Erfolge im Mausmodell

Impfen gegen Multiple Sklerose?

Stuttgart - 15.01.2021, 15:00 Uhr

Forscher haben einen Impfstoff gegen MS entwickelt. (s / Foto: vetre / stock.adobe.com)

Forscher haben einen Impfstoff gegen MS entwickelt. (s / Foto: vetre / stock.adobe.com)


Wirkt die Impfung nur gegen MS – oder wird das gesamte Immunsystem lahmgelegt?

In einem Modell, in dem die Mäuse nach mRNA-Impfung Hämmaglutinin-Antigen (Oberflächenprotein von Influenzaviren) erhielten, konnten Krienke et al. außerdem nachweisen, dass eine MOG35-55 m1Ψ mRNA-induzierte Immunantwort sich ausschließlich gegen das MS-Antigen richtete und funktionelle Immunantworten gegen Nicht-Myelin-Antigene nicht unterdrückte – es kommt damit zu keiner allgemeinen Immunsuppression. Biontech erklärt hierzu: „Wichtig ist, dass der präklinische Impfstoffkandidat keine Immunreaktionen gegen andere, Nicht-Myelin-Antigene (z. B. Antigene des Influenza-Impfstoffs) unterdrückt hat und somit in den Untersuchungen eine der zentralen Herausforderungen bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen adressiert: die Induktion einer unspezifischen, systemischen Immunsuppression.“

mRNA-Impfstoff verhindert symptomatische Krankheit und stellt Funktionen wieder her

In einer Mitteilung fasst Biontech die positiven präklinischen Daten zusammen: „Der Impfstoff konnte in allen untersuchten EAE-Mausmodellen eine symptomatische Krankheit verhindern oder, in Mäusen mit bestehender Krankheit im Frühstadium, das Fortschreiten der Krankheit verhindern und motorische Funktionen wiederherstellen.“ Die Einwanderung entzündungsfördernder Effektor-T-Zellen in Gehirn und Rückenmark sowie die Demyelinisierung des Rückenmarks konnten „deutlich reduziert“ werden. Und weiter: „Diese Effekte wurden durch die Induktion krankheitsunterdrückender regulatorischer T-Zellen erzielt, welche sich ausschließlich gegen das Impfstoff-kodierte Antigen richten.“ Der „Bystander“-Effekt ermögliche bei komplexen Erkrankungen auch die Kontrolle anderer krankheitsspezifischer Antigene, was essenziell sei, um zum Teil unbekannte Antigene und die „inter-individuelle Heterogenität zwischen einzelnen Patienten“ zu adressieren.

„Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose“ warnt vor Euphorie

In einer Pressemitteilung erklärt das „Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose“ (KKNMS), dass die Ergebnisse von Krienke et al. „Hoffnungen bei MS-Betroffenen wecken“. Die Studie sei „höchstwertig und wissenschaftlich von größter Bedeutung“, sie dokumentiere erneut auch das Potenzial der mRNA Vakzinierungsstrategie insgesamt. Doch die KKNMS relativiert die mediale Euphorie ein Stück weit: „Was in Mäusen mit experimenteller autoimmuner Enzephalomyelitis als Impfstrategie funktioniert, ist als Strategie für eine Autoimmunerkrankung beim Menschen nicht so einfach zu übersetzen.“ Hauptproblem beim Menschen – im Gegensatz zum Tiermodell – sei, dass die Zielantigene bei MS nicht bekannt sind. Über Jahrzehnte hätten Wissenschaftler bereits versucht, die für Multiple Sklerose relevanten Antigene zu identifizieren, dies gelang jedoch nicht. So hätten in den 90er-Jahren Antigen-spezifische Therapieansätze bei der Übertragung aus Laborbedingungen auf den Menschen sogar teilweise unerwartet zu einer Verstärkung der Entzündung im Gehirn geführt, die Immunantworten gegen das ZNS sei befördert und nicht unterdrückt worden. „Eine Autoimmunkrankheit wie die Multiple Sklerose ist im Kontext der entwickelten Impfung damit nicht gleichzusetzen mit einer Infektion, die ja eine sehr gerichtete Antwort auf sehr definierte (Virus)Antigene darstellt“, erklärt das KKNMS weiter. Die Strategie eine „Impfung gegen MS“ zu entwickeln sei zwar charmant und wissenschaftlich ein hochwertvolles Ziel, es fehle aber beim Menschen nicht die richtige Labortechnik, sondern die Biologie der Entzündungsprozesse bei der MS sei ganz anders zu bewerten als bei einer Infektion.

Um diese Zweifel (hoffentlich) auszuräumen, ist noch ein Stück Weg zu gehen. Nach präklinischen Studien dürfte Biontech seinen vielversprechenden Impfstoffkandidaten weiter klinisch untersuchen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Weiter so, bitte

von Mi Ola am 11.02.2021 um 8:44 Uhr

Eine tolle Neuigkeit von BionTech. Weiter so, bitte! Ich bin mir sicher, dass auch zu MS eine Heilung auffindbar ist.

KKNMS's skeptische kommentare zu der Sache finde ich sehr schade.
Vielleicht hat die Krankheitsbezogene Kompetenznetz aber auch Angst, dass MS zu einen heilbaren Krankheit wird... Wer weiß...?

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Impfung

von jacki am 21.01.2021 um 21:51 Uhr

ich habe eine Frage der möglichen MS Impfung..
ich habe die Variante ms spms mit aufgesetzten schüben die schleichende veriate, meine Frage ist ,ist auch diese Impfung später dafür gedacht?

MIT freundlichen Grüßen Jacqueline dietel

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Impfung gegen MS

von Carmen Oberberger am 21.01.2021 um 8:28 Uhr

Ich leide seit 20 Jahren an MS und warte seitdem auf den Durchbruch.
Ich verstehe nicht, warum bei Corona innerhallb von ein paar Monate ein Impfstoff aus dem Boden getreten werden kann und bei weitaus besser bekannten Krankheiten es soviele Jahre dauert bis etwas freigegeben wird

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