Kommentar

Gerichtsurteil bedroht Rezeptur

Süsel - 26.09.2017, 17:40 Uhr

Kapselherstellung in der Apotheke: Ein Gericht missversteht die pharmazeutische Arbeit. (Foto: Sket)

Kapselherstellung in der Apotheke: Ein Gericht missversteht die pharmazeutische Arbeit. (Foto: Sket)


Arzneistoffgewinnung und Arzneimittelherstellung trennen!

Nur die strikte Trennung von Arzneistoffgewinnung und Arzneimittelherstellung ist mit diversen anderen arzneimittel- und apothekenrechtlichen Regeln vereinbar. Die Vorschriften der Apothekenbetriebsordnung zur Ausstattung der Apothekenrezeptur beziehen sich ausschließlich auf die Herstellung von Darreichungsformen aus vorhandenen Stoffen. Apotheken sind nicht für die Herstellung von Stoffen gedacht und nicht dafür ausgerüstet. Die amtlichen Arzneibücher beschreiben Qualitätsanforderungen an Stoffe und die Weiterverarbeitung zu Arzneimitteln. Dies betrifft sowohl Apotheken als auch den weitaus überwiegenden Teil der pharmazeutischen Industrie in Europa, denn die meisten Stoffe werden fast nur noch in Asien hergestellt. Die Wissenschaft, die sich mit der Verarbeitung von Arzneistoffen zu Arzneimitteln beschäftigt, ist die pharmazeutische Technologie. Fachfremden Lesern sei hier gesagt, dass dies eine anerkannte Fachdisziplin mit umfangreicher wissenschaftlicher Forschung ist, die eines von fünf Prüfungsfächern im zweiten Abschnitt des pharmazeutischen Staatsexamens darstellt. In ihrem Urteil vergleichen die Hamburger Richter die Herstellungsschritte der Apotheke dagegen mit dem Einrühren des Arzneistoffes in Joghurt. Dies suggeriert, die pharmazeutische Technologie reduziere sich auf banales Alltagshandeln.  

Appell

Daher sollten sich die zuständigen Richter folgende Frage stellen: Wie würden Sie sich fühlen, wenn ein komplett Fachfremder Ihnen sagen würde, das Fachgebiet, dem Sie Ihr berufliches Leben gewidmet haben, sei irrelevant, und die gesamte Forschung und Lehre, die dazu seit Jahrzehnten an Universitäten stattfindet, sei bedeutungslos? Würden Sie das einfach hinnehmen oder nach dem Denkfehler suchen? Letztlich bleibt aus pharmazeutischer Sicht zu appellieren, ein patentrechtliches Problem mit den Mitteln des Patentrechts zu entscheiden. Der Umweg über das Arzneimittelrecht droht dagegen unverantwortliche Kollateralschäden auszulösen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Einerseits "Einzelzulassung", andererseits Banalisierung der Rezepturtätigkeit: Selbst schuld!

von Wolfgang Müller am 26.09.2017 um 20:13 Uhr

Zuallererst: Ich verstehe Ihre juristische Argumentation, das ist aller Ehren wert. Aber, demgegenüber nur mal so zwei spontane, eher inhaltliche Punkte:

1. Einer der ersten Gedanken zur "Plausibilitätsprüfung" war 2012 ja in der Tat, dass wir es nun wirklich mit so etwas wie regelmäßigen Einzel-Nachzulassungen für viele traditionell den Ärzten "schon immer so in der Feder gelegenen" Verordnungen zu tun haben. Und, natürlich, auch ständig "Neu"-Zulassungen. MEINE GÜTE, wo setzen wir da genaugenommen überall quasi-notariell unsere Zulassungs-Unterschrift drunter! Selbstverschuldet unhonoriert, selbstverständlich; bei voller Haftung. Irre.

2. Wenn ich es mir als Beruf nicht einmal annähernd auskömmlich bezahlen lassen WILL, präjudiziere ich ja selber, dass es bei "Rezeptur" um nichts anderes als "banales Alltagshandeln" geht. Das sich als Hobby ja bald nur noch die Ganz Großen Vorzeige Apotheken leisten können. Die andern ersticken halt dran, wenn der Kostendruck von anderer Seite absehbar zunimmt, und werden so lange noch ordentlich kujoniert.

Bei "Happy-Hour-Preisen" für Fertigarzneimittel sind die selben Heilige-Pharmazie-Kolleg/innen SOFORT mit der Banalisierungs-Keule zur Hand, die UNBEDINGT weiter eine defizitäre Massen-Rezeptur erhalten wollen. Legionen dieser Leute, oft in hoher Kammer-Position, hauen unbedacht legendäre Sprüche raus wie "Kapseln macht meine PTA doch mit verbundenen Augen", wenn es um profitable Honorierung und die dem zu Grunde liegende Ernsthaftigkeit einer GMP-gerechten Kapselherstellung z. B. auch unter zeitaufwändiger, möglichst IRGENDWIE valider Homogenisierung geht.

Fazit: Lieber Kollege Müller-Bohn, das Alles erscheint mir immer mehr als ein aus eigener Blödheit verlorenes Terrain (wir werden das spätestens in den BMWi-Honorargutachten-Gesprächen sehn; ob uns da vielleicht noch jemand klügerer, externer rettet?). Und das sage ich als alter, durchaus stolzer Fahrensmann der Praxis-orientierten pharmazeutischen Verfahrenstechnik und Qualitätssicherung, mit allergrößtem Bedauern.

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