Imlygic

Talimogen laherparepvec

15.06.2016


Onkolytisches Immuntherapeutikum
Patienten mit nicht resezierbarem, lokal oder entfernt metastasiertem Melanom, das noch nicht in Knochen, Gehirn, Lunge oder andere innere Organe vorgedrungen ist, können nun mit Talimogen laherparepvec (Imlygic®) behandelt werden. Es handelt sich um ein onkolytisches Immuntherapeutikum, das vom Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) abgeleitet ist und direkt in Melanome injiziert wird.

Talimogen laherparepvec 

ATC-Code

L: Antineoplastische und immunmodulierende Mittel


L01: Antineoplastische Mittel


L01X: Andere antineoplastische Mittel


L01XX: Andere antineoplastische Mittel


L01XX51: Talimogen laherparepvec


Wirkungsmechanismus

Talimogen laherparepvec (T-VEC) entsteht durch Deletion der ICP34.5- und ICP47-Gene sowie Insertion der kodierenden Sequenz für den humanen Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierenden-Faktor (hGM-CSF, human granulocyte-macrophage colony-stimulating factor) bei Herpes-simplex-Viren. Gesunde Zellen sind normalerweise durch antivirale Immunantworten gegen eine Infektion mit dem abgeschwächten Herpes-simplex-Virus-Typ-1-T-VEC geschützt. In Tumorzellen kommt es dagegen nach einer Aufnahme des modifizierten HSV-1 zur Virus-Replikation und zur Produktion von hGM-CSF. Die Deletion von ICP47 bewirkt einerseits, dass das Immunsystem die infizierten Tumorzellen über Antigen-präsentierende Moleküle erkennt. Andererseits erhöht es die Expression des HSV-US11-Gens, was die virale Replikation verstärkt. Durch die virale Überschwemmung kommt es schließlich zum Absterben der Tumorzellen sowie zur Freisetzung von Antigenen. Zusammen mit dem ebenfalls ausgeschütteten Wachstumsfaktor weißer Blutkörperchen hGM-CSF werden systemische Antitumor-Immunantworten und Effektor-T-Zell-Antworten induziert. Das körpereigene Immunsystem ist nun besser in der Lage, Melanomzellen zu erkennen und zu zerstören. Im Tierexperiment an Mäusen wurde eine vollständige Rückbildung der Primärtumoren festgestellt, ebenso eine Resistenz gegen eine nachfolgende Tumor-Reexposition.

Pharmakokinetik

Resorption: Talimogen laherparepvec wird direkt in kutane, subkutane, und/oder nodale Melanom-Läsionen appliziert und über HSV-1-Rezeptoren in die Zellen aufgenommen. T-VEC-DNA ist bei 90% der Patienten vorübergehend und in niedrigen Konzentrationen in den injizierten Läsionen sowie im Blut und bei 20% der Patienten im Urin nachweisbar. Die Bioverfügbarkeit und die systemische Konzentration von T-VEC sind nicht prädiktiv für die Aktivität des Wirkstoffs und wurden deshalb nicht bestimmt.


Proteinbindung, Verteilung: Eine Plasmaproteinbindung findet nicht statt. Wie bei Infektionen mit HSV-1-Wildtyp kann eine Ansammlung von T-VEC-DNA in neuronalen Zellkörpern fortbestehen. Eine latente Infektion mit Talimogen laherparepvec ist daher nicht auszuschließen.


Metabolismus: Talimogen laherparepvec wird durch allgemeine Abwehrmechanismen wie Autophagie oder adaptive Immunantworten eliminiert und unterliegt weiterhin dem physiologischen Katabolismus für Proteine und DNA.


Exkretion: Eine Eliminationshalbwertszeit ist nicht bestimmbar.

Dosierung, Art und Dauer der Anwendung

Talimogen laherparepvec wird mittels fächerförmiger Injektion direkt in und um die sichtbaren, tastbaren oder im Ultraschall nachweisbaren Melanome injiziert. Die Injektionsstelle kann vorab mit einem Lokalanästhetikum behandelt werden, allerdings nicht durch direkte Injektion in die Läsion. Für die erste Behandlung wird die T-VEC-Zubereitung mit 106 Plaque-bildenden Einheiten (PFU) pro ml verwendet. Für die nächste Applikation nach drei Wochen und alle folgenden, jeweils im Abstand von zwei Wochen, kommt stets die Zubereitung mit 108 PFU/ml zum Einsatz. Das jeweilige Injektionsvolumen richtet sich nach der Größe der zu behandelnden Flächen und liegt für Läsionen von mehr als 5 cm Durchmesser bei maximal 4 ml. Es ist möglich, dass sich vor Erreichen eines Ansprechens vorhandene Melanome vergrößern oder neu entwickeln. So lange noch injizierbare Läsionen vorhanden sind, sollte die Behandlung für mindestens sechs Monate fortgeführt werden. Falls nach einem kompletten Ansprechen neue Melanome auftreten, kann die Behandlung mit Talimogen laherparepvec wieder aufgenommen werden. Bei Leber- oder Niereninsuffizienz ist keine Dosisanpassung erforderlich.

Kontraindikationen

Bei schwer immungeschwächten Patienten oder Überempfindlichkeit gegen T-VEC besteht eine Kontraindikation.

Unerwünschte Wirkungen

Unter der Behandlung mit Talimogen laherparepvec kommt es sehr häufig zu peripheren Ödemen, Kopfschmerzen, Husten, Erbrechen, Diarrhö, Obstipation, Übelkeit, Myalgie, Arthralgie, Schmerzen, grippeähnlichen Erkrankungen, Pyrexie, Schüttelfrost, Fatigue sowie zu Reaktionen an der Injektionsstelle. Häufig treten Zellulitis, oraler Herpes, Tumorschmerzen, infizierte Neoplasien, Anämie, immunvermittelte Ereignisse, Dehydratationen, Verwirrtheit, Angst, Depressionen, Schwindel, Schlaflosigkeit, Tachykardie, tiefe Venenthrombosen, Hypertonie, Erröten, Belastungsdyspnoe, oropharyngeale Schmerzen, Infektion der oberen Atemwege, abdominale Schmerzen und Unwohlsein, Vitiligo, Hautausschläge, Dermatitis, Ohren-, Leisten-, Rücken- oder Achselhöhlenschmerzen, allgemeines Unwohlsein, Gewichtsverlust, Wundkomplikationen sowie Schmerzen durch den Eingriff auf.

Wechselwirkungen

Systemisch oder topisch direkt an der Einstichstelle angewendetes Aciclovir oder andere antivirale Arzneistoffe können die Wirksamkeit von T-VEC herabsetzen. Bei Patienten unter Behandlung mit Immunsuppressiva wie Ciclosporin, Methotrexat oder Glucocorticoiden besteht eine erhöhte Gefahr für die Aktivierung und Ausbreitung einer Herpes-Infektion. Weitere Untersuchungen zur Erfassung von Wechselwirkungen mit Talimogen laherparepvec wurden nicht durchgeführt.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen

Das in Talimogen laherparepvec enthaltene Herpes-Virus kann später erneut aktiv werden und beispielsweise Lippenherpes oder eine herpetische Keratitis auslösen. Auch eine Reaktivierung von latentem HSV-1-Wildtyp ist offenbar möglich. Bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem, z. B. bei bestehender HIV-Infektion oder Leukämie, besteht ein erhöhtes Risiko für die Ausbreitung einer Herpes-Infektion. Kontaktpersonen sollten während der gesamten Behandlungszeit und bis zu 30 Tage danach den direkten Kontakt mit injizierten Läsionen, Verbänden oder Körperflüssigkeiten der behandelten Patienten meiden, da es auch hier zu einer Herpes-Infektion kommen kann. Im Falle einer unbeabsichtigten T-VEC-Exposition ist der betroffene Bereich gründlich mit Seife und Wasser und/oder Desinfektionsmitteln zu reinigen. Nachdem, wie auch beim HSV-1-Wildtyp, eine Übertragung durch sexuellen Kontakt möglich erscheint, ist beim Geschlechtsverkehr die Verwendung von Latexkondomen dringend angeraten. Durch die Behandlung mit T-VEC können an der Injektionsstelle Wundheilungsstörungen, Zellulitis, Plasmozytome, Nekrosen oder Ulzerationen von Tumorgewebe auftreten. Ebenso wurde über obstruktive Atemwegserkrankungen und immunvermittelte Ereignisse einschließlich Glomerulonephritis, Vaskulitis, Pneumonitis sowie Verschlechterungen von Psoriasis und Vitiligo berichtet. Bei Patienten mit anfänglicher HSV-1-Seronegativität ist die Inzidenz von Pyrexie, Schüttelfrost und grippeähnlichen Erkrankungen höher als bei HSV-1-seropositiven. Sicherheit und Wirksamkeit von Talimogen laherparepvec bei Kindern und Jugendlichen sind nicht erwiesen.

Schwangerschaft und Stillzeit

Eine Anwendung von Talimogen laherparepvec in der Schwangerschaft sollte vermieden werden. Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung zuverlässige Verhütungsmethoden anwenden. HSV-1-Wildtyp-Viren überwinden die Plazentaschranke und können während der Geburt auf das Neugeborene übertragen werden. Als Folge sind schwere Schädigungen wie Multiorganversagen und Tod möglich. Obwohl keine Erfahrungen zur Behandlung von Schwangeren vorliegen, muss bei T-VEC prinzipiell mit ähnlichen Effekten gerechnet werden. Weiterhin können bei malignen Melanomen transplazentare Metastasen auftreten, sodass Talimogen laherparepvec möglicherweise auch zusammen mit Tumorgewebe die Plazenta passiert. Da nicht bekannt ist, ob Talimogen laherparepvec in die Muttermilch übergeht, muss zur Sicherheit eine Entscheidung getroffen werden, ob auf das Stillen oder die Therapie verzichtet werden soll.

Handelspräparat Imlygic 

Hersteller

Amgen GmbH, München

Einführungsdatum

15. Juni 2016

Zusammensetzung

106 bzw. 108 Plaque-bildende Einheiten (PFU) pro ml Injektionslösun

Sonstige Bestandteile

Dinatriumphosphat-Dihydrat, Natriumdihydrogenphosphat-Dihydrat, Natriumchlorid, Myo-Inositol, Sorbitol (E 420), Wasser für Injektionszwecke

Packungsgrößen, Preise, PZN

1 Durchstechflasche mit 106 Plaque-bildenden Einheiten (PFU) in 1 ml, 2949,97 Euro, PZN 11182814;
1 Durchstechflasche mit 108 PFU in 1 ml, 2949,97 Euro, PZN 11182820

Indikation

nicht resezierbares, lokal oder entfernt metastasiertes Melanom (Stadium IIIB, IIIC und IVM1a) ohne Knochen-, Hirn-, Lungen- oder andere viszerale Beteiligung bei Erwachsenen

Dosierung

T-VEC wird als intraläsionale Injektion in kutane, subkutane, und/oder nodale Läsionen angewendet. Die Menge des Injektionsvolumens richtet sich nach der Läsionsgröße, es beträgt bis zu 4 ml. Bei der ersten Behandlung wird die Zubereitung mit 106 Plaque-bildenden Einheiten eingesetzt, drei Wochen danach und dann im Abstand von jeweils zwei Wochen die Zubereitung mit 108 Plaque-bildenden Einheiten.

Kontraindikationen

Überempfindlichkeit gegen T-VEC, schwer immungeschwächte Patienten, z. B. mit angeborener oder erworbener zellulärer und/oder humoraler Immunschwäche

Unerwünschte Wirkungen

Die am häufigsten berichteten unerwünschten Wirkungen waren Fatigue (50,3%), Schüttelfrost (48,6%), Pyrexie (42,8%), Übelkeit (35,6%), grippeähnliche Erkrankungen (30,5%) und Schmerzen an der Injektionsstelle (27,7%). Insgesamt 98% dieser berichteten unerwünschten Wirkungen hatten einen milden oder mäßigen Schweregrad. Die am häufigsten vorkommende unerwünschte Wirkung des Grades 3 oder höher war Zellulitis (2,1%).

Wechselwirkungen

Es wurden keine Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen mit Talimogen laherparepvec durchgeführt. Aciclovir oder andere antivirale Wirkstoffe können die Wirksamkeit von T-VEC beeinträchtigen, wenn sie systemisch oder topisch direkt an der Injektionsstelle angewendet werden.

Warnhinweise, Vorsichtsmaßnahme

Eine unbeabsichtigte Exposition kann zu einer Herpes-Infektion führen. Patienten, die schwer immungeschwächt sind, können einem größeren Risiko für eine disseminierte Herpes-Infektion unterliegen und dürfen nicht mit Talimogen laherparepvec behandelt werden. Enge Kontaktpersonen, die schwanger oder immungeschwächt sind, dürfen weder Verbände wechseln noch die Injektionsstelle reinigen. Nach der Behandlung mit T-VEC können Nekrosen oder Ulzerationen von Tumorgewebe auftreten. Eine sorgfältige Wundpflege und Infektionsschutzmaßnahmen werden empfohlen, insbesondere wenn Gewebenekrosen zu offenen Wunden führen. Nach Anwendung von T-VEC wurde über Zellulitis, systemische bakterielle Infektionen und obstruktive Atemwegserkrankungen berichtet.

Literatur

[1] Fachinformation Imlygic®, Stand 12/2015


[2] Andtbacka RH et al. Talimogene Laherparepvec Improves Durable Response Rate in Patients With Advanced Melanoma. J Clin Oncol 2015;33(25):2780-2788


[3] EPAR summary for the public. Imlygic® EMA/708487/, 2015, www.ema.europe.eu

Copyright

©2016-2022 Deutscher Apotheker Verlag, Neue Arzneimittel, Beilage der Deutschen Apotheker Zeitung

Datenstand

09/2016

Apothekerin Dr. Monika Neubeck