Griechisch-deutscher Arzneimittel-Skandal

Securpharm hätte gestohlene Klinik-Arzneimittel nicht aufgespürt

Berlin - 18.07.2018, 07:00 Uhr

Kann Securpharm vor Arzneimitteln, die aus Krankenhäusern gestohlen wurden, warnen? (Foto: dpa)

Kann Securpharm vor Arzneimitteln, die aus Krankenhäusern gestohlen wurden, warnen? (Foto: dpa)


Der Bericht des ARD-Magazins Kontraste zum windigen Arzneimittelhandel von Griechenland über Polen nach Deutschland hat in den vergangenen Tagen für Wirbel gesorgt. Dabei stellt sich eine Frage: Wäre es in Deutschland eher aufgefallen, dass die besagten Arzneimittel aus einem griechischen Krankenhaus gestohlen wurden, wenn die EU-Regelungen zum Fälschungsschutz bereits griffen? Die ernüchternde Antwort lautet wohl „nein“.

Vergangene Woche Donnerstag berichtete das ARD-Magazin „Kontraste“ über eine kriminelle Bande, die teure Krebs- und MS-Medikamente in griechischen Kliniken gestohlen und offenbar über Zwischenhändler nach Deutschland verkauft haben soll. In Griechenland kam es zu Verhaftungen, die Öffentlichkeit reagierte bestürzt. Pavlos Polakis, der stellvertretende griechische Minister für Gesundheit, erklärte in dem ARD-Beitrag: „Wir wissen, dass der Transport von diesen Medikamenten nicht ordnungsgemäß verlaufen ist und die Bedingungen für diese hochsensiblen Mittel, wie entsprechende Kühlung, nicht gegeben waren. Wir sprechen hier von einer illegalen Bande, die sich offensichtlich nicht um medizinische Anforderungen gekümmert hat.“

Ob die deutschen Behörden versagt haben, ist unklar. Das Brandenburger Gesundheitsministerium will sich jedenfalls keine Versäumnisse vorwerfen lassen. Dass es sich um gestohlene Ware gehandelt hat, habe man erst durch die ARD-Anfrage erfahren. Zuvor war die Aufsicht zwar nach Hinweisen der polnischen Arzneimittelbehörde gegen Lunapharm vorgegangen – aber nur, weil Apotheken nach griechischem Recht keine Arzneimittel an Großhändler liefern dürfen. In der Folge hat die Aufsicht Lunapharm den Handel mit Arzneimitteln, die von der griechischen Apotheke bezogen wurden, untersagt. Auch Stichproben wurden genommen und überprüft – die Qualität sei einwandfrei und die Sicherheit der Menschen wäre zu keiner Zeit gefährdet gewesen, heißt es.

Ein Strafverfahren gegen Lunapharm hat die Staatsanwaltschaft Potsdam in die Wege geleitet – wegen des Verdachts auf Hehlerei und Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz. Wie auch immer es ausgehen mag, der Fall wirft die Frage auf, ob künftig verhindert werden kann, dass gestohlene Klinikware in die legale Lieferkette gelangt. Schließlich werden zum 9. Februar 2019 die europäischen Vorgaben zum Fälschungsschutz verbindlich: Ab diesem Stichtag müssen alle Arzneimittelpackungen, die in der EU für den Verkehr freigegeben werden, bestimmte Sicherheitsmerkmale tragen – einen individuellen Data-Matrix-Code und einen Erstöffnungsschutz. Die Hersteller müssen zuvor die individuellen Produktdaten in eine Hersteller-Datenbank hochladen. Apotheken wiederum müssen die Sicherheitsmerkmale verifizieren und vor der Abgabe an den Patienten prüfen. Sie gleichen also die Seriennummer beim Ausbuchen der Packung ab. Ist sie nicht auf dem Server vorhanden oder wurde sie bereits ausgebucht, schlägt das System Alarm.

Griechenland und Italien haben sechs Jahre länger Zeit

Was wäre nun mit besagten Produkten aus Griechenland, wenn Securpharm schon liefe? Es ist davon auszugehen, dass zunächst nichts aufgefallen wäre. Denn Griechenland gehört neben Italien und Belgien zu den Ländern, die sechs Jahre länger Zeit haben, die europäischen Fälschungsschutzvorgaben umzusetzen. Während Belgien bereits angekündigt hat, eher fertig zu werden, ist aus Griechenland und Italien derartiges nicht zu hören. Hintergrund ist, dass diese Länder bereits über Systeme zur Überprüfung der Echtheit von Arzneimitteln und zur Identifizierung von Einzelpackungen verfügen – wie gut diese funktionieren, sei dahingestellt. Viele dürften sich noch an die vor einigen Jahren aus italienischen Kliniken entwendeten Arzneimittel und die Folgen auch für Deutschland erinnern. Die verlängerte Umsetzungsfrist heißt im Klartext: Die individuellen Erkennungsmerkmale werden Packungen, die in Griechenland in den Verkehr gebracht werden, vorerst fehlen. Sie sind damit – ebenso wie Packungen aus anderen europäischen Ländern, die vor dem Stichtag in den Verkehr gebracht wurden und noch bis zu ihrem Verfall verkauft werden können – die kritische Unbekannte im Fälschungsschutzsystem. Wenn Fälscher ab kommenden Februar in Europa noch „erfolgreich“ aktiv sein wollen, so dürften sie sich auf diese nicht serialisierte Ware konzentrieren.

Und selbst wenn die gestohlene Klinikware die Sicherheitsmerkmale trüge, etwa weil sie in einem anderen Land gestohlen wurde, in dem diese bereits Pflicht sind, wäre nicht sicher, ob das System Alarm schlägt. Das geschieht nämlich nur, wenn die Ware bereits ausgebucht wurde. Die Frage ist also: Wann wird im Krankenhaus ausgebucht? In Deutschland streitet man derzeit leidenschaftlich, auf welche Weise und wann dies geschehen soll. Das Problem sind die großen Mengen, die in den Kliniken zu prüfen sind. Und wenn man bedenkt, dass die Bundesrepublik als „Musterschüler“ in Sachen Umsetzung der Fälschungsschutzrichtlinie gilt, mag man sich nur ungern ausmalen, wie andere Länder mit den besonderen Verhältnissen im Krankenhaus umgehen. Arzneimittel für ein Krankenhaus können also erst dann sicher sein, wenn sie möglichst schnell nach ihrem Eingang schon ausgebucht werden.

Gefeit vor einem Szenario wie im Ausgangsfall wird man durch Securpharm erst dann sein, wenn es nur noch serialisierte Arzneimittel in Europa gibt und die Kliniken die erhaltenen Produkte gleich ausbuchen. Und es gibt noch einen weiteren neuralgischen Punkt: Die Aufsicht muss funktionieren. Denn Lunapharm ist zugelassener Parallelvertreiber und kann somit aus EU-Staaten eingeführte Arzneimittel umverpackt und in deutscher Aufmachung in den Verkehr und damit in die Apotheken bringen. In diesem Zuge muss das Unternehmen als neuer Hersteller auch für neue Sicherheitsmerkmale sorgen. Woher es seine Ware bezieht, könnte jedoch unter Umständen im Dunklen bleiben. Zwar trifft Importeure schon heute eine Dokumentationspflicht, wie viele Arzneimittel sie aus einem anderen Markt beziehen und wie viele sie in Deutschland in den Verkehr bringen. Die Frage ist aber, ob die Aufsicht es schafft, zu kontrollieren, ob diese Werte zueinander passen.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Deutschland ist beim Blödsinn heutzutage immer ganz vorne.

von Ratatosk am 18.07.2018 um 18:44 Uhr

Deutschland ist beim Blödsinn heutzutage immer ganz vorne.
man packt noch was drauf, bis es irre teuer ist und in Praxi kaum mehr anwendbar ist. War auch bei der Maut so. Hier wird nur ein extrem anfälliges System zusammengeschustert, das den Kassen viel Macht gibt und die Apotheken für das Großkapital mundgerecht zerstört, denn digital kann in ganz Europa keiner mehr amazon, google etc. noch irgendetwas entgegensetzen.

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