Arzneimittel und Therapie

Akutbehandlung des ischämischen Schlaganfalls

Ein Patient mit Schlaganfallsymptomen muß unverzüglich ins Krankenhaus gebracht werden. In der Frühphase des ischämischen Schlaganfalls kann bei bestimmten Patienten eine Thrombolyse erfolgen. In Zukunft dürften Neuroprotektiva die Akuttherapie bereichern. Intravenöse Antikoagulanzien scheinen dagegen in der Frühphase eher nicht indiziert zu sein.


Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache und die häufigste Ursache schwerer Langzeitbehinderungen bei Erwachsenen. Die Akutbehandlung des Schlaganfalls hat sich in den letzten Jahren dramatisch gewandelt - von der reinen Supportivtherapie zu aggressiven Interventionsstrategien, die die Hirndurchblutung wiederherstellen und die neurologischen Defizite begrenzen sollen.

Möglichst früh behandeln!


Prinzipiell ist der Schlaganfall heutzutage behandelbar. In der Praxis schränken jedoch das späte Erkennen und Behandeln eines Schlaganfalls den Therapieerfolg oft ein. Die Zeit bis zum Therapiebeginn des akuten Schlaganfalls muß weiter verkürzt werden:
JIndem in der Öffentlichkeit ein Bewußtsein für Warnsignale eines Schlaganfalls geschaffen wird. Den Menschen muß klar sein, daß ein Schlaganfall ein medizinischer Notfall ist, der sofort in eine Klinik gebracht werden muß.
JIndem die behandelnden Ärzte, insbesondere Notärzte, Neurologen und Neuroradiologen, in der Interpretation des Schädel-Computertomogramms optimal geschult werden. Nur so kann die richtige Entscheidung für oder gegen eine Thrombolyse rasch getroffen werden.

Verbesserungen der Therapie: bildgebende Verfahren und neue Arzneistoffe


Die dramatischen Verbesserungen der Schlaganfalltherapie beruhen einerseits auf technischen Fortschritten bei den bildgebenden Verfahren, andererseits auf der Entwicklung neuer Arzneistoffe. Eine wichtige Errungenschaft scheinen die Thrombolytika zu sein, vorausgesetzt, sie werden frühzeitig und unter Beachtung der Kontraindikationen (z.B. Blutungen im Schädel-Computertomogramm) eingesetzt.

Intravenöse Thrombolyse


Die intravenöse Thrombolyse wurde in fünf großen randomisierten Studien an Patienten mit ischämischem (auf ei-
ner mangelnden Blutversorgung z.B. durch Thrombose oder durch einen auf einer Arteriosklerose beruhenden) Schlaganfall untersucht. Drei Studien mit Streptokinase wurden wegen des erhöhten Blutungsrisikos abgebrochen; die Wirksamkeit wurde nicht belegt. In keiner dieser Studien war ein rascher Therapiebeginn innerhalb von drei Stunden vorgeschrieben gewesen.

Plasminogenaktivator Alteplase


Die Thrombolyse mit Alteplase (rekombinantem Gewebeplasminogenaktivator, rtPA) wurde in zwei großen randomisierten Studien geprüft. In der rt-PA Stroke Study des NINDS (National Institute of Neurological Disorders and Stroke) wurde Alteplase innerhalb von drei Stunden nach Einsetzen der Schlaganfallsymptome verabreicht.
Die Behandlung besserte den Grad der Behinderung nach drei Monaten signifikant, verzehnfachte aber die Häufigkeit symptomatischer Hirnblutungen (von 0,6 in der Plazebogruppe auf 6,4%).
In der European Cooperative Acute Stroke Study (ECASS) wurde mit der Alteplase-Gabe innerhalb von sechs Stunden nach dem Schlaganfall begonnen. Bei den primären Endpunkten - bestimmten neurologischen Funktionen, die mit der modifizierten Rankin-Skala und dem Barthel-Index gemessen wurden, erzielte Alteplase nach drei Monaten keine Verbesserungen gegenüber Plazebo. Allerdings erholten sich die Patienten schneller und blieben kürzer im Krankenhaus. Schließt man die Patienten, die sich für die Behandlung eigentlich nicht eigneten (u.a. solchen mit Anomalien im Computertomogramm), aus der Analyse aus, ergibt sich eine Verbesserung der neurologischen Funktionen gemäß der modifizierten Rankin-Skala. Aber auch nach Ausschluß dieser Protokollverletzer bleibt die Rate symptomatischer Hirnblutungen erhöht (knapp verdreifacht gegenüber Plazebo).

In den USA ist Alteplase seit 1996 zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls zugelassen


In den USA wurde Alteplase 1996 zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls bei ausgewählten Patienten zugelassen. Mit der Behandlung muß innerhalb von drei Stunden nach Auftreten der ersten Schlaganfallsymptome begonnen werden. Das Stroke Council der American Heart Association empfiehlt, neben der Einhaltung der Ein- und Ausschlußkriterien aus der NINDS-Studie auch Patienten mit Hinweisen im Computertomogramm auf einen größeren Hirninfarkt von der Behandlung auszuschließen.

Zeitrahmen: drei Stunden


In der Praxis erfüllen weniger als 5% aller Schlaganfallpatienten die vorgeschriebenen Kriterien, insbesondere den engen Zeitrahmen. Möglicherweise ist das therapeutische Zeitfenster bei manchen Patienten sehr viel größer als die willkürlich gewählten drei Stunden. Um dies im Einzelfall zu wissen, müßte man den Patienten immer wieder auf ischämisches, aber noch lebensfähiges Gewebe überprüfen können. Das Zeug zu einem solchen Schnelltest hätte beispielsweise die ultraschnelle Diffusions-/Perfusions-Kernspintomographie.

Komplikationsrisiko abschätzen


In weiteren Studien muß geklärt werden, welche Patienten wahrscheinlich von der Thrombolyse profitieren und welche ein hohes Komplikationsrisiko haben. Zu den Komplikationen zählen neben Blutungen auch Reperfusionsverletzungen oder ein erneuter Arterienverschluß. In zukünftigen Studien sollten die Teilnehmer genau nach Schlaganfallsubtypen differenziert werden. In beiden Alteplase-Studien war auf Gefäßuntersuchungen, die die genaue Schlaganfallursache hätten ermitteln können, verzichtet worden.
Die Entscheidung zur Thrombolyse sollten erfahrene Schlaganfallspezialisten treffen (ein Neurologe und ein Neuroradiologe, der das Computertomogramm beurteilt). Patienten mit einem nachgewiesenen Blutflußdefizit profitieren am wahrscheinlichsten von der frühen Reperfusion.

Alternative: lokale intraarterielle Thrombolyse?


Eine Alternative zur intravenösen Thrombolyse könnte in Zukunft die lokale intraarterielle Thrombolyse sein. Hierbei wird das Thrombolytikum über einen Arterienkatheter direkt in den Thrombus eingebracht. Zuvor muß eine Hirnangiographie durchgeführt werden. Die Vorteile sind hohe lokale und geringe systemische Konzentration des Thrombolytikums.

Neuroprotektiva wirken im Tierversuch


Auch Neuroprotektiva könnten die Schlaganfalltherapie in Zukunft verbessern. Voraussetzung für eine Wirkung beim ischämischen Schlaganfall ist jedoch, daß ein Rest-Blutfluß die Arzneistoffe zum Zielort bringt. Verschiedene Substanzen waren im Tiermodell erfolgreich. Beispielsweise gelang es mit einem nichtkompetitiven NMDA-(N-Methyl-D-Aspartat-)Antagonisten, das therapeutische Zeitfenster für die Thrombolyse zu verlängern.
Als Neuroprotektiva waren im Tierexperiment unter anderem auch basischer Fibroblasten-Wachstumsfaktor (bFGF), Antioxidanzien und Anti-Leukozyten-Strategien erfolgreich. An Patienten ist die Wirksamkeit der Neuroprotektiva für die Akutbehandlung des ischämischen Schlaganfalls jedoch noch nicht ausreichend belegt. In den nächsten fünf Jahren sind hier wesentliche Fortschritte zu erwarten. Wahrscheinlich werden in Zukunft vor allem Kombinationstherapien aus Thrombolytika und Neuroprotektiva eingesetzt.

Intravenöse Therapie mit dem niedermolekularen Heparinoid Danaparoid


Unfraktioniertes Heparin ist in der Akutbehandlung des ischämischen Schlaganfalls umstritten, da Wirksamkeit und Sicherheit nicht belegt sind. In einer großen Doppelblindstudie wurde kürzlich das niedermolekulare Heparinoid Danaparoid in der Frühphase des ischämischen Schlaganfalls geprüft.
Bei 1281 Patienten wurde innerhalb von 24 Stunden nach dem Schlaganfall randomisiert eine intravenöse Therapie mit Danaparoid oder Plazebo begonnen. Nach einem initialen Bolus bekamen die Patienten sieben Tage lang eine kontinuierliche Infusion, wobei die Dosis so eingestellt wurde, daß eine Anti-Faktor-Xa-Aktivität von 0,6 bis 0,8 Einheiten/ml Plasma erzielt wurde. Untersucht wurde primär der Anteil der Patienten, der nach drei Monaten auf der Glasgow Outcome Scale und dem modifizierten Barthel-Index einen günstigen Verlauf zeigte.
Dies waren 75% der mit Danaparoid Behandelten und 74% der mit Plazebo Behandelten. Auch der Anteil der Patienten mit sehr günstigem Verlauf (49,5% gegenüber 47%) unterschied sich nicht signifikant. Dagegen bestanden direkt nach der Behandlung durchaus Unterschiede zwischen den Gruppen: 59% der mit Danaparoid, aber nur 54% der mit Plazebo Behandelten hatten einen günstigen Verlauf, 34% gegenüber 28% einen sehr günstigen Verlauf. Danaparoid erhöhte das Risiko für Hirnblutungen: Nach zehn Tagen hatten 14 Patienten mit Danaparoid, aber nur vier mit Plazebo schwere intrakranielle Blutungen. Eine Subgruppenanalyse ergab, daß das Heparinoid nach drei Monaten nur bei Patienten mit zugrunde liegender Atherosklerose einer großen Arterie den Anteil günstiger und sehr günstiger Verläufe erhöhte.
Demnach verbessert Danaparoid trotz des scheinbar günstigen Ergebnisses nach sieben Tagen den Verlauf nach drei Monaten im allgemeinen nicht. Einen Nutzen scheint es nur bei Patienten zu haben, deren Schlaganfall auf der Atherosklerose einer großen Arterie beruht. Das Heparinoid erhöht - insbesondere bei schweren Schlaganfällen - die Gefahr von Hirnblutungen. Im allgemeinen scheint ein intravenöses Antikoagulans in der Frühphase des ischämischen Schlaganfalls nicht notwendig zu sein, weil Schlaganfallrezidive in dieser Phase eher selten sind (in dieser Studie mit einer Häufigkeit von 1,5% in der ersten Woche). Literatur
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Fontanarosa, P. B., M. A. Winker: Timeley and appropriate treatment of acute stroke. J. Am. Med. Assoc. 279, 1307 - 1308 (1998).
The Publications Committee of the Trial of ORG 10172 in Acute Stroke Treatment (TOAST) Investigators: Low molecular weight heparinoid, ORG 10172 (Danaparoid), and outcome after acute ischemic stroke. J. Am. Med. Assoc. 279, 1265 - 1272 (1998).
Susanne Wasielewski, Münster

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