Kommentar

Gerichtsurteil bedroht Rezeptur

Süsel - 26.09.2017, 17:40 Uhr

Kapselherstellung in der Apotheke: Ein Gericht missversteht die pharmazeutische Arbeit. (Foto: Sket)

Kapselherstellung in der Apotheke: Ein Gericht missversteht die pharmazeutische Arbeit. (Foto: Sket)


Von der Defektur zur Rezeptur

Die Argumentation mit den Herstellungsschritten hat eine lange Vorgeschichte. Schon 2002 hat das Hanseatische Oberlandesgericht entschieden, die in einer Apotheke hergestellten Ribavirin-Kapseln seien zulassungspflichtig, weil die wesentlichen Herstellungsschritte nicht in der Apotheke stattfänden. Dabei ging es noch „nur“ um die Defektur. Doch der Verfasser dieses Kommentars hat schon damals auf die drohenden Folgen hingewiesen. Es wäre schon damals dringend geboten gewesen, das zugrunde liegende Missverständnis auszuräumen. Doch stattdessen wurde die Argumentation vom Bundesgerichtshof und vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt und wird mit dem oben beschriebenen argumentativen Umweg inzwischen sogar auf die Rezeptur ausgedehnt. Wenn sogar eine Kapselherstellung und eine Zubereitung im Reinraum als unerheblich gelten, müsste dies auch für praktisch jede andere Rezeptur gelten. Das wäre nicht nur das Ende der Defektur, sondern der gesamten Rezeptur. In Verbindung mit der jüngsten Hamburger Argumentation, die die vorliegenden Verordnungen nicht als relevant betrachtet, wäre praktisch jede Rezeptur als zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel zu betrachten. Die Idee scheint sich zu verselbständigen. Darum sei hier daran erinnert, dass ein Fertigarzneimittel gemäß § 4 Absatz 1 AMG nur vorliegt, wenn es im Voraus hergestellt wird. Dies gilt es zu allererst zu prüfen. Bei einer Individualherstellung sollten sich die weiteren Fragen nicht stellen.  

Problemlösung für Defekturarzneimittel 

Doch auch bei der Bewertung von Defekturarzneimitteln mit dem Argument der Herstellungsstufen hat sich offenbar ein Missverständnis verfestigt. Denn die Gerichte ignorieren immer wieder den Unterschied zwischen Arzneistoffen und Arzneimitteln, der sich aus den §§ 2 und 3 AMG ergibt. Die Herstellung eines Arzneimittels setzt das Vorhandensein eines Arzneistoffes voraus. Die Schritte, die zur Gewinnung eines Arzneistoffes erforderlich sind, können daher bei der Frage nach den wesentlichen Schritten bei der Herstellung einer Zubereitung aus diesem Stoff nicht mitzählen. Die pharmazeutisch-chemische Synthese und die pharmazeutisch-technologische Arzneimittelherstellung sind zwei getrennte Sphären, die jede für sich zu beurteilen sind. § 21 Absatz 2 Ziffer 1 kann sich daher nur auf die Herstellungsschritte beziehen, denen der bereits vorhandene Arzneistoff unterzogen wird. Doch selbst wenn der Stoff überhaupt nicht verarbeitet würde, griffe § 21 Absatz 2 Ziffer 1b Buchstabe c. Demnach sind auch unverarbeitet abgegebene Stoffe nicht zulassungspflichtig, sofern eine individuelle Verschreibung vorliegt. 



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Einerseits "Einzelzulassung", andererseits Banalisierung der Rezepturtätigkeit: Selbst schuld!

von Wolfgang Müller am 26.09.2017 um 20:13 Uhr

Zuallererst: Ich verstehe Ihre juristische Argumentation, das ist aller Ehren wert. Aber, demgegenüber nur mal so zwei spontane, eher inhaltliche Punkte:

1. Einer der ersten Gedanken zur "Plausibilitätsprüfung" war 2012 ja in der Tat, dass wir es nun wirklich mit so etwas wie regelmäßigen Einzel-Nachzulassungen für viele traditionell den Ärzten "schon immer so in der Feder gelegenen" Verordnungen zu tun haben. Und, natürlich, auch ständig "Neu"-Zulassungen. MEINE GÜTE, wo setzen wir da genaugenommen überall quasi-notariell unsere Zulassungs-Unterschrift drunter! Selbstverschuldet unhonoriert, selbstverständlich; bei voller Haftung. Irre.

2. Wenn ich es mir als Beruf nicht einmal annähernd auskömmlich bezahlen lassen WILL, präjudiziere ich ja selber, dass es bei "Rezeptur" um nichts anderes als "banales Alltagshandeln" geht. Das sich als Hobby ja bald nur noch die Ganz Großen Vorzeige Apotheken leisten können. Die andern ersticken halt dran, wenn der Kostendruck von anderer Seite absehbar zunimmt, und werden so lange noch ordentlich kujoniert.

Bei "Happy-Hour-Preisen" für Fertigarzneimittel sind die selben Heilige-Pharmazie-Kolleg/innen SOFORT mit der Banalisierungs-Keule zur Hand, die UNBEDINGT weiter eine defizitäre Massen-Rezeptur erhalten wollen. Legionen dieser Leute, oft in hoher Kammer-Position, hauen unbedacht legendäre Sprüche raus wie "Kapseln macht meine PTA doch mit verbundenen Augen", wenn es um profitable Honorierung und die dem zu Grunde liegende Ernsthaftigkeit einer GMP-gerechten Kapselherstellung z. B. auch unter zeitaufwändiger, möglichst IRGENDWIE valider Homogenisierung geht.

Fazit: Lieber Kollege Müller-Bohn, das Alles erscheint mir immer mehr als ein aus eigener Blödheit verlorenes Terrain (wir werden das spätestens in den BMWi-Honorargutachten-Gesprächen sehn; ob uns da vielleicht noch jemand klügerer, externer rettet?). Und das sage ich als alter, durchaus stolzer Fahrensmann der Praxis-orientierten pharmazeutischen Verfahrenstechnik und Qualitätssicherung, mit allergrößtem Bedauern.

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