Erste Anmerkungen zum Handels- und Kooperationsabkommen zwischen EU und Großbritannien

Welche Folgen könnte der Brexit-Vertrag für den Arzneimittelsektor haben?

Frankfurt am Main - 28.12.2020, 15:00 Uhr

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson und die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen. (Foto: imago images / Hans Lucas)

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson und die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen. (Foto: imago images / Hans Lucas)


Großbritannien nicht mehr an Rechtsprechung des EuGH gebunden

Großbritannien konnte sich mit seinem zentralen Anliegen durchsetzen, nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterworfen zu sein, musste sich aber, ebenso wie die EU, einem neuen mehrstufigen Koordinierungs- und Konfliktlösungsmechanismus unterwerfen. Eine zentrale Rolle spielt hierbei der künftige Partnerschaftsrat (Article INST.1: Partnership Council, S. 10) mit seinen spezialisierten Handelsausschüssen und Arbeitsgruppen (Article INST.2: Committees, INST.3: Working Groups, S. 15).

Was gilt für den Arzneimittel- und Apothekenbereich?

Für den Arzneimittel- und Apothekenbereich einschlägig dürften die die Arbeitsgruppe „Arzneimittel" unter der Aufsicht des Fachausschusses für technische Handelshemmnisse und die Arbeitsgruppe für die Koordinierung der sozialen Sicherheit unter der Aufsicht des Fachausschusses für die Koordinierung der sozialen Sicherheit sein. Hier soll die regelmäßige Information und Konsultation über die Anwendung der bestehenden und die Entwicklung künftiger Regelungen stattfinden.

Für den Fall, dass eine Vertragspartei der Auffassung ist, dass sie die von der anderen Vertragspartei durchgeführten Inspektionen nicht mehr anerkennen oder die von der anderen Vertragspartei ausgestellten amtlichen GMP-Dokumente nicht mehr akzeptieren kann, so teilt sie der anderen Vertragspartei ihre Absicht mit, die gegenseitige Anerkennung auszusetzen, und die Vertragsparteien nehmen Konsultationen in der Arbeitsgruppe „Arzneimittel" auf. Dagegen wird die Geltung der Streitbeilegungsmaßnahmen, die im sechsten Teil des Handels- und Kooperationsabkommens geregelt sind, für Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des Anhangs über Arzneimittel ausdrücklich ausgeschlossen (Art. 13, S. 495).

Komplexe Vorbehaltsregelungen für die Apotheken und den Arzneimittelversand

Das Apothekenwesen fällt, ebenso wie das Sozialsystem und die Gesundheitsversorgung insgesamt, nicht in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union. Im Einklang mit den WTO-Regeln behandelt das Unionsrecht jedoch Einschränkungen der Marktfreiheiten durch entsprechende nationale Maßnahmen als rechtfertigungspflichtige Handelshemmnisse. Dementsprechend enthält der Vertragsentwurf ein Bündel an Vorbehalten der EU, die sich auf die Aufrechterhaltung bestehender und künftiger Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Gesundheits- und Sozialbereich beziehen und insoweit eine Berufung Großbritanniens auf einen gleichwertigen Marktzugang seiner Unternehmen ausschließen.

Für die in diesem Zusammenhang aufgeführten Maßnahmen gilt das Rückschrittverbot, das die EU gegen den Widerstand des Vereinigten Königreichs durchgesetzt hat („ratchet clause“). Wie die Sperrklinken einer Ratsche soll diese Klausel verhindern, dass bisher erreichte Freiheiten des Handelsverkehrs rückgängig gemacht und faire Wettbewerbsbedingungen („level playing field“) untergraben werden. Erlaubt ist nur die Fortsetzung oder Modifizierung der von den Vorbehalten erfassten Maßnahmen, nicht ihre Erweiterung. Auffällig ist daher vor allem, wie unterschiedlich präzise die für die einzelnen Staaten geltenden Vorbehalte formuliert sind und wie selektiv sie offenbar von den Mitgliedstaaten eingebracht wurden.



Prof. Dr. Hilko J. Meyer
redaktion@daz.online


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