Skandal in Bottrop

Kassen verlangen strengere Zyto-Aufsicht

Stuttgart - 27.09.2017, 09:00 Uhr

Nach dem Zyto-Skandal in Bottrop fordern manche Kassen Kontrollen der Apotheken-Wareneingänge. (Foto: Barmer)

Nach dem Zyto-Skandal in Bottrop fordern manche Kassen Kontrollen der Apotheken-Wareneingänge. (Foto: Barmer)


Ein Bottroper Apotheker soll tausende Patienten mit fehlerhaften Rezepturen beliefert und den Kassen einen Schaden von rund 56 Millionen Euro verursacht haben. DAZ.online hat bei den Kassen nachgefragt, wie sie ihre Patienten beraten – und welche Forderungen sich für sie ergeben.

Im Skandal um einen Bottroper Zytoapotheker, der seit rund elf Monaten in Untersuchungshaft sitzt, geht es um viel: Der Pharmazeut soll insbesondere Krebsmittel in mehr als 60.000 Fällen stark unterdosiert oder unter schlechten hygienischen Bedingungen hergestellt haben – womöglich sind tausende Patienten betroffen. Allein bei den Krankenkassen beläuft sich der Schaden laut Anklage auf gut 56 Millionen Euro.

Wie reagieren nun die Krankenkassen auf den Fall – und inwiefern fordern sie von Behörden und Ärzten, dass betroffene Versicherte über mögliche Unterdosierungen informiert und eine optimale Therapie sichergestellt wird? Federführend für die Ersatzkassen ist die Techniker Krankenkasse für den Bottroper Skandal zuständig – doch ein Sprecher verweist lediglich auf das laufende Verfahren. „Deshalb können wir uns dazu nicht äußern“, erklärt er auch auf die Frage, welche Forderungen sich für die Kasse ergeben, um ähnliche Fälle für die Zukunft auszuschließen. 

Hotline für Betroffene

„Die AOK Rheinland/Hamburg ist erschüttert über diesen Skandal“, erklärt ein Sprecher der im Rheinland zuständigen Ortskrankenkasse. Die Ärzte und Krankenhäuser, die von der Zyto-Apotheke beliefert wurden, sollten den betroffenen Patienten ein Gespräch anbieten und sie umfassend informieren und betreuen, betont sie. Als wohl einzige Krankenkasse hat die AOK Rheinland/Hamburg eine Hotline eingerichtet, außerdem unterstützt sie Betroffene über ein spezielles Beratungs-Angebot für Krebskranke.

Wie auch bei der Techniker Krankenkasse liegen bei der AOK Rheinland/Hamburg noch keine Informationen zur Zahl der betroffenen Versicherten vor. „Die Aufsichten, die für Zytostatika herstellende Apotheken zuständig sind, müssen nun die bisherigen Kontrollinstrumente hinterfragen und gegebenenfalls ergänzen, um derartige Fälle künftig auszuschließen“, erklärt der Sprecher. 

AOK Nordwest und Barmer fordern Offenlegung der Apotheken-Bücher

Die angrenzende AOK Nordwest erklärt, dass nun „eine regelmäßige, konsequente und unangemeldete Kontrolle“ der Zytostatika herstellenden Apotheken notwendig sei. „Außerdem sollte eine turnusmäßige Offenlegung des Warenein- und -ausgangs gegenüber Dritten (unabhängige Stelle) erfolgen“, erklärt ein Sprecher. Dies geht in eine ähnliche Richtung wie Forderungen von Patientenvertretern, Finanzämter sollten die Rechnungen von Apothekern prüfen.

Zur Anzahl der Geschädigten könne die Kasse noch nichts sagen, da sie noch keine Akteneinsicht erhalten habe. Die AOK Nordwest erklärt außerdem, dass größere Zyto-Apotheken im Sinne des Patienten seien: Nach ihrer Ansicht wirke der Wegfall der exklusiven Zyto-Verträge mit Apotheken „der Sicherheit entgegen, da bei größeren Einheiten das ‚Mehr-Augenprinzip‘ stärker ausgeprägt ist“, erklärt der Kassensprecher.

„Der Betrugsfall hat gezeigt, dass umfangreichere Kontrollen der Apotheken, insbesondere bei der Herstellung hochwirksamer Medikamente wie bei der Krebsimmuntherapie, notwendig sind", erklärt ein Sprecher der Barmer. „Der konkrete Betrugsfall hätte frühzeitig erkannt und aufgedeckt werden können, wenn die Menge der eingekauften Wirkstoffe mit der Menge der abgerechneten Wirkstoffe abgeglichen worden wäre.“ Auch seine Kasse fordert, dass Zyto-Apotheken die eingekauften Warenmengen offenlegen müssen. „Wir plädieren dafür, gemeinsam mit den Apothekern nach einer schlanken und möglichst unbürokratischen Lösung zu suchen, um diese offensichtliche Lücke bei der Prüfung von Apothekenabrechnungen zu schließen“, erklärt er.

Nur die Ärzte können laut Barmer und DAK aufklären

Eine gezielte Information der betroffenen Versicherten sei nicht möglich, da auch der Barmer hierzu keine Informationen vorlägen. „Im direkten Austausch mit verunsicherten Patientinnen und Patienten raten wir deshalb, sich mit ihrem behandelnden Arzt beziehungsweise Onkologen in Verbindung zu setzen, um nach Möglichkeit zu klären, ob der Arzt von der betreffenden Apotheke beliefert wurde und welches Produkt die Apotheke herstellen sollte“, sagt der Sprecher. „Nur der behandelnde Arzt oder Onkologe kann einschätzen, ob eine eventuelle Streckung des Wirkstoffes negative gesundheitliche Wirkungen verursachen kann.“

Eine abschließende Beurteilung und optimale Aufarbeitung der Therapie werde in vielen Fällen allerdings erst nach Einsichtnahme der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte möglich sein, die zusammen mit anderen Ersatzkassen – federführend durch die Techniker Krankenkasse – beantragt sei, erklärt der Barmer-Sprecher. „Eventuell uns zustehende zivilrechtliche Ersatzansprüche, beispielsweise durch etwaige Gesundheitsschäden betroffener Versicherter und daraus resultierender Behandlungskosten, werden wir geltend machen.“

Auch die DAK-Gesundheit erklärt, dass nach dem Bottroper Fall häufigere unangekündigte Kontrollen durchgeführt werden müssten – bislang wurden diese nur in Verdachtsfällen vorgenommen. Die Information und die entsprechende Beratung der Betroffenen könne nur über die behandelnden Ärzte erfolgen, betont ein Sprecher. Bisher hätten sich in dieser Sache nur wenige Patienten an die Kundenberater gewandt.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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