Neue Methode zur Pathogen-Inaktivierung

Impfstoffe schneller und ohne Formaldehyd

Leipzig - 12.01.2017, 15:00 Uhr

(Foto: picture alliance / Photoshop)

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In einer Kooperation von vier Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft haben Forscher eine Methode etabliert, mit der Viren und Bakterien für die Impfstoff-Produktion ohne Zusatz von Chemikalien wie Formaldehyd abgetötet werden können. Damit sollen auch die Proteinstrukturen geschont werden, was die Impfstoffe effizienter macht.

Bislang werden bei der Herstellung von Totimpfstoffen die Pathogene in der Regel mit Chemikalien wie Formaldehyd inaktiviert. Wegen seiner Toxizität sowohl für Menschen als auch für die Umwelt, wird die Substanz nur in stark verdünnter Lösung angewendet. Dadurch enthält das Endprodukt zwar nur Spuren, die weit unterhalb von toxikologischen Grenzwerten liegen, aber die Einwirkzeit, die benötigt wird, um die Erreger effektiv abzutöten, ist stark verlängert. Polio-Viren, werden beispielsweise zwei Wochen lang in der Lösung inkubiert, bis alle Viren inaktiviert sind und für die Impfstoffproduktion verwendet werden können. Das ist bei der ohnehin schon langwierigen Impfstoffherstellung nicht nur ein zusätzlicher Nachteil für die Industrie, sondern auch mitunter ein medizinisch-epidemiologischer, etwa im Falle von Engpässen oder akuten Epidemien,

Forscher des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig haben nun gemeinsam mit Wissenschaftlern dreier weiterer Fraunhofer-Institute eine Methode entwickelt, mit der Impfstoffe ohne Chemikalienzusätze und in kürzerer Zeit produziert werden können.

Einwirkzeit von Millisekunden statt Wochen

Mit dem Verfahren, das die Forscher entwickelt haben und das sie bereits im Fachmagazin Viruses publizierten (Fertey J, Ulbert S.et al. Pathogens Inactivated by Low-Energy-Electron Irradiation Maintain Antigenic Properties and Induce Protective Immune Responses. Viruses 2016, 8(11), 319; DOI: dx.doi.org/10.3390/v8110319), „reichen nun einige Millisekunden aus, um die Viren oder Bakterien abzutöten“, erklärt Dr. Sebastian Ulbert, Leiter der Arbeitsgruppe Impfstoff-Technologien am IZI. „Wir bestrahlen die Erreger mit nieder-energetischen Elektronen.“ Positiver Nebeneffekt sei, dass die Bestrahlung auch nur die Nukleinsäuren der Erreger zerstöre und anders als Formaldehyd nicht die Proteinstrukturen denaturiere. Damit sei auch die Qualität der als Impfstoff dem Immunsystem angebotenen Antigene besser, das Vakzin führe durch die intakten Proteinstrukturen zu einer effizienteren Immunreaktion, sagen die Forscher.

Elektronenstrahlung zerstört nur die Nukleinsäuren der Erreger

„Nukleinsäuren sind aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften deutlich empfindlicher als Proteine“, erklärt Ulbert. Bei der verwendeten geringen Dosis mit Strahlung im Bereich von 200 bis 300 Kiloelektronenvolt (keV) und der kurzen Einwirkzeit seien die Proteine nicht beeinträchtigt. „Bei hohen Dosen und anhaltender Bestrahlung käme es aber prinzipiell auch zu Proteinschäden“, sagt der Abteilungsleiter.

„Die Bestrahlung erzeugt vor allem Strangbrüche in der DNA, was wir entsprechend messen können“, erklärt der Forscher. Gerade bei Viren seien damit die Erbinformationen nachhaltig zerstört. „Viren besitzen ja keine DNA-Reparaturmechanismen“, sagt Ulbert. Die übrigbleibenden Fragmente reichten nicht aus, um ein aktives Virus zu bilden. Dass äußerlich intakte Viren somit noch Erbinformation in eine Zelle einschleusen könnten, sei ausgeschlossen. Neben unterschiedlichen Viren konnte die Wirksamkeit der Methode auch für Bakterien (E. coli) gezeigt werden, auch sie ließen sich auf diese Weise inaktivieren unter Beibehaltung der Antigenität.

Wie im europäischen Arzneimittelbuch vorgeschrieben, werde auch bei dieser Methode die biologische Aktivität des abgetöteten Materials anschließend genau kontrolliert. Den Nachweis, dass die Nukleinsäuren zerstört, die Proteine aber intakt sind, lieferte das kooperierende Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB). „Bei den meisten Erregern ist damit eine Gefährdung ausgeschlossen, da sie aktiv sein müssen, um sich zu vermehren und nur dann Krankheiten auslösen können“, sagt Ulbert.

Methode funktioniert erwiesen im Labormaßstab

Bislang konnten die Forscher zeigen, dass ihre Methode im Labormaßstab gut funktioniert und alle Erreger effizient abgetötet werden. Die verwendeten Chargengrößen lagen dabei im Bereich von zehn bis 15 Millilitern. Auch im Tiermodell zeigten die Impfstoffe ihre Wirksamkeit. Im nächsten Schritt arbeiten die Forscher nun daran, die Methode auch großtechnisch zu etablieren. Um eine automatisierte Anlage zu entwickeln, in der große Chargen an Impfstoffen industriell hergestellt werden können, arbeite die Gruppe von Ulbert mit den Fraunhofer-Instituten für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) sowie dem für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) zusammen.

Ein Vorteil der Methode ist dabei, dass die nieder-energetische Elektronenstrahlung keiner großen Abschirmmaßnahmen bedarf wie etwa radioaktive Strahlung. Industriell ist sie gut einsetzbar. Für die Erzeugung der Elektronenstrahlung verwenden die Forscher einen Elektronenbeschleuniger, im weitesten Sinne ähnlich den Braunschen Röhren wie sie in Fernsehern und Monitoren lange Zeit Verwendung fanden. Nachteil an der Methode ist allerdings, dass die Strahlung nur wenige Millimeter tief in die Flüssigkeit, die die Viren enthält, eindringt.

Ein Prototyp für eine großtechnische Anlage vor der Fertigstellung

Zwei Prototypen haben die Forscher dazu entwickelt, einer stehe vor der Fertigstellung, melden die Entwickler. Dabei wird das die Erreger enthaltende Kulturmedium in flache Beutel abgefüllt, womit eine gleichmäßige Eindringtiefe der Strahlung gewährleistet werden soll. In einem zweiten Ansatz läuft das Medium über Rollen, so dass ein dünner steter Flüssigkeitsfilm erzeugt wird. Für die Entwicklung beider Prototypen erhalten die Wissenschaftler Geld aus dem Fonds der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung.

„Das Verfahren ist bereits zum Patent angemeldet, und es gibt bereits Kontakte und Gespräche mit der Pharmaindustrie“, sagt Ulbert. Die Forscher hoffen, dass in etwa fünf Jahren klinische Studien für mit diesem Verfahren hergestellte Impfstoffe beginnen können. Das „Proof of Concept“ ist zumindest erbracht.

Die Forscher denken auch über eine weitere Anwendung ihrer Methode nach: „Über die Elektronenbestrahlung können wir auch Hochsicherheitsmaterial inaktivieren, ohne es zu zerstören“, sagt Ulbert. Damit könnten dann etwa Blutproben von Ebola-Patienten anschließend in normalen Laboren mit geringer Sicherheitsstufe untersucht werden, schlagen die Forscher vor.


Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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