Erste Anmerkungen zum Handels- und Kooperationsabkommen zwischen EU und Großbritannien

Welche Folgen könnte der Brexit-Vertrag für den Arzneimittelsektor haben?

Frankfurt am Main - 28.12.2020, 15:00 Uhr

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson und die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen. (Foto: imago images / Hans Lucas)

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson und die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen. (Foto: imago images / Hans Lucas)


Lange hat es gedauert, an Heiligabend war es nun soweit: Die Chefunterhändler der EU einerseits und des Vereinigten Königreichs und Nordirland andererseits einigten sich auf ein Handels- und Kooperationsabkommen, das bereits am 1. Januar 2021 vorläufig in Kraft treten soll. Für DAZ.online hat sich Professor Hilko Meyer, Experte für Europarecht, europäisches Wirtschaftsrecht und Recht des Gesundheitswesens an der Frankfurt University of applied Sciences, den Vertragsentwurf mit Blick auf die möglichen Folgen für den Arzneimittelsektor angeschaut.

Am 24. Dezember 2020 einigten sich die Chefunterhändler der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft einerseits und die des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland andererseits auf ein Handels- und Kooperationsabkommen, das bereits am 1. Januar 2021 vorläufig in Kraft treten soll. Der am zweiten Weihnachtstag veröffentlichte Vertragsentwurf umfasst 1.246 Seiten und ist ausdrücklich als rechtlich unverbindliche Information gekennzeichnet. Die nachfolgenden Anmerkungen können daher nur eine erste Einschätzung wiedergeben und stehen unter dem Vorbehalt weiterer Änderungen und Erkenntnisse.

Der Entwurf enthält sowohl für den Arzneimittel- als auch den Apothekenbereich spezielle Vorschriften, die aber hinter den Erwartungen zurückbleiben. So gibt es keine Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung der Chargenfreigabe. Das hat für den grenzüberschreitenden Arzneimittelverkehr aus Großbritannien in die EU zur Folge, dass die Chargenfreigabe für Fertigarzneimittel durch eine qualifizierte Person in der EU nach dem EU-Arzneimittelrecht durchgeführt werden muss. Auch bleibt es dabei, dass künftig zwei getrennte Zulassungssysteme für Arzneimittel der beiden Vertragspartner bestehen. Eine gegenseitige Anerkennung der Zulassungsentscheidungen wurde ebenso wenig vereinbart wie eine Übergangsfrist, sodass die Regelungen bereits ab der kommenden Woche gelten.

Zollfrei oder nicht?

Von Bedeutung sind ferner die künftige Begrenzung der markenrechtlichen Erschöpfungsregelungen auf das Territorium der jeweiligen Vertragspartei, der EU-Vorbehalt der einseitigen Äquivalenzentscheidung in Datenschutzfragen und die produktspezifischen Ursprungsregeln, nach denen sich richtet, ob ein Produkt bei der Einfuhr zollfrei bleibt oder nicht. Die vereinbarte Zollfreiheit ist an bestimmte Mindesthöhen der Wertschöpfung innerhalb des Territoriums beider Vertragspartner gebunden. Damit wirken sich zum Beispiel Verarbeitungsschritte und Vormaterialien aus der EU nicht negativ auf den Präferenzzoll aus.

Bei pharmazeutischen Erzeugnissen ist der Ursprungsnachweis erfüllt, wenn entweder eine chemische Reaktion, eine Reinigung, ein Mischen und Vermengen, die Herstellung von Standardmaterialien, eine Änderung der Teilchengröße, eine Isomerentrennung oder eine biotechnologische Verarbeitung in einem der Vertragsstaaten erfolgt ist oder der Wert der Vormaterialien ohne Ursprungseigenschaft (VNM), ausgedrückt in Prozent des Ab-Werk-Preises (EXW), den Höchstwert (MaxNOM) von 50 Prozent nicht überschreitet (S. 430). Allerdings hat die britische Regierung einseitig Einfuhren von in der EU zugelassenen Arzneimittel bis zur Jahresmitte erlaubt, um Lieferengpässe abzumildern. Die EU hat im Gegenzug die Frist zur Vorlage des Ursprungsnachweises auf ein Jahr verlängert, um den Problemen des Handels bei der Ermittlung der produktspezifischen Ursprungsdaten Rechnung zu tragen.



Prof. Dr. Hilko J. Meyer
redaktion@daz.online


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