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WWF/TRAFFIC: Arzneipflanzen und Artenschutz

Der WWF - World Wide Fund for Nature und die Weltnaturschutzunion IUCN, die das Artenschutzprogramm TRAFFIC gegründet haben, bemühen sich, die nun schon seit vielen Jahren geforderte "nachhaltige Nutzung" von Arzneipflanzen für die Praxis realisierbar zu machen. Auf Einladung des WWF-Deutschland trafen sich am 22. März in Frankfurt 40 Vertreter aus unterschiedlichsten Interessengruppen, aus Industrie, Handel und Forschung ebenso wie von nationalen und internationalen Gesundheits- und Naturschutzbehörden, zur ersten Sitzung der neu konstituierten Arbeitsgruppe "Medizin und Artenschutz".

Es droht der Ausverkauf der "Apotheke Natur"

Vier von fünf Menschen weltweit verwenden laut WHO Wirkstoffe aus der Natur zur Erhaltung oder Wiederherstellung ihrer Gesundheit. In den armen Regionen der Erde gibt es kaum eine Alternative zur traditionellen, meist auf Pflanzen und Tieren basierenden Heilkunde.

Und in den reichen Industrieländern legen immer mehr Menschen Wert auf natürliche Heilmittel. Durch den steigenden internationalen Bedarf (Handelsvolumen der Arzneipflanzen 1997: 440000 t) droht jedoch mittlerweile ein Ausverkauf der "Apotheke Natur". Derzeit gelten 1600 Pflanzenarten als akut gefährdet. Um die Ressourcen für künftige Generationen und gleichzeitig die Biodiversität zu erhalten, ist eine nachhaltige Nutzung wild lebender Tier- und Pflanzenarten von entscheidender Bedeutung.

Der Durchsetzung und Realisierung dieser Idee widmet sich WWF/TRAFFIC schon seit Aufkommen des Begriffes vor etwa 15 Jahren. Zusammenhänge im Handel wurden analysiert und Lösungskonzepte für den Schutz besonders bedrohter Arten erarbeitet. In einem international besetzten Symposium "Medizin und Artenschutz - Herausforderung für Mensch und Natur" auf der Expo 2000 war im letzten Oktober die Öffentlichkeit auf dieses brennende Thema aufmerksam gemacht worden.

Das Symposium wurde auch zum Anlass genommen, Partnerschaften und Arbeitsgruppen zu initiieren und Brücken zwischen den einzelnen Interessengruppen in Deutschland - Pharmazeutische und kosmetische Industrie, Praktizierende der Heilberufe, Vertreter des Gesundheitswesens, Händler, Sammler und Behörden - zu bauen. Überraschend zahlreich waren nun die Aufgerufenen zur ersten Arbeitssitzung aus dem In- und Ausland angereist.

Schutz durch maßvolle Nutzung

Nur wenn Schutz und Nutzung der natürlichen Ressourcen Hand in Hand gehen, habe nachhaltige Entwicklung eine Chance. Mit diesen Worten eröffnete Roland Melisch, der zusammen mit Susanne Honnef - beide vom WWF - die Arbeitsgruppe initiiert hat, die Sitzung. Noch immer werden ca. 80% der verwendeten Heilpflanzen aus Wildsammlungen gewonnen.

Nicht immer ist der Anbau die beste Lösung für zunehmend gefragte und daher zunehmend gefährdete Pflanzenarten. In vielen Regionen - etwa in Osteuropa, auf dem Balkan oder in Entwicklungsländern - sei das Sammeln von Pflanzen ein wichtiger und unersetzlicher sozioökonomischer Faktor. Viele Medizinalpflanzen sind schwer kultivierbar oder verändern unter Domestikation ihr Inhaltsstoffspektrum.

Regelwerken alleine, ob national oder international, fehle oft die nötige Durchschlagskraft, absolute Nutzungsverbote im globalen Maßstab sind kaum durchsetzbar, bedrohte Arten stehen höchstens im Handel unter internationaler Kontrolle. Der Weg der Nachhaltigkeit ist mühsam, wurde in den Diskussionen deutlich, auf ihm wird an die Verantwortung aller Beteiligten auf der langen Strecke vom Sammler bis zum Verbraucher appelliert - derzeit ja ein in jeder Hinsicht aktuelles und heiß diskutiertes Thema. Gefordert wird mehr Transparenz und Aufklärung über die Herkunft pflanzlicher und tierischer Rohmaterialien und Arzneien. In den Handel sollten nur noch solche Produkte gelangen, deren Nutzung keine Bedrohung für die natürlichen Wildvorkommen bedeuten. Wunschvorstellung der Organisatoren oder realisierbare Vision?

In drei Arbeitskreisen ging es um folgende Schwerpunkte und Fragen: 1. Kriterien für die nachhaltige Nutzung von medizinischen Arten: Bewertung und Vergleich mit bereits bestehenden Kriterien (z.B. Fair Trade, Good Harvesting Practice GHP, Soil Association) und die Einschätzung der Realisierungsmöglichkeiten. 2. Von der Good Practice zum Label: Was ist wünschenswert für den Verbraucher, für Unternehmen, für Ärzte, Heilpraktiker, Apotheker? Ist eine Synergie von Qualitäts- und Naturschutzfragen möglich? Welche firmeneigenen "codes of conduct" oder übergreifende freiwillige Richtlinien existieren bereits und wie werden sie realisiert? 3. Möglichkeiten und Grenzen nationaler und internationaler Regelwerke für Naturschutz (z.B. CITES, EU 338/97, FFH) wie auch für Medizin und Lebensmittel: Wo sind Instrumente zur Erzielung von nachhaltiger Nutzung bereits verankert oder nutzbar, wo fehlen sie noch?

Dass die Realisierung der ökologisch nachhaltigen, sozial und ökonomisch vertretbaren Nutzung von Medizinalpflanzen viel Vorarbeit bedarf, war klar: Die Verbreitungsgebiete der jeweiligen Populationen müssen zunächst erfasst und dann durch kontinuierliche Inventur im Auge behalten werden. Es müssen Kriterien für nachhaltige Ernte- und Sammeltechniken erstellt und zusammen mit einer "Business-Ethik" an Sammler und Handel vermittelt werden sowie unverzichtbare, wirkungsvolle Kontrollinstanzen eingesetzt werden.

Die Klärung der Nutzungsrechte, die gerechte Verteilung der Gewinne an alle Beteiligten, die Festlegung von erlaubten Sammelmengen und ihre effektivere Kontrolle, all dies bedarf sorgfältig entwickelter nationaler und internationaler Einverständnisse und Übereinkommen. Dabei darf man Auswirkungen von Bedarfs- und Marktschwankungen sowie die ökonomische Situation der Bevölkerung im Sammelgebiet nicht unberücksichtigt lassen.

Ökosoziale Gütesiegel

Einhelligkeit herrschte bezüglich der notwendigen Entwicklung ökosozialer Gütesiegel, denen sich Sammler, Handel und verarbeitende Industrie selbst-verpflichtet fühlen - anknüpfend etwa an bereits bestehende Öko- und Fair-Trade-Label. Ganz ohne gesetzliche Zertifikation werde sich dies nicht durchführen lassen. Gefordert wurde auch die Aufnahme der nachhaltigen Produktion bzw. die Transparenz der Herkunft im Rahmen der Zu- bzw. Nachzulassung pflanzlicher Arzneimittel. Innerhalb des Arzneimittelgesetzes sei zwar durch den Begriff der "Qualität" der Regelungsgrad schon relativ hoch, doch fehle beim Lebensmittelgesetz ein solcher Denkansatz noch fast völlig.

Ein- bis zweimal jährlich wird sich die Arbeitsgruppe in Zukunft treffen. Mit der Absicht, so weit wie möglich die ersten Ergebnisse in der Praxis zu konkretisieren und weitere, auch finanzkräftige Interessenten vor allem aus der Industrie für die Projekte zu gewinnen und so das entstandene Netzwerk zu verdichten, ging man zuversichtlich auseinander.

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