwachenden Fertilisationsprogramm (Diagnosis and Recommendation Integrated System, DRIS) wird auf der Farm nach Bedarf mit Pasteuria-beimpftem Dünger gedüngt. Mit Blattproben wird der Gesundheitszustand der Kulturen anhand eines definierten Inhaltsstoffmusters ständig überprüft. Beim Dünger schließt sich der biologische Kreislauf: Zeburinder halten die unbebauten Farmareale kurz und sauber, ausgedehnte Schafherden die Felder unkrautfrei. Zum Glück scheinen die wegen ihres Alkaloidgehalts sehr bitteren Jaborandi- und Uncaria-Blätter dem Geschmack der Schafe nicht zu behagen, sodass sie nur andere Pflanzen fressen. Jeden Abend werden die Tiere in Pferche getrieben, wo ihr Dung dann gesammelt werden kann. Er wird auf Halden mit den Extraktionsrückständen aus den Verarbeitungsbetrieben in Sčo Luis gemischt. Nach mehrwöchiger "Reifung" kann der Spezial-Naturdünger dann zur Verwendung kommen.

Ausbaupläne

Andere Pflanzen, deren Anbau derzeit noch im kleinflächigen Versuchsstadium ist, schmecken den Schafen allerdings sehr gut und mussten deshalb eingezäunt werden. Aber auch für ihren ökologischen Anbau wurde schon Sorge getragen: 9000 Neembäume (Melia azadirachta) säumen die Wege der Plantage. Ihre Blattextrakte können bei Bedarf einmal als natürliche Insektizide und Fungizide eingesetzt werden. Zurzeit werden verschiedene brasilianische Arzneipflanzen auf Anbaufähigkeit geprüft, deren Wirkstoffprofile sehr vielversprechend für den zukünftigen Einsatz in neuen Phytopharmaka, Kosmetika oder Nahrungsergänzungsmitteln sind. Screening, Wirkstoff-Monitoring, die Entwicklung passender Fertilisationsprogramme, all das kann in dem Farm-eigenen Labortrakt gleich vor Ort durchgeführt werden.

Begehrte Arbeitsplätze

Seit ihrem Bestehen war Chapada prägend für die Sozialstruktur der ganzen Region geworden. Nicht nur, dass dort, in einer sehr armen Region, zeitweise bis zu 400 Arbeitsplätze geboten werden können. Die lokale Bevölkerung - mit einem hohen Anteil an Indianern - lebt hauptsächlich von der Landwirtschaft: Mais, Reis und Maniok wird für den Eigenbedarf angebaut, dazu gibt es etwas Viehzucht. Das Provinzstädtchen Barra do Corda ist bereits an ein allgemeines Stromnetz angeschlossen, Wasser aber muss auch dort noch in vielen Stadtteilen am Brunnen geholt werden. Der Fluss ist die Lebensader und Treffpunkt des Städtchens, das gemeinsame Wäschewaschen ein beliebter "Social event". Die Stellen in Chapada sind begehrt: Sozialversorgung und Verpflegung sind selbstverständlich. Freizeitanlagen zum sonntäglichen Grillen, Fußball- oder Kinderspielen lassen leicht Familien- und Zusammengehörigkeitsgefühle unter der Farmbelegschaft aufkommen. Die vielen hochqualifizierten Spezialisten unter den Mitarbeitern - Wissenschaftler und chemisch-technisches Personal - ermöglichen den Ambitionierten unter den Beschäftigten zudem gute Lern- und Ausbildungschancen.

Auch die Sammler überleben

Die Zusammenarbeit mit der Landbevölkerung der Region hat schon fast Tradition. Schon seit den 60er-Jahren produziert das Merck'sche Zweigwerk in Sčo Luis Rutin aus Dimorphandra-Hülsen [28]. Dimorphandra mollis und D. gardneriana (Leguminosae), im Volksmund "Fava d'anta" oder "Faveira" genannt, gehören zu den charakteristischen und weit verbreiteten Pflanzen des Cerrado. Es sind etwa mannshohe Büsche oder Bäumchen mit großen gelben Blütenbüscheln, aus denen sich 15 bis 20 cm lange, rutinreiche Hülsenfrüchte entwickeln. Das Sammeln der Fava d'anta-Hülsen bietet einen einträglichen Nebenerwerb für die arme Cerrado-Bevölkerung, und über mehrere Bundesstaaten hinweg entwickelte sich ein schwunghaftes Handelssystem, an dem auch noch Zwischen- und Großhändler mitverdienen. Zeitweise dienten die Hülsen unter den Bauern sogar als sichere Währung - "ich gebe dir einen Sack Fava d'anta, du gibst mir zwei Sack schwarze Bohnen dafür". Zwei Doktoranden erforschten das komplizierte Sozialsystem des Fava d'anta-Handels [29, 30]. Da der weltweite Bedarf an Rutin - das Weltproduktionsvolumen von Rohrutin liegt derzeit zwischen 1500 und 1700 Tonnen [31] - in den vergangenen Jahrzehnten weiter gestiegen ist, bedeutet die neue Quelle für diesen Rohstoff, Uncaria elliptica, zum Glück keine Einbußen für die Fava d'anta-Sammler.

Bedeutender Wirtschaftsfaktor

Arzneipflanzenanbau in den Tropen und auf der südlichen Hemisphäre ist heute ein wichtiger Wirtschaftsfaktor [9, 32]. Zum einen können tropische Pflanzen nur unter ihren natürlichen Wachstumsbedingungen großflächig angebaut werden. Zum anderen kann in den meisten tropischen Ländern billig produziert werden. Westliche Hersteller bevorzugen den Vertragsanbau durch einheimische Landwirte oder einen firmeneigenen Anbau. Regelmäßige firmeneigene Kontrollen oder externe Audits stellen die Qualität der Ware sicher. Die meisten (guten) Produzenten befolgen sowieso längst freiwillig die GAP-Richtlinien, nicht zuletzt deswegen, weil (gute) pharmazeutische Hersteller das dokumentierte Einhalten der GAP fordern (s. o.). Immer mehr wird dazu übergegangen, die Drogen noch im Anbauland weiterzuverarbeiten, zu extrahieren oder zu konfektionieren, bedeutet dies doch eine enorme Reduktion der Produktions- und Transportkosten. Zugleich kann ein wesentlicher Beitrag zur Erfüllung einer der wichtigen Prämissen des "Rio-Abkommens" erfüllt werden: In der auf der Umweltkonferenz von Rio de Janeiro 1992 erarbeiteten "Convention of Biological Diversity" wird gefordert, dass vor allem der einheimischen Bevölkerung selbst ein Benefit aus den landeseigenen Ressourcen zukommen müsse. Auch die Bundesrepublik Deutschland stellt öffentliche Mittel zur Förderung von neuen Anbau- und Handelsprojekten aus dem Bereich Arznei- und Gewürzpflanzen in Entwicklungsländern zur Verfügung. Im Rahmen von Private Public Partnership (PPP)-Maßnahmen fördert die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) derzeit u. a. die kontrollierte Wildsammlung und Anbauversuche von Prunus africana [33] in Kamerun und von Teufelskralle [34] in Südafrika. Wirtschaftlich interessant ist auch der Anbau von europäischen Arzneipflanzen auf der südlichen Halbkugel - führend sind hier Chile und Argentinien, mit Abstand folgen Australien und Südafrika - wegen des Vegetationsperiodenausgleichs: Im europäischen Winter kann dort geerntet werden, und durch den Import kann den hohen Kosten und Qualitätsverlusten der Lagerung begegnet werden. In Chile wird Hypericum aus deutschem Saatgut bis fast in subtropische Breiten, dort aber in höheren Lagen der Anden, angebaut. Dabei tritt die in unseren Regionen gefürchtete Johanniskrautwelke kaum auf. Melisse und andere Kräuter können rund um das Jahr geerntet werden, und die starke Sonneneinstrahlung verbessert zudem oft die Qualität der angebauten Drogen, d. h. wertgebende Inhaltsstoffe wie ätherische Öle erreichen einen höheren Gehalt [35]. So kann sichergestellt werden, dass "im richtigen Moment die richtige Qualität in der richtigen Menge" zur Verfügung steht, womit die wichtigsten Faktoren im Drogenhandel - Verlässlichkeit, Ertragssicherheit und die Sicherheit von Qualität und Volumen - gewährleistet sind.

Nutzen für die Pharmaindustrie

Viele tropische Arzneipflanzen werden sicher auch in Zukunft noch an ihren Wildstandorten gesammelt werden, denn nicht alle können wirtschaftlich angebaut werden, oder es fehlen noch Kenntnisse über eine erfolgreiche Kultur. Insgesamt jedoch wird sich der Trend zur Inkulturnahme und zu kontrolliertem Anbau durchsetzen. Bereits am 2. Welt-Kongress für Medizinal- und Aromapflanzen WOCMAP II (World Congress on Medicinal and Aromatic Plants for Human Welfare) 1997 in Mendoza war dies mit Nachdruck gefordert worden [38]. Für die verarbeitende Industrie ergeben sich dadurch entscheidende Vorteile: In überwachtem Anbau können große einheitliche Drogen-Partien in geforderter, reproduzierbarer Qualität und Homogenität produziert werden. Verwechslungen und Verfälschungen gehören dann der Vergangenheit an. Die volle Ausnützung klimatisch günstigster Kulturbedingungen erbringt nach erfolgreichen Selektions- und Züchtungsbemühungen oft eine beträchtliche Steigerung der maßgeblichen Wirkstoffe mit sich. Es werden Ernten mit sicheren Erträgen in maximaler Qualität und Quantität möglich. Der Nutzen für die Pharmaindustrie erweist sich schließlich auch als ein Gewinn für den Verbraucher. Danksagung: Für die fruchtbaren Anregungen und Diskussionen zum Thema bedanke ich mich bei Dr. Deoclecio Carmo, Merck-Chapada, Prof. Ch. Franz, Wien, Dr. M. Lorenz, München, Dr. W. Ohlendorf, Ingelheim, Dr. E. Schneider, Bruckmühl und Frau Dr. C. Wirth, Merck, Darmstadt. Gedankt sei auch der Firma Merck KGaA, Darmstadt, für die Einladung nach Chapada und die finanzielle Unterstützung. Kastentexte:

Vom Jaborandiblatt zum Pilocarpin

Bereits zu Anfang des 17. Jahrhunderts hatten Ärzte und Naturforscher notiert, dass die Urwaldbewohner Brasiliens die Blätter des Pilocarpus-Strauches (Rutaceae) zur Schweißtreibung und Fiebersenkung kauen. Indianer nennen ihn Jaborandi, was bedeutet: "Lässt Speichel fließen". Aber erst durch den brasilianischen Arzt S. Cautinho aus Pernambuco und den deutschen Augenarzt Adolph Weber aus Darmstadt wurde die Medizin auf die Jaborandiblätter wirklich aufmerksam. Cautinho erprobte sie an Patienten mit Lungenentzündung und fiebrigen Erkrankungen, auch bei Wassersucht und Nierenversagen und ließ sie 1873 seinen französischen Forscherkollegen zur Untersuchung zukommen. Etwa zur gleichen Zeit hatte Weber bei Versuchen zur Glaukombehandlung die pupillenverengende Wirkung von Jaborandiblätter-Infus erkannt. Zu weiteren Forschungen war ihm später von der Firma Merck das Alkaloid Pilocarpin, die Hauptwirksubstanz der Jaborandiblätter, als leichtlösliches Hydrochlorid in Reinsubstanz zur Verfügung gestellt worden. Damit begann eine entscheidende Ära in der Behandlung des Glaukoms. 1883 schrieb Ludwig Merck, ein Mitglied der Unternehmerfamilie, seine Dissertation an der Uni Freiburg über das damals gerade sicher hochaktuelle Thema "Beiträge zur Kenntnis des Pilocarpins". Bereits 1882 wurde im Hamburger Hafen die Löschung von 19 600 kg Jaborandiblätter dokumentiert [23, 24].

  • is vor 15 Jahren wurden Jaborandiblätter nur wild gesammelt. Als Sträucher oder kleine Bäume ist Pilocarpus in Brasilien und im ganzen tropisch-warmen Südamerika im Unterholz der Regenwaldrandzonen und trockeneren Wäldern verbreitet. Die vier wichtigsten Arten werden auch nach ihrer Herkunft bezeichnet:
  • Pernambuco-Jaborandi von Pilocarpus jaborandi Holmes
  • Maranham-Jaborandi von P. microphyllus Stapf (nach dem Staat Maranhčo)
  • Paraguay-Jaborandi von P. pennatifolius Lem.
  • Guadeloupe-Jaborandi von P. racemosus Vahl.

Ihre Fiederblätter enthalten 0,5 bis 7% Alkaloide. Die Hauptverbindung Pilocarpin ist ein direkt wirkendes Parasympathomimetikum, wirksam an Muscarin- und Acetylcholinrezeptoren, das nicht von der Cholinesterase abgebaut werden kann. Es fördert die Schweiß-, Speichel-, Bronchial-, Magensaft- und Tränensekretion und die Kontraktion der glatten Muskulatur des Gastrointestinaltraktes, der Bronchien und der Gallen- und Harnwege. Bei Applikation am Auge wird die Pupille anhaltend verengt (Miosis), sodass Kammerwasser abfließen kann und der Augeninnendruck beim Weitwinkel-Glaukom abnimmt. Die Hauptmenge des produzierten Pilocarpins wird derzeit, wie auch Jaborandiblattextrakte, in Shampoos, Haarlotionen und Haarwässern verarbeitet [10, 23, 24].

Katzenkralle und Gambir

Den Familiennamen "Rubiaceae" teilt sich Uncaria mit dem Kaffeestrauch, dem Chinabaum, dem Waldmeister und vielen anderen Arzneipflanzen. Uncaria-Arten sind vornehmlich in Asien beheimatet, doch ihr fast einziger Vertreter im tropischen Südamerika ist heute am bekanntesten: Uncaria tomentosa, der Krallendorn (die Liane krallt sich mit Dornen in den Blattachseln an ihren Wirtspflanzen hoch), auch Katzenkralle, Cat's claw oder Una de gato genannt. Er erobert als Rheumatee und "Immunpusher" bei allen Anfälligkeiten, ja sogar zur Unterstützung in der Krebstherapie, die Alternativmedizin. Ganz unbegründet ist der Boom nicht: Die Wurzeln und Wurzelrinde enthalten bis zu 3% tetra- und pentazyklische Oxindolalkaloide (z. B. Rhynchophyllin, Pteropodin) und Indolalkaloide, ferner Triterpene und Epicatechine. Extrakte zeigen am Rattenpfotenödem entzündungshemmende und antiödematöse Wirksamkeit und in vitro antivirale, Interleukin-stimulierende und Phagozytose-steigernde Aktivität. Das Besondere dieser beobachteten immunstimulierenden Wirkungen: Es proliferieren nur ruhende oder schwach aktivierte humane T- und B-Lymphozyten, aktivierte humane T- und B-Lymphozyten maligner Systeme werden dagegen in der Proliferation gehemmt [36]. Asiatische Arten (U. gambir, U. acida, U. elliptica oder U. callophylla) liefern in erster Linie "helles bzw. gelbes Katechu", auch Gambir genannt (Catechu nigrum stammt von Acacia catechu). Ihre Blätter und Sprossen enthalten neben Flavonen auch Chinolizidin-, Oxindol- und Heteroyohimbinalkaloide, vor allem aber Catechin und Gerbstoffe (bis 25%); die Letzteren werden mit siedendem Wasser extrahiert und zur Trockne eingeengt, meist in Form von Würfeln oder Platten. Gambir ist ein nach wie vor wichtiger Grundstoff in der Gerberei und Färberei. Er wird großflächig in Indonesien und Malaysia kultiviert. Volksmedizinisch werden Gambirtropfen bei Magen- und Darmverstimmungen, Diarrhöen und zur Wundbehandlung eingesetzt. Gouteng, eine Zubereitung der traditionellen chinesischen Medizin aus U. macrophylla und U. lanosa, wird bei Kopfschmerzen, Fieber, Schwindel und epileptiformen Krämpfen angewendet; die Wirkung beruht wohl auf den vielen Alkaloiden auch in diesen Arten.

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