Neues Arzneimittel gegen Grippe

Drohen Resistenzen bei Baloxavir?

Stuttgart - 10.09.2018, 07:00 Uhr

Symbolbild: Baloxavir marboxil nutzt als Virustatikum einen bei Influenzaviren bislang nicht therapeutisch verwendeten Angriffspunkt. ( r / Foto: designer491 / stock.adobe.com)

Symbolbild: Baloxavir marboxil nutzt als Virustatikum einen bei Influenzaviren bislang nicht therapeutisch verwendeten Angriffspunkt. ( r / Foto: designer491 / stock.adobe.com)


Eine einmalige Dosis gegen Grippe – das verspricht nicht nur die jährliche Grippeimpfung, sondern auch ein neues Arzneimittel von Roche: Baloxavir marboxil. In Japan ist es unter dem Namen Xofluza bereits zugelassen, in den USA ist eine beschleunigte Zulassung bei der FDA beantragt. Allerdings könnte es laut dem New England Journal of Medicine ein Problem mit Baloxavir geben – Resistenzen.

Baloxavir marboxil ist seit langer Zeit der erste anitvirale Wirkstoff, der im Kampf gegen das Influenzavirus mit einem völlig neuen Angriffspunkt Hoffnung weckt. Zwar lies die Europäische Arzneimittelagentur EMA erst im April dieses Jahres Peramivir (Alpivab) zu. Wie Oseltamivir in Tamiflu (Roche) und Zanamivir in Relenza (Glaxo SmithKline) trifft Peramivir jedoch das bereits altbekannte Target Neuraminidase.

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Baloxavir hingegen hemmt die CAP-abhängige Endonuklease. In Japan ist der neuartige Wirkstoff in Xofluza bereits seit Februar dieses Jahres zugelassen, und auch die Vereinigten Staaten forcieren derzeit den Marktzugang von Baloxavir: Die Zulassungsunterlagen hat Roche bereits eingereicht, und die FDA prüft Baloxaivr aktuell in einem beschleunigten Verfahren.

Erst jüngst meldete Roche zuversichtlich stimmende neue Daten aus den Baloxavir-Studien Capstone-1 und Capstone-2. Capstone-1 untersuchte Baloxavir an „gesunden“ Influenzapatienten. Die Patienten wurden in drei Gruppen randomisiert: Gruppe eins erhielt Baloxavir – abhängig vom Körpergewicht in einer einmaligen Dosierung von 40 mg oder 80 mg. Patienten der Gruppe zwei nahmen zweimal täglich 75 mg Oseltamivir für fünf Tage und die letzte Gruppe erhielt Placebo. Capstone-2 hingegen prüfte den Wirkstoff an Patienten mit Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus oder Asthma. Laut damaligen Aussagen von Roche hatten die Phase-III-Studien ihre Ziele erreicht, die Ergebnisse waren zu dem Zeitpunkt jedoch noch nicht veröffentlicht. Roche erklärte zudem, dass Baloxavir auch bei Oseltamivir-resistenten Stämmen und Stämmen der Vogelgrippe (H7N9, H5N1) wirkt.

Baloxavir verkürzt Krankheitssymptome um einen Tag

Der primäre Endpunkt von Capstone-1 – Zeitspanne bis zum Bessern der Symptome – wurde nun, gemeinsam mit den Ergebnissen einer japanischen Dosisfindungsstudie (Phase-II), im New England Journal of Medicine veröffentlicht. An der Auswertung von Capstone-1 nahmen 1.064 Patienten teil, bei denen die Diagnose Influenza nachgewiesen wurde (Reverse-Transkriptase-PCR). In allen drei Gruppen waren 84,8 bis 88,1 Prozent der Erkrankten mit H3N2 infiziert. In der fulminanten Grippesaison des vergangenen Winters 2017/18 spielten H3N2-Viren in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle, sie machten nach aktuellen Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) gerade einmal 4 Prozent aller labordiagnostisch bestätigten Influenza-Fälle aus (334.709).

Wie wirkt Baloxavir marboxil?

Baloxavir marboxil nutzt als Virustatikum einen bei Influenzaviren bislang nicht therapeutisch verwendeten Angriffspunkt: Baloxavir hemmt die CAP-abhängige Endonuklease und somit einen der ersten Schritte im Replikationszykus des Influenzavirus.

Influenzaviren werden mittels Endozytose in die Wirtszelle aufgenommen. Anschließend erfolgt die Freisetzung des viralen Ribonukleoproteins ins Zytosol und in der Folge der Import in den Nucleus. Dort findet – neben der Replikation viraler RNA – die Transkription des Influenzagenoms in virale mRNA statt.

Ohne CAP, keine mRNA der Influenzaviren

Diese Transkription kann jedoch nicht ohne „Kappen“ beginnen. Diese sogenannte CAP-Struktur dient als Primer, als Erkennungssequenz, für die virale RNA-Polymerase. Woher stammt diese CAP-Sequenz? Da Viren bekanntermaßen eine recht reduzierte Ausstattung besitzen, „stiehlt“ die virale Endonuclease diese CAP-Strukturen von der Wirtszelle, sprich der zellulären mRNA. 
Zur Erinnerung: Eine Endonuklease schneidet DNA oder – wie im Falle von Influenzaviren – RNA in der Mitte ihres Nukleotidstranges und schafft somit Mehrfachnukleotide als Spaltprodukt.

Baloxavir verhindert virale Proteinbiosynthese

Hier greift Baloxavir marboxil ein: Es hemmt diese CAP-abhängige Endonuklease. Diese 5’-Kappen sind jedoch für mehrere Prozesse bedeutend: Sie schützen zum einen die mRNA vor dem Abbau. Zum anderen sind sie wichtig für den Transport der mRNA aus dem Zellkern hin zum Ribosom, wo die Proteinbiosynthese stattfindet. Somit resultiert als Effekt eine CAP-abhängige Endonuklease-Hemmung und eine Proteinbiosynthese aus der viralen mRNA ist nicht möglich.

Resistenzen unter Baloxavir?

In der Capstone-1-Studie vergingen bis zum Abklingen der Symptome bei den mit Baloxavir behandelten Grippepatienten 53,7 Stunden, in der Oseltamivir-Gruppe 53,8 Stunden und in der Placebo-Gruppe 80,2 Stunden. Somit erzielte eine einmalige Gabe von Baloxavir eine vergleichbare Wirkung wie die fünftägige Behandlung mit Oseltamivir. Der Vorteil gegenüber Placebo betrug bei beiden Antiviralia etwa einen Tag.

Knapp 10 Prozent der Baloxavir-Patienten haben Influenzamutationen

Laut den Wissenschaftlern des NEJM war die Behandlung mit Baloxavir gut verträglich, unerwünschte Ereignisse traten bei 20,7 Prozent der Baloxavir-Patienten auf. Unter Placebo und Oseltamivir war die Nebenwirkungsrate erhöht: 24,6 Prozent (Placebo) und 24,8 Prozent (Oseltamivir). Allerdings machten die Forscher auch eine weiter Beobachtung: So entwickelten sich in der Capstone-1-Studie bei 9,7 Prozent der Baloxavir-Patienten Mutationen, die ein geringeres Ansprechen auf Baloxavir zeigten. Welche klinischen Auswirkungen diese Escape-Mutanten haben, lässt sich derzeit noch nicht absehen, und zwar weder auf die Infektiosität noch die Pathogenität der Influenzaviren.

Das Ärzteblatt schreibt hierzu: „Sollten sie in gleicher Weise ansteckend und krankheitserregend sein wie der Wildtyp der Influenzaviren, könnte Baloxavir schon bald seinen Nutzen verlieren."
Auch hat Roche aktuell die genauen Studienergebnisse von Capstone-2, in der Baloxavir an Patienten mit Vorerkrankungen geprüft wird, veröffentlicht. Gerade diese zählen jedoch zum Risikokollektiv für schwere Verläufe einer Influenzainfektion. Der Pharmakonzern erklärte bislang nur, dass der primäre Endpunkt erreicht wurde. Wie bei Capstone-1 ist dies die Zeitspanne, bis sich die grippetypischen Symptome bessern.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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