Stiftung Warentest

Besser Baldrianwurzel oder Lavendelöl bei innerer Unruhe?

Stuttgart - 06.06.2023, 17:55 Uhr

Was versteht man eigentlich unter innerer Unruhe? Ursachen und Symptome können sich durchaus unterscheiden – Lösungsansätze entsprechend auch. (Foto: BillionPhotos.com / AdobeStock)

Was versteht man eigentlich unter innerer Unruhe? Ursachen und Symptome können sich durchaus unterscheiden – Lösungsansätze entsprechend auch. (Foto: BillionPhotos.com / AdobeStock)


Stiftung Warentest hat sich mal wieder einen Teil des OTC-Sortiments in der Apotheke vorgenommen: pflanzliche Beruhigungsmittel. Viele der getesteten Präparate sind auch außerhalb der Apotheke in Drogerien und Supermärkten erhältlich. So wirklich gut kommt aber keines der Phytotherapeutika weg. Auch wenn Stiftung Warentest selbst nicht zu diesem Fazit gelangt: Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig die Beratung in der Apotheke vor Ort ist. Denn auch Stiftung Warentest wirft die Frage auf, bei welchen Beschwerden pflanzliche Beruhigungsmittel überhaupt zum Einsatz kommen sollten.

In der Juni-Ausgabe von Stiftung Warentest kommen pflanzliche Beruhigungsmittel nicht gut weg. Nur Baldrian-Präparate gelten als „mit Einschränkung“ geeignet. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass die Indikation „Beruhigung“ etwas unspezifisch ist. Auch Stiftung Warentest weist darauf hin, dass Nervosität oder Unruhe beispielsweise im Rahmen einer Angsterkrankung oder Depression auftreten kann. Und auch an körperliche Ursachen, etwa eine Schilddrüsenerkrankung, sei zu denken. Insofern kann man (pflanzliche) Beruhigungsmittel sicherlich grundsätzlich im Bereich der Selbstmedikation infrage stellen – doch wie ist es um die Evidenz bestellt? 

In der neuesten Auflage des Buchs „Evidenzbasierte Selbstmedikation“ finden sich die von Stiftung Warentest genannten pflanzlichen Beruhigungsmittel in zwei verschiedenen Kapiteln – „Depressionen“ und „Schlafstörungen“.

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So erhält die Evidenz-Lage für Baldrian-Präparate im Kapitel „Pflanzliche Sedativa“ zwei von fünf möglichen Evidenz-Punkten. Das bedeutet, dass die therapeutische Wirksamkeit als nicht ausreichend bestätigt gilt. „Einige klinische Studien ergaben Hinweise auf eine leichte sedierende Wirkung von Baldrian-Extrakten“, heißt es wörtlich. Aus der Mehrzahl neuerer Studien lasse sich jedoch kein Unterschied zu Placebo ableiten. Insofern klingt das Stiftung-Warentest-Urteil zu Baldrian sogar recht positiv.

Zu Melisse, Hopfen oder Passionsblume heißt es in dem Buch jedoch, dass der Nutzen dieser pflanzlichen Sedativa zur Behandlung von Schlafstörungen nicht ausreichend durch kontrollierte klinische Studien über längere Zeiträume nachgewiesen ist. Dass Stiftung Warentest solche Präparate also als „wenig geeignet“ einstuft, erscheint damit nachvollziehbar. Und: „Zubereitungen aus Lavendelöl könnten allenfalls bei zugrundeliegender Angstsymptomatik hilfreich sein“, heißt es im Buch. Wer sich also von den pflanzlichen Beruhigungsmitteln einen besseren Schlaf erhofft, sollte wohl wirklich auf Baldrian-Präparate für die Nacht zurückgreifen.

Wer hinter seiner Unruhe hingegen eine Depression vermutet, kann tatsächlich auf evidenzbasierte Phytotherapie zurückgreifen: Johanniskraut-Extrakte. Johanniskraut erhält von Stiftung Warentest in der aktuellen Ausgabe zwar nur die Bewertung „wenig geeignet“, das liegt jedoch daran, dass es in Form von Beruhigungstees betrachtet wurde. In dem Buch „Evidenzbasierte Selbstmedikation“ heißt es hingegen: „Johanniskraut-Extrakte können zur Behandlung von leichten Depressionen im Rahmen der Selbstmedikation empfohlen werden. Sie sind vergleichbar gut wirksam wie verschreibungspflichtige Antidepressiva, bei besserer Verträglichkeit.“ Das Urteil: vier von fünf Evidenz-Punkten.

Für Pflanzen-Extrakte aus Passionsblume, Melisse und Hopfen sollen bei Depressionen keine verlässlichen Studien vorliegen. Das heißt, anders als bei Johanniskraut ist nicht mit einer Stimmungsaufhellung zu rechnen. Positive Effekte seien allenfalls möglich, wenn im Rahmen der Depression Unruhe oder Schlafstörungen auftreten – so die Schilderungen im Buch, die sich somit auch mit der Bewertung durch Stiftung Warentest decken.

Evidenz zu Lavendel bei Depression vergleichbar mit Baldrian?

Lavendelöl erhält in dem Buch „Evidenzbasierte Selbstmedikation“ in der Indikation Depression zwar nur zwei von fünf Evidenz-Punkten, ist damit aber nicht als weniger geeignet einzustufen als Baldrian. Dieser erhält nämlich auch im Kapitel „Depression“ wie bei den „Schlafstörungen“ zwei von fünf Evidenz-Punkten und scheint bei unspezifischer Unruhe somit einen guten Kompromiss darzustellen. Allerdings heißt es wörtlich: „Lediglich eine günstige Beeinflussung von Schlafstörungen als Begleitsymptome einer Depression wäre denkbar.“ 

Bei Lavendelöl wiederum heißt es: „Zubereitungen aus Lavendelöl können allenfalls bei leichten Depressionen, die mit einer Angstsymptomatik und Unruhezuständen einhergehen, versuchsweise eingesetzt werden. Antidepressive Wirkungen konnten beim Menschen bislang nicht nachgewiesen werden.“ Damit scheinen Lavendel-Präparate nicht weniger geeignet zu sein als Baldrian-Präparate, nur eben in unterschiedlichen Indikationen beziehungsweise bei innerer Unruhe unterschiedlicher Ausprägung.

Was sagt das HMPC zu Baldrian und Lavendel?

Warum hält Stiftung Warentest Lavendelöl dann für „wenig geeignet“ und Baldrian-Präparate für „mit Einschränkung geeignet“? Dazu sollte man wissen, dass Stiftung Warentest nicht alle Baldrian-Präparate für geeignet hält – denn wie Apotheker:innen wissen, können sich verschiedene Extrakte aus ein und derselben Pflanze in ihrer Wirkung durchaus unterscheiden. Deshalb fallen beispielsweise Baldrian-Präparate wie „Abtei Nachtruhe Baldrian Einschlaftropfen“ durch, während „Abtei Baldrian Forte“ als „mit Einschränkung geeignet“ gilt. Denn: „Nur für einen bestimmten Trockenextrakt der Baldrianwurzel legen wissenschaftliche Studien nahe, dass er bei Unruhe wirkt“, erklärt Stiftung Warentest.

Aus den Monografien des „Committee on Herbal Medicinal Products“ (HMPC) geht hervor, dass der Wurzel-Trockenextrakt mit dem Droge-Extrakt-Verhältnis (DEV) 3-7.4:1, gewonnen mit 40-70 Prozent V/V Ethanol geeignet ist (Status des „well-established use“), für die Anwendung bei nervöser Anspannung und Schlafstörungen. Er soll in Form von Tabletten eingenommen werden. Alle anderen Baldrian-Zubereitungen fallen demnach nur unter den „traditional use“, was bedeutet, dass die Wirksamkeit nicht bewiesen ist, aber als plausibel gilt. 

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Für Lavendelöl – sei es zum Schlafen oder bei mentalem Stress – bescheinigt das HMPC hingegen nur den „traditional use“. Zudem betont Stiftung Warentest die Nebenwirkungen von Lavendelöl: Es könne „Aufstoßen, Übelkeit und schwere allergische Reaktionen auslösen“. Baldrian-Präparate sollen hingegen „kaum Nebenwirkungen“ machen. 

Insofern wird vielleicht nachvollziehbar, warum Stiftung Warentest das Präparat Lasea als nur „wenig geeignet“ einstuft. Einen Therapieversuch – nach Rücksprache mit einem Arzt oder einer Ärztin – schließt aber auch Stiftung Warentest nicht aus. In der Apotheke bieten pflanzliche Beruhigungsmittel also viel Beratungspotenzial. 


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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