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Resistenzen: Wie gefährlich sind Antibiotika im Trinkwasser?

In den letzten 20 Jahren sind die Zahlen resistenter Bakterien teilweise besorgniserregend angewachsen. Antibiotika, die in Wasser und Abwasser vorkommen, tragen nach bisheriger Kenntnis nicht zu diesem Anstieg bei. Hundert- bis tausendfach höhere Konzentrationen wären dazu nötig. Auch toxische Auswirkungen sind auf Grund der niedrigen Konzentrationen ausgeschlossen. Allerdings kann eine Allergisierung gegenüber Penicillin schon durch sehr kleine Antibiotikamengen bei wiederholtem Kontakt auftreten.

Die Zunahme der antibiotikaresistenten Keime ist ein Problem, das sich nach der Überzeugung von Professor Bernd Wiedemann vom Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Bonn nicht pauschal beurteilen lässt. Denn den sehr speziellen Problemen kann auch nur sehr spezifisch begegnet werden. So gibt es Krankheitserreger, die auch nach 60 Jahren Penicillin-Einsatz noch mit dieser Substanz ohne Aktivitätseinbuße bekämpft werden können. Es finden sich aber auch Erreger, die nach wenigen Jahren zu 80% penicillinresistent sind.

In der ambulanten ärztlichen Praxis gibt es praktisch keine Erreger, die gegen alle in der ambulanten Medizin zur Verfügung stehenden Antibiotika resistent sind. Hier hapert es häufig am richtigen Erkennen der relevanten Zusammenhänge und an schnellen und richtig kalkulierten Maßnahmen. Im klinischen Bereich wächst die Zahl hochsensibler Patienten, bei denen jeder auch nur wenig virulente Bakterienstamm zu einer schwer therapierbaren Infektionskrankheit werden kann.

Die Erreger wechseln

Langfristig angelegte Studien belegen einen Erregerwechsel. Die Infektionen mit Staphylokokken (Tab. 1) haben zugenommen, und die mit Vertretern der Klebsiella-Enterobacter-Gruppe sind zurückgegangen oder unverändert geblieben. Ein genereller Anstieg der Resistenzen ist auch bei Escherichia coli zu erkennen. Beispielsweise erreicht die Ampicillin-Resistenz seit 1990 Werte über 30%, und die Cotrimoxazol-Resistenz liegt bereits bei fast 25%. Sehr bedenklich ist auch die Entwicklung bei anderen Substanzen wie Ciprofloxacin (Tab. 2).

Besonders auffallend sind vor allem die Methicillin-resistenten Stämme des Eitererregers Staphylococcus aureus (MRSA) und andererseits die gramnegativen Nonfermenter (Pseudomonas spp.), die zwar eine geringe Virulenz aufweisen, aber gegen viele Antibiotika Resistenzen ausbilden. Diese Bakterien sind typische Wasserkeime. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die niedrigen anthropogenen Antibiotika-Ausscheidungen in die aquatische Umwelt langfristig zu einer Anreicherung resistenter Keime führen können.

Die Welt der Mikroorganismen ist bedroht

Die Schädigung der Mikroflora im Wasser ist noch nicht ausreichend erforscht. Doch es ist zu erwarten, dass sich durch den Selektionsdruck durch anthropogen emittierte Antibiotika Gene für Resistenzeigenschaften anreichern. Nach Aussage von Thomas Lukow vom Fraunhofer-Institut für Umwelt und Ökotoxikologie in Schmallenberg sind strukturelle und funktionelle Auswirkungen auf die mikrobiellen Gemeinschaften möglich.

Da die resistenten Mikroorganismen unter dem Selektionsdruck einen Fitnessvorteil haben, verschiebt sich das Artenspektrum entsprechend. Im Extremfall reduziert sich die mikrobielle Diversität, mit denkbaren Folgen für die höheren Ebenen der Nahrungskette. Der Grad der Auswirkungen lässt sich aber bisher nicht quantifizieren. Denn derzeit werden erst etwa 5000 Bakterienarten kultiviert, von 20000 existieren molekulare Marker. Doch nach theoretischen Überlegungen dürfte es weltweit mindestens eine Million Bakterienarten geben.

Es ist auch denkbar, dass Antibiotika die physiologischen Eigenschaften der Mikroorganismen durch die Aktivitätsänderung einzelner Enzyme beeinflussen. Bestimmte Substanzen könnten in der Folge kaum noch abbaubar sein. Die Antibiotikaresistenzgene liegen in der Regel auf Plasmiden. Da dort häufig noch weitere Antibiotikaresistenzgene und Toleranzgene (z.B. gegen Metallionen) liegen, könnten sich Mikroorganismen-Gemeinschaften wiederum strukturell verändern.

Kontamination des Wassers

Nach Andrea Wenzel vom Fraunhofer-Institut in Schmallenberg wird geschätzt, dass 1997 in der EU 10493 t Wirkstoffe eingesetzt worden sind; davon 52% in der Humanmedizin, 33% in der Veterinärmedizin und 15% in der Tierproduktion. Die in den letzten Jahren beobachtete verstärkte Zunahme der Antibiotikaresistenzen beim gesunden Menschen wird nicht nur auf den Einsatz von Antibiotika-Arzneimitteln, sondern auch auf die Exposition gegenüber Antibiotika in der Umwelt und im Trinkwasser zurückgeführt.

Der Mensch scheidet Antibiotika aus, die über das Abwasser und die Kläranlagen in die Oberflächengewässer gelangen. Die unsachgemäße Entsorgung nicht verbrauchter Arzneimittel führt zu dem gleichen Ergebnis. Die in der Tierhaltung als Pharmaka oder als Leistungsförderer verwendeten Antibiotika gelangen mit den resistenten Mikroorganismen in die Güllegruben. Mit der Gülle kommen sie in den Boden, in das Oberflächenwasser und das Grundwasser. Die veterinärmedizinisch eingesetzten Antibiotika spielen aber bisher keine Rolle. Gerade in der Tiermast gibt es immer mehr gesetzliche Einschränkungen. Problematisch könnte dagegen der zunehmende Einsatz von Antibiotika in Haushaltsreinigern werden.

Antibiotika sind nicht das einzige Problem

Bis vor wenigen Jahren wurde das Hauptaugenmerk auf Pestizide und die in Geweben und Sedimenten sehr persistenten lipophilen Verbindungen wie polychlorierte Biphenyle (PCB) oder Dioxine gelegt. Diese werden auch sehr genau überwacht. Zu den potenziell schädlichen Umweltchemikalien zählen:

  • Industriechemikalien,
  • Waschmittelinhaltstoffe,
  • Pestizide,
  • Kosmetika, z.B. UV-Filtersubstanzen, Duftstoffe,
  • Pharmaka, z.B. Betablocker, Psychopharmaka, Antibiotika.

Die mengenmäßig sehr wichtigen Gruppen der Arzneimittel und der kosmetischen Duftstoffe blieben bisher weitgehend unbeachtet. Dabei werden Humanpharmaka teilweise bis zu 50% unverändert ausgeschieden. Häufig gelangen die Wirkstoffe auch als (potenziell) wirksame Metaboliten in die Umwelt; z.B. als Konjugat, von dem der ursprüngliche Wirkstoff wieder abspalten werden kann.

In Kläranlagen und Bächen

Das ESWE - Institut für Wasserforschung und Wassertechnologie in Wiesbaden hat zwischen 1996 und 1998 unter der Leitung von Thomas Ternes 49 Kläranlagen und 40 Flüsse, Bäche und Drainagegräben auf Arzneimittelrückstände untersucht.

Bei der Suche nach 55 Pharmaka und 9 Metaboliten wurden 36 bzw. 5 Substanzen in mindestens einer Kläranlage gefunden. Zu den nachgewiesenen Verbindungen zählen 3 Lipidsenker, 9 Antiphlogistika, 7 Betablocker, 4 Bronchospasmolytika, das Psychopharmakon Diazepam, das Antiepileptikum Carbamazepin, 2 Zytostatika, 6 Röntgenkontrastmittel und 5 Antibiotika (Tab. 3). In den untersuchten Fließgewässern ließen sich noch 31 Pharmaka und ebenfalls 5 Metaboliten mindestens einmal nachweisen, darunter auch die in den Kläranlagen detektierten Antibiotika (Tab. 4).

Ternes fasst die Ergebnisse wie folgt zusammen:

  • Die Umweltverträglichkeit der Arzneistoffe ist weder für Einzelstoffe noch für die in den Bächen nachweisbaren Gemische bekannt.
  • Die in den Fließgewässern nachgewiesenen Antibiotika tragen wahrscheinlich zur Resistenzbildung bei Umweltbakterien bei.
  • Die Grundwasserbelastung von teilweise mehreren Mikrogramm je Liter sind bedenklich, da sie über Jahrzehnte stabil sein werden.
  • Die gemessenen Trinkwasserbelastungen mit Arzneistoffen liegen weit unterhalb der physiologischen Wirkschwellen. Der Einfluss auf den Menschen ist nach heutiger Datenlage so gut wie ausgeschlossen.

Über das ökotoxikologische Verhalten niedriger Pharmakakonzentrationen ist immer noch wenig bekannt. Hier bestehen noch enorme Datenlücken. Ternes koordiniert deshalb das EU-Projekt Poseidon, an dem Wissenschaftler aus Frankreich, Spanien, Finnland, Polen, Österreich, der Schweiz und Deutschland für drei Jahre in den Bereichen Abwassertechnologie, Trinkwassertechnologie, Analytik und Umwelttoxikologie zusammenarbeiten. Ziel von Poseidon ist es, nach Lösungen zu suchen, Arzneistoffe und kosmetische Stoffe so gut wie vollständig aus dem Wasser zu entfernen.

Kastentext: Methicillin-resistente Staphylokokken

Die Methicillin- oder Oxacillin-Resistenz der koagulasenegativen Staphylokokken ist lange bekannt. Sie nimmt aber in vielen Ländern seit einigen Jahren bedrohlich zu. Bei dieser Resistenz sind sämtliche Betalactame wirkungslos. Wenn die Stämme auch gegen Aminoglykoside und Chinolone unempfindlich sind, was häufig der Fall ist, spricht man von einer Multiresistenz. Der Anteil der Methicillin-resistenten Stämme von Staphylococcus aureus (MRSA) hat vor allem in großen Kliniken mit vielen infektanfälligen Patienten überproportional zugenommen. Je höher die Bettenzahl, umso stärker die MRSA-Zunahme.

Quellen: Wissenschaftspressekonferenz in Bonn am 26. Juni 2001 zum Thema: Antibiotika im Wasser - Gefahren für Mensch und Umwelt durch Arzneimittelrückstände? Gotthard Ruckdeschel, Beatrice Grabein, Andrea Haas: Erregerwandel bei nosokomialen Infektionen. Chemotherapiejournal 7, 7-15 (1998). Thomas Ternes: Vorkommen von Pharmaka in Gewässern. ESWE-Institut für Wasserforschung und Wassertechnologie, Wiesbaden o.J. www.poseidon.de

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