Resistenzbildung

Massenweise illegale Antibiotika auf indischem Markt

Remhagen - 09.02.2018, 15:20 Uhr

Indien gehört zu den Ländern mit dem höchsten Antibiotika-Verbrauch, nicht alle Kombinationen haben eine Zulassung. (Foto: vepar5 / stock.adobe.com)

Indien gehört zu den Ländern mit dem höchsten Antibiotika-Verbrauch, nicht alle Kombinationen haben eine Zulassung. (Foto: vepar5 / stock.adobe.com)


Nach einer aktuellen Studie sollen in Indien im Untersuchungszeitraum von 2007 bis 2012 massenweise nicht zugelassene fixe Kombinationen von antimikrobiellen Wirkstoffen auf dem Markt gewesen sein. Dies ist sicher keine gute Nachricht im Hinblick auf den ohnehin hohen Antibiotikaverbrauch und die Sorgen um die zunehmende Resistenzbildung.  

Indien gehört weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Antibiotikaverbrauch. Auch die Resistenzraten sind dort hoch. Die extensive Nutzung von fixen Kombinationen antimikrobieller Wirkstoffe und nicht genehmigter Präparate wurden als wichtige Gründe hierfür vermutet, aber bislang gab es keine systematischen Untersuchungen dazu. Nun haben Forscher der Queen Mary University of London und der Newcastle University Licht ins Dunkel gebracht. Nach ihrer Untersuchung, deren Ergebnisse im British Journal of Clinical Pharmacology veröffentlicht wurden, sollen in Indien in den vergangenen Jahren Millionen von „Antibiotika-Pillen“ ohne Zulassung auf dem Markt gewesen sein.

Zwei Drittel der fixen Antibiotika-Kombis nicht zugelassen

Die Befunde der Wissenschaftler beruhen auf Marktdaten in der kommerziellen indischen Datenbank Pharmatrac®. Zulassungsdaten wurden aus den einschlägigen Datenbanken der Regulierungsbehörden in Indien, den USA und Großbritannien eruiert. Die Forscher fanden heraus, dass in Indien zwischen 2007 und 2012 118 verschiedene Formulierungen von systemischen fixen Antibiotika-Kombinationen vermarktet wurden, von denen 64 Prozent nicht durch die zentrale Regulierungsstelle Central Drugs Standard Control Organisation (CDSCO) zugelassen waren. Nur vier davon waren in den ebenfalls in die Erhebung einbezogenen Vergleichsländern USA oder Großbritannien genehmigt. Bei den Monopräparaten sieht die Bilanz deutlich besser aus. Von diesen waren 93 Prozent durch die CDSCO zugelassen und über zwei Drittel auch in den USA und/oder in UK.

3300 Markennamen und fast 500 Hersteller

Die fixen Kombinationen wurden unter mehr als 3300 Markennamen von fast 500 pharmazeutischen Herstellern vertrieben. 464 Produzenten sind in Indien ansässig. Zwölf sind multinationale Konzerne (Abbott, Astra Zeneca, Baxter, Bayer, Eli Lilly, GlaxoSmith Kline, Merck/MSD, Novartis, Pfizer, Sanofi-Aventis und Wyeth). Auf diese entfiel knapp die Hälfte der Antibiotika-Kombinationen. Von den 20 Formulierungen ohne CDSCO-Genehmigung wurden 18 von Abbott hergestellt. 

Welche Kombis sind die „Renner“?

58 fixe Kombis enthielten zwei antimikrobielle Wirkstoffe, davon 36 zwei Antibiotika, 17 Antibiotikum plus Antiprotozoikum und fünf Antibiotikum plus Antimykotikum/antivirales Mittel. Lediglich ein Viertel dieser dualen Präparate war CDSCO-genehmigt und nur eins (Trimethoprim plus Sulfamethoxazol) in Großbritannien und den USA. Die Kombis mit der größten Anzahl der Produkte waren: Ofloxacin plus Ornidazol (382 Produkte, 279 Hersteller), Amoxicillin plus Clavulansäure (293 Produkte, 189 Hersteller) und Ciprofloxacin plus Tinidazol (208 Produkte, 147 Hersteller).

Rasante Umsatzzuwächse bei Antibiotika

Wie in der Publikation weiter nachzulesen ist, stieg der Antibiotika-Absatz von 2000 bis 2010 weltweit in 71 Ländern um 36 Prozent. Für drei Viertel dieses Zuwachses sind fünf Länder (Brasilien, China, Indien, Russland, Südafrika) verantwortlich. Hinsichtlich des Pro-Kopf-Konsums soll Indien an der Spitze stehen. Nach der aktuellen Studie hat sich der Gesamtumsatz mit Antibiotika dort in dem betrachteten Fünfjahres-Zeitraum um 26 Prozent erhöht, wobei der Umsatz mit Monopräparaten um 20 und der mit Kombinationen um 38 Prozent zulegte. Im Jahr 2012 machten diese in Indien ein Drittel des Gesamtumsatzes mit Antibiotika. Zum Vergleich: In Großbritannien sind es nach Angaben der Autoren nur fünf Prozent. Die Forscher heben außerdem hervor, dass unter den 20 umsatzstärksten Kombi-Präparaten auf dem indischen Markt mehr als ein Drittel nicht zugelassen war.

Pharmakologische Mängel

Viele der nicht genehmigten fixen Kombinationen halten sie überdies für kritisch. So gehörten Breitspektrum-Antibiotika plus Antibiotika mit Antiprotozoen-Wirkung, wie zum Beispiel Ofloxacin plus Ornidazol und Norfloxacin plus Metronidazol, zu den am häufigsten verschriebenen fixen Kombinationen zur Behandlung von Durchfall, um alle möglichen Ursachen abzudecken. Dabei handele es sich nicht um Erstlinien-Antibiotika, und die Kombinationen könnten den Durchfall durch die Auswirkungen auf die normale Darmflora sogar noch verstärken. Einige Komponenten hätten unterschiedliche Halbwertszeiten und/oder erforderten unterschiedliche Dosierungs-Frequenzen. Für manche seien schwerwiegende Interaktionen bekannt (zum Beispiel Azithromycin plus Ofloxacin, die beide mit einer Verlängerung der QT-Zeit verbunden sind).

Verbot konsequent durchsetzen

Ihre Studie lege die anerkannten Schwächen des indischen Regulierungssystems wieder einmal offen, schlussfolgern die Autoren. Sie fordern nun rigorose Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Antibiotika, die in Indien vermarktet werden, ordnungsgemäß geprüft und zugelassen sind. Zudem müsse das bestehende Verbot der Herstellung und der Verkauf von nicht zugelassenen Präparaten, allem voran von fixen Kombinationen, konsequent durchgesetzt werden. Ansonsten würden sämtliche Bemühungen um die Eindämmung der zunehmenden Resistenzbildungen schlichtweg unterlaufen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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