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E-Commerce mit Arzneimitteln: Die Sicht der pharmazeutischen Industrie

Auf dem E-Commerce Workshop am 13. Dezember 2000 in Bonn, veranstaltet vom Bundesministerium für Gesundheit und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände - ABDA, gab Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (VFA), ein Statement ab, das die Sicht der pharmazeutischen Industrie zu E-Commerce mit Arzneimitteln wiedergibt. Nachfolgend das Statement im Wortlaut.

Neuen technologischen Entwicklungen wird man sich nicht verschließen können, wenn sie Nutzen bringen. Die Frage, wer welchen Nutzen aus E-Commerce mit Arzneimitteln haben könne, gilt es zu klären. Die sprunghaft zunehmende Bedeutung des Internets, die wachsenden internationalen Verflechtungen, der Wunsch des Patienten nach mehr Dienstleistung und Direktbelieferung und die Suche nach weiteren Einsparpotenzialen im Gesundheitswesen - so auch auf dem Arzneimittelsektor - haben den Blick verstärkt auf den elektronischen Handel (E-Commerce) mit Arzneimitteln gelenkt. Doch zum jetzigen Zeitpunkt ist trotz der Tatsache, dass gemäß der Einladung nicht mehr das "Ob" des E-Commerce, sondern nur noch das "Wie" hinterfragt werden soll, die Auseinandersetzung über das "Wie" so eng mit dem "Ob" verknüpft, dass eine Diskussion über den E-Commerce zwangsläufig beide Aspekte beleuchten muss.

Zunächst einmal herrscht unter den Stichworten "Arzneimittel und Internet" eine gewisse Begriffsverwirrung vor: Eine klare Trennlinie muss zunächst zwischen den Begriffen Patienteninformation/DTCI und E-Commerce gezogen werden. Bei letzterem sind wiederum zwei Aspekte zu unterscheiden: Business-to-Business (B2B) ist von der politischen Diskussion nicht berührt. Die Überlegungen zielen vielmehr auf die Belieferung des Verbrauchers/Patienten, also Business-to-Consumer (B2C).

Beim E-Commerce geht es im Kern um einen Vertriebsweg. Die Internet-Apotheke ist eine Versandapotheke. Das Internet ist lediglich das Medium zur Geschäftsanbahnung und zum Geschäftsabschluss. Die Abwicklung des Geschäfts erfolgt per Internethandel. Mit Blick auf die internationalen Internet-Apotheken muss man festhalten, dass es dabei um den geschäftsmäßigen, gewerblichen elektronischen Handel geht, nicht um den Einzelimport gemäß Paragraph 73 Abs. 3 AMG.

Versandhandel überwiegend national

Zunehmend wird über den Versandhandel von apotheken- bzw. rezeptpflichtigen Arzneimitteln in bzw. aus und nach Deutschland diskutiert. Eine Rolle spielt dabei, dass ein Versandhandel mit Arzneimitteln im internationalen Umfeld bereits existiert und es immer wieder Versuche ausländischer Versandhandelsapotheken gibt, sich den deutschen Markt zu erschließen.

Versandhandel ist also ein Faktum. Natürlich erfolgen auch Lieferungen nach Deutschland hinein - diese sind aber zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch illegal. Legaler Versandhandel vollzieht sich - von Ausnahmen abgesehen - nicht transnational, sondern im Wesentlichen innerhalb nationaler Grenzen. Beispiele sind die USA, die Niederlande, Großbritannien oder Schweden.

E-Commerce und Versandhandel sind theoretisch denkbar: a) national: innerhalb Deutschlands b) europäisch: innerhalb der EU c) weltweit Mit jedem Schritt der regionalen Ausweitung vergrößert sich der Regulierungsbedarf. Zugleich aber nehmen die Regulierungsmöglichkeiten - sprich die Möglichkeiten ihres Vollzugs - ab. Aus Sicht des VFA ist es daher auch wichtig, in der heutigen Debatte immer klar zu differenzieren, ob über nationalen oder internationalen Versandhandel gesprochen wird und welche Regulierung welche Stufe betreffen soll.

Zentrale Forderungen an elektronischen Handel

An den elektronischen Handel mit Arzneimitteln sind aus Sicht des VFA drei Kernforderungen zu stellen:

  • Die Arzneimittelsicherheit muss gewährleistet sein.
  • Die Versorgungssicherheit muss gegeben sein.
  • Wettbewerbsverzerrungen sind zu vermeiden.

Heute kann sich jeder von irgendeiner Stelle weltweit Arzneimittel schicken lassen, sofern er sie selbst bezahlt. Mit staatlichen Mitteln hierauf einzuwirken, ist so gut wie gar nicht möglich und wird wohl auch in Zukunft kaum möglich sein. Nationale Regularien, die dem Schutz des Einzelnen dienen, können durch das Internet und den Versandhandel mühelos unterlaufen werden. Insofern wird gerade auf diesem Feld die Regelungs- und Gestaltungsmöglichkeit des deutschen Gesetzgebers weitgehend aufgehoben.

Anders sieht es aus, wenn die Erstattung von Arzneimitteln durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erfolgen soll. In diesem Fall können staatliche Regulierungen greifen. Aus Sicht des VFA müssten die von mir vorhin erhobenen Kernforderungen Mindestvoraussetzung sein, um eine Erstattungsfähigkeit von Arzneimittel, die über den Versandhandel bezogen werden, in Betracht zu ziehen. Weitere Anforderungen müssen mit Sicherheit hinzutreten, um den Spezifika des Versandhandels Rechnung zu tragen.

Auf dem deutschen GKV-Arzneimittelmarkt - also dem Markt der zu Lasten der GKV verordneten Arzneimittel - gelten für Apotheken diverse gesetzliche Rahmenbedingungen, die Standards gesetzt haben, u. a.:

  • für Arzneimittelsicherheit und Versorgungssicherheit: - Arzneimittel mit deutscher oder europäischer Zulassung (Paragraph 21 AMG) - Verkehrsfähigkeit nach AMG (z. B. Kennzeichnung, Packungsbeilage - Paragraphen 10, 11 AMG) - volles Sortiment -Lagerhaltung - Kontrahierungszwang - Notdienstbereitschaft - Einbeziehung in Rückrufaktionen.
  • Speziell für die Erstattung durch die GKV gilt: - Bindung an Rahmenvertrag nach Paragraph 129 SGB V - 5% Krankenkassenrabatt gemäß Paragraph 130 SGB V - Einbehalt der Zuzahlung - Kennzeichnung mit N-Kürzel.
  • Weitere gesetzliche Bindungen sehen vor: - Festen Apothekenzuschlag - Vollen deutschen Mehrwertsteuersatz.

Standards für den elektronischen Handel

Anhand dieser und ggf. weiterer Parameter ist zu entscheiden, welche Standards für den elektronischen Handel mit Arzneimitteln allgemeingültig vorgeschrieben werden sollen und welche praktikabel sind. Dabei müsste den Spezifika des elektronischen Geschäftsverkehrs bzw. des Versandhandels sicherlich Rechnung getragen werden.

Grundsätzlich sollten aber für Versandhandels- und Offizinapotheken gleiche Standards gelten, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Gerade im Fall der Zulassung internationaler Versandhandelsapotheken ist auch eine Inländerdiskriminierung zu vermeiden. Unerlässlich aus Sicht des VFA ist die Gewährleistung der hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards und die Beachtung ökonomischer Auswirkungen auf die GKV und den Standort Deutschland. Dabei sollten die Interessen des GKV-Versicherten im Vordergrund stehen.

Der Patient muss sich darauf verlassen können, dass die an ihn - sei es von einer deutschen Apotheke, sei es von einer anderen (evtl. im Ausland ansässigen) Stelle - abgegebenen Arzneimittel

  • die deutsche oder europäische Zulassung haben und
  • nach den Kriterien des AMG verkehrsfähig sind (z. B. Kennzeichnung, Packungsbeilage).

In diesem Zusammenhang ist es von elementarer Bedeutung, dass der GKV-Versicherte absolut darauf vertrauen kann, keine gefälschten oder verfallenen Produkte zu erhalten. Bei einer deutschen Apotheke kann er sich aufgrund der vielfältigen Sicherheitsmechanismen dessen gewiss sein. Bei der Eröffnung eines ECommerce muss der gleiche Sicherheitsstandard verlangt werden. Dies wird im nationalen Rahmen regelbar und durchsetzbar sein.

Bei einer internationalen Ausweitung mag der erste Schritt, die Festschreibung der Standards, ebenfalls noch regelbar sein, z. B. durch Richtlinien oder Abkommen oder durch die Vergabe eines Qualitätszertifikates, das an die Einhaltung eines strengen Auflagenkataloges gebunden sein muss. Der zweite Schritt aber, die Durchsetzung und Kontrolle derartiger Standards, ist dagegen weit schwieriger und möglicherweise nicht durchsetzbar. Dies ist unter möglicherweise relevanten haftungsrechtlichen Gesichtspunkten durchaus auch für die Arzneimittelhersteller von Bedeutung.

Sollen keine Sicherheitslücken entstehen, müsste beim E-Commerce mit Arzneimitteln zumindest eine klare regionale Zuordnung erfolgen. Die Gewährleistung von hohen Sicherheitsstandards bei Lieferungen aus Indien, Russland oder auch aus den osteuropäischen EU-Beitrittsstaaten sind gegenwärtig wohl kaum vorstellbar. Im Falle von Neuregelungen, die den Versandhandel ermöglichen sollen, sind daher nicht nur die Vorschriften zum EU-Binnenmarkt zu beachten. Es sind vielmehr spezifische Regelungen in die Beitrittsverhandlungen einzubringen; die WTO-Grundsätze sind zu beachten.

Praktikabilität des E-Commerce

Aus Sicht des GKV-Patienten sind praktische Vorteile, die ein Versandhandel ihm bieten kann, ein weiterer Aspekt der Überlegungen. Der Versicherte braucht nicht selbst eine Apotheke aufsuchen, sondern kann sich Arzneimittel nach Hause schicken lassen. Für immobile Patienten ist dies ebenso hilfreich wie für Patienten, die regelmäßig Medikamente benötigen.

Allerdings stellt die Zeitschiene gegenwärtig (noch) eine Schwäche des Versandhandels mit Arzneimitteln dar: Das Rezept muss zunächst eingeschickt und das Arzneimittel dann dem Versicherten zugeschickt werden. Die Einführung eines elektronischen Rezepts dürfte daher Voraussetzung für einen funktionsfähigen E-Commerce sein, denn nur so kann sich der Patient die Vorteile des elektronischen Geschäftsverkehrs wirklich erschließen.

Keine Wettbewerbsverzerrungen durch Versandhandel

Auch wenn der Versandhandel vor allem für chronisch Kranke von Interesse sein dürfte, müsste eine Beschränkung des Sortiments auf Spezialpräparate unzulässig sein. Das AMG sieht im Interesse des Patienten für Offizinapotheken ein volles Sortiment vor. Dieser Verbraucherschutzgedanke muss, wenn er denn dauerhaft aufrecht erhalten werden soll, auch für Versandhandelsapotheken gelten. Gleiches gilt für die Lagerhaltung aus Gründen der Versorgungssicherheit.

Außerdem würde es zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn Offizinapotheken zum Vollsortiment verpflichtet wären, Versandhandelsapotheken sich dagegen auf höherpreisige Präparate, an denen sie ein besonderes wirtschaftliches Interesse haben, konzentrieren könnten. Dies würde mittelbar die flächendeckende Sicherstellung der Arzneimittelversorgung tangieren und träfe dann indirekt wieder den Versicherten, wenn er kurzfristig ein Medikament benötigt.

Des Weiteren ist unbedingt darauf zu achten, ungleiche Sicherheitsstandards und ungleiche Wettbewerbsbedingungen zu vermeiden. Man kann nicht von einer Stelle etwas verlangen, was man von anderen nicht einfordert. Demnach müsste für jede Abgabestelle - sei es eine Offizinapotheke, sei es eine Versandapotheke - gelten, dass sie nicht nur

  • zugelassene und verkehrsfähige Arzneimittel in den Verkehr bringt, sondern z. B. auch
  • 5% Krankenversicherungsrabatt gemäß Paragraph 130 SGB V gewährt,
  • dem Rahmenvertrag nach Paragraph 129 SGB V unterliegt,
  • die Zuzahlung nach Paragraph 31 SGB V einbehält,
  • die Zuschläge nach der Arzneimittelpreisverordnung berechnet und
  • 16% Mehrwertsteuer in den Preis einbezieht.

Falls diese Verpflichtungen von einer Versandapotheke nicht abverlangt werden sollen oder im internationalen Bereich nicht abverlangt werden können, müssten diese Anforderungen sicherlich auch für die deutsche Offizinapotheke entfallen. Unweigerlich wäre auch der Wegfall des Sachleistungsprinzips die Folge internationalen Versandhandels. Ich sehe keinen, der dies alles will!

Auch an die Logistik müssten beim Versandhandel spezifische Anforderungen gestellt werden (Transportsicherheit). Grundsätzlich gilt, dass die dem Versandhandel zugrunde liegenden Standards und weitere gesetzliche Vorschriften (z. B. Anwendung der Arzneimittelpreisverordnung) die Höhe der Distributionskosten bestimmen. Die Kosten lassen sich mangels definierter Standards und Vorschriften zur Zeit nicht quantifizieren. Ob sich durch den Versandhandel Einsparpotenziale für die GKV erschließen ließen - die hier schon mit bis zu 15% beziffert wurden -, ist daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig offen.

Kein E-Commerce ohne direkte Produktinformation für den Patienten

Zu berücksichtigen ist weiterhin ein internet-spezifischer Aspekt. E-Commerce setzt zwangsläufig voraus, dass eine Internet-Apotheke auch einen Internet-Auftritt hat. Dabei wird - wie in anderen Branchen allgemein üblich - sowohl das Produkt als auch dessen Preis auf den Netz-Seiten angegeben. Sobald es sich um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel handelt, steht in Deutschland das Heilmittelwerbegesetz (HWG) im Wege.

Eine andere Gestaltung des Internet-Auftrittes ist kaum denkbar. Theoretisch möglich wäre noch, dass der Patient den Namen des Arzneimittels aktiv abfragt und die Apotheke dann antwortet, ob sie diesen Artikel vorrätig hat oder nicht. Dies ist jedoch zunächst unpraktikabel, weil es in keiner Weise dem sonst im Netz praktizierten Verkaufsgebaren entspricht. Außerdem werden ausländische Internet-Apotheken nicht in dieser Form vorgehen, da sie nicht einem derartig rigiden Informationsverbot unterliegen, sodass sie gegenüber deutschen Apotheken einen Wettbewerbsvorteil hätten.

Insofern müsste in Deutschland das HWG geändert werden. Es kann dem Apotheker auf Dauer nicht verwehrt werden, über bestimmte Krankheiten ganz allgemein auf seiner Homepage zu informieren und dabei ggf. auch einen Markennamen zu erwähnen, wie dies ausländische Internet-Apotheken bereits jetzt tun. Eine solche Information durch den Apotheker entspricht nicht nur den Bemühungen, die Informationsgesellschaft auch im Gesundheitswesen auszubauen und damit die Mündigkeit des Patienten zu stärken, sondern vermittelt neben den vielen anderen ungeprüften Informationen, die jedermann über jedes Thema ins Netz stellen kann, auch Fachwissen eines Spezialisten.

Vor diesem Hintergrund müsste es auch dem pharmazeutischen Unternehmer gestattet sein, sein Fachwissen sachlich und allgemein verständlich aufbereitet ins Netz zu stellen. Er ist noch vor dem Apotheker derjenige, der über First-Hand-Informationen verfügt.

Wettbewerbsverzerrungen ausschließen

Wettbewerbsverzerrungen sind schließlich nicht nur mit Blick auf die Apotheken zu vermeiden, sondern auch mit Blick auf die Arzneimittelhersteller. Sie dürfen in Deutschland nicht mit nationalen Preisreglementierungen anderer EU-Staaten konfrontiert werden und noch weniger mit Preisvorschriften irgendwelcher anderer Länder weltweit. Die Probleme des Parallel Trade, die im EU-Binnenmarkt bislang nicht gelöst werden konnten, würden ansonsten potenziert. Internet-Handel EU-weit setzt einen einheitlichen europäischen Preis voraus, der sich am Markt gebildet hat. Durch sonst entstehende Wettbewerbsverzerrungen würde dem Pharmastandort Deutschland anderenfalls großer Schaden drohen.

Wenn man sich dem E-Commerce öffnen will, so ist doch wenigstens zu verlangen, dass die im Wege des E-Commerce abgegebenen Arzneimittel

  • die deutsche oder europäische Zulassung haben und
  • nach den Kriterien des AMG verkehrsfähig sind (z. B. Kennzeichnung, Packungsbeilage).

Diese Voraussetzungen werden schon jetzt von den Medikamenten eines "klassischen" Parallelimporteurs verlangt, der als pharmazeutischer Unternehmer eingestuft wird. Das Gleiche wäre auch von einer ausländischen Abgabestelle (Versandapotheke) zu fordern. In weiterer Konsequenz bedeutete dies, dass dann auch dem eigentlichen pharmazeutischen Unternehmer - also dem Arzneimittelhersteller - die gleichen Rechte und Möglichkeiten eingeräumt werden wie der ausländischen (Versand-) Apotheke. Das heißt: Dem Arzneimittelhersteller müsste ebenfalls gestattet sein, seine Produkte direkt an den Patienten zu liefern.

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