Immunologie

S. Wasielewski:Gene als Impfstoffe

Gegen viele Infektionskrankheiten, darunter AIDS, Malaria und Hepatitis C, gibt es noch keine wirksamen Impfstoffe. Herkömmliche Immunisierungsmethoden versagen hier oder bergen unannehmbare Risiken. Diese Lücke könnte in Zukunft durch maßgeschneiderte DNA-Impfstoffe geschlossen werden.

Herkömmliche Impfstoffe bestehen aus abgeschwächten oder abgetöteten Erregern oder Erreger-Bestandteilen. Sie lösen im Körper eine künstliche aktive Immunisierung aus, das heißt, sie täuschen dem Immunsystem eine Infektion mit dem Erreger vor und veranlassen es zu Abwehrmaßnahmen, die im späteren Ernstfall ein rascheres Zuschlagen ermöglichen. Das Immunsystem reagiert sowohl bei der wirklichen Infektion als auch bei der Impfung auf fremde Antigene über zwei Wege:

  • Die humorale Abwehr (humor = Flüssigkeit) richtet sich gegen Erreger außerhalb von Körperzellen. Dabei produzieren B-Lymphozyten spezifische Antikörper, die die Erreger ummanteln und so für die Zerstörung kennzeichnen.
  • Die zelluläre Abwehr richtet sich gegen Erreger, die sich in Körperzellen eingenistet haben. T-Killerzellen erkennen fremde Antigen-Bruchstücke, die von MHC (Major Histocompatibility Complex)- Molekülen auf der Außenseite befallener Körperzellen präsentiert werden. Sie zerstören häufig direkt die befallenen Körperzellen und damit auch die eingenisteten Erreger.
  • Sowohl die humorale als auch die zelluläre Immunabwehr bekommt "Schützenhilfe" von so genannten Helferzellen aus der Klasse der T-Lymphozyten. Eine durchgemachte Infektion oder eine aktive Immunisierung mit einem Impfstoff verleiht Schutz (Immunität): Künftig kann der Erreger schneller abgewehrt werden. Dies beruht auf der Bildung von Gedächtniszellen; dies können sowohl B-Lymphozyten oder T-Killerzellen oder T-Helferzellen sein.

    Probleme mit herkömmlichen Impfstoffen

    Abgetötete Erreger oder isolierte Erreger-Untereinheiten setzen vorwiegend nur die humorale Abwehr (Antikörper-vermittelte Reaktionen) in Gang. Daher sind sie unwirksam gegen Erreger, die in Körperzellen eingedrungen sind. Eine Impfung mit abgetöteten Erregern schützt außerdem nur kurzfristig; es müssen Auffrischimpfungen gegeben werden. Lebendimpfstoffe enthalten abgeschwächte Viren, die in die Zellen eindringen und präsentierbare Antigene bilden können. Sie lösen sowohl humorale als auch zelluläre Abwehrmechanismen aus. Sie schützen außerdem oft lebenslang.

    Aber auch Lebendimpfstoffe bergen Probleme:

  • Gegen einige Erkrankungen versagen sie ganz.
  • Gelegentlich verursachen sie das volle Erkrankungsbild, statt davor zu schützen.
  • Mitunter mutieren abgeschwächte Viren gerade so, dass sie wieder virulent werden – ein unannehmbares Risiko!
  • Impfstoffe aus vollständigen Erregern haben außerdem den Nachteil, das sie auch Erregermoleküle enthalten, die nicht am Aufbau der Immunabwehr beteiligt sind. Auch Nebenprodukte des Herstellungsprozesses können zu Allergien und anderen störenden Reaktionen führen.

    Was sind DNA-Impfstoffe?

    Die Idee, genetisches Material als Impfstoffe zu nutzen, wurde vor 10 Jahren noch belächelt. Heute werden die ersten genetischen Impfstoffe bereits in frühen klinischen Studien am Menschen untersucht. Die bislang bestuntersuchten genetischen Impfstoffe sind DNA-Impfstoffe. Weniger gut untersucht sind die instabileren RNA-Impfstoffe. DNA-Impfstoffe bestehen üblicherweise aus Plasmiden (kleinen Ringen doppelsträngiger DNA, ursprünglich von Bakterien), in die ausgewählte Gene des Erregers für mindestens ein Antigen-Protein eingesetzt werden.

    Das Impfplasmid wird ins Gewebe (Muskel) injiziert oder mit einer so genannten Gen-Pistole in die Haut "geschossen". Dringt das Plasmid bis in den Zellkern einer Körperzelle vor, so produziert die Körperzelle daraufhin das Antigen-Protein, und die Immunabwehr wird in Gang gesetzt: Antigene, die die Zelle verlassen, rufen die humorale Abwehr auf den Plan. Antigen-Bruchstücke, die von MHC- Molekülen auf der Zelloberfläche präsentiert werden, werden von T-Killerzellen erkannt. Die Plasmide enthalten natürlich keine Erreger-Gene, die eine Rekonstruktion des Erregers und damit die Auslösung der Krankheit ermöglichen. Auch die Plasmide selbst sind gentechnisch umgebaut und unfähig, eine Infektion auszulösen. DNA-Impfstoffe können sogar Gene unterschiedlicher Stämme eines Erregers erhalten, was bei hochvariablen Erregern (z. B. Grippe-Viren, HI-Viren) von Vorteil ist.

    Gene können Immunantwort auslösen

    Die Fähigkeit eingeschleuster Gene , eine Immunantwort auszulösen, ist schon lange bekannt. Frühe Experimente von Genforschern ergaben, dass Gene, die in die Zellen von Tieren eingeschleust werden, dort die Synthese der von ihnen kodierten Proteine bewirken können und damit auch die Bildung von Antikörpern gegen die Fremdproteine. Die Forscher benutzten daraufhin die Antikörperbildung als Nachweis, dass ein bestimmtes Gen abgelesen und sein Protein produziert wird.

    Bei Gentherapien an Tieren wurden die von den verabreichten Genen gebildeteten Proteine manchmal zerstört. Dies beruht ebenfalls auf einer Immunreaktion gegen die körperfremden Proteine. Lässt sich diese Immunreaktion zur Immunisierung nutzen? Und reicht die hervorgerufene Immunität aus, um Menschen vor Infektionen zu schützen? Im Jahr 1992 bewiesen mehrere Arbeitsgruppen unabhängig voneinander die Schutzwirkung von DNA-Impfstoffen im Tierversuch. Zahlreiche Experimente in den Folgejahren ergaben, dass DNA-Impfstoffe das Immunsystem von Nagern und Primaten gegen viele verschiedene Erreger und sogar gegen bestimmte Krebsarten anregen können. Die Impfstoffe wurden sowohl vorbeugend als auch therapeutisch eingesetzt. Immunantworten kamen von B-Lymphozyten, T-Helfer- und T-Killerzellen.

    Die Impfplasmide gelangen übrigens nicht nur in Haut- und Muskelzellen; ein Teil der verabreichten Impfplasmide erreicht direkt die Immunzellen, und zwar auch die so genannten Antigen-präsentierenden Zellen (Monozyten, Makrophagen, Langerhans-Zellen), und wird von ihnen aufgenommen. Diese Zellen sind entscheidend am Aktivieren (Priming) der T-Lymphozyten zu T-Killerzellen beteiligt. Sie präsentieren mit MHC-Molekülen Antigen-Fragmente auf ihrer Oberfläche. Treten so genannte kostimulatorische Moleküle hinzu, können T-Lymphozyten – angeregt durch Zytokine der TH1-Helferzellen – überhaupt erst gegen die Antigene aktiviert werden.

    Erprobung am Menschen

    1995 begann die erste Studie mit DNA-Impfstoffen an Menschen. HIV-Infizierte bekamen bestimmte Virusgene verabreicht. In weiteren Studien bekamen gesunde Probanden fremde Gene: solche für HIV- bzw. Grippevirus-Proteine. Mittlerweile werden diverse DNA-Impfstoffe beim Menschen geprüft:

  • Impfstoffe, die vor HIV-, Herpes- und Influenza-A-Viren oder vor dem Malaria-Erreger schützen sollen
  • Impfstoffe zur Unterstützung der beeinträchtigten Abwehrreaktionen bei HIV-Infizierten
  • Impfstoffe zur ergänzenden Therapie bei Krebserkrankungen, wie Lymphomen, Prostata- und Kolonkarzinom.

    In den Phase-I-Studien geht es in erster Linie um die Unbedenklichkeit der Impfstoffe. Untersucht wird, ob die Plasmide toxisch wirken oder eine unerwünschte Immunantwort gegen körpereigene DNA auslösen. Die Wirksamkeit wird noch nicht ausdrücklich geprüft. Dennoch weisen einige Studie bereits auf nützliche Immunantworten hin. Beispielsweise lösten DNA-Impfstoffe gegen HIV sowohl humorale als auch zelluläre Immunreaktionen aus. Für einen DNA-Impfstoff gegen Malaria-Erreger wurden signifikante Killerzell-Aktivitäten nachgewiesen. Allerdings reichen die Immunantworten auf die bisher entwickelten DNA-Impfstoffe wahrscheinlich nicht aus, um vor künftigen Infektionen zu schützen.

    Verstärkungs-Strategien

    Um die Immunantworten zu verstärken, kann man – ähnlich wie bei herkömmlichen Impfstoffen – allgemeine Immunstimulatoren, so genannte Adjuvanzien, zusetzen. Man kann aber auch die Plasmid-DNA verändern oder zusätzlich zu den Genen, die Antigen-Proteine kodieren, weitere Gene einbauen, die bestimmte Zytokine kodieren. Eine nützliche Veränderung der Plasmid-DNA setzt an den Flanken der CG(Cytosin-Guanin)-Sequenzen ein. Bei Mäusen stimulierte Plasmid-DNA das Immunsystem besonders stark, wenn die C-Seite von zwei Purinen (Adenin oder Guanin) und die G-Seite von zwei Pyrimidinen (Thymin oder Cytosin) begrenzt wird.

    Interleukin-12 ist ein klassisches Zytokin, das zelluläre zu Lasten humoraler Immunreaktionen fördert. Es wird von einer Untergruppe der T-Helferzellen, den TH1-Zellen, freigesetzt. Das Gen für Interleukin-12 wurde in einen DNA-Impfstoff eingebaut, der Gene für HIV-Antigene enthält. Tatsächlich zeigten die damit geimpften Mäuse eine starke spezifische Killerzell-Reaktion. Gerade bei HIV ist eine starke Killerzell-Reaktion entscheidend, um die Virus-Vermehrung einzudämmen. Durch Kombination geeigneter Zytokin- und Chemokin-Gene hofft man, sowohl die Art als auch die Stärke der Immunreaktion gezielt beeinflussen zu können. Zu den derzeitigen Verstärkungs-Tricks zählt auch die Prime-Boost-Strategie, bei der erst der genetische und mit einigen Wochen Abstand ein herkömmlicher Impfstoff verabreicht wird.

    Noch viele Fragen offen

    Klinische Studien, in denen die Wirksamkeit der genetischen Impfstoffe untersucht wird, dürften erst in fünf bis zehn Jahren abgeschlossen sein. Eine Menge Feinarbeit ist noch zu bewältigen. Die derzeitigen DNA-Vakzinen bewirken nur für etwa einen Monat die Antigen-Produktion in Körperzellen. Führen langlebigere Plasmide zu einer stärkeren Immunität? Oder führen sie zu Autoimmunreaktionen? – Wie lange hält die erzeugte Immunität an? – Wie unterscheidet sie sich interindividuell? – Welche Dosen und welche Verabreichungsschemata sind die besten? – Welche Gene eines Erregers haben den maximalen Impf-Erfolg?

    Literatur Weiner, D. B., R. C. Kennedy. Gene als Impfstoffe. Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1999, S. 52 – 60. Internationale Konferenz am Paul-Ehrlich-Institut, Langen: "Erste klinische Erfahrungen bei der Erprobung von DNA-Impfstoffen am Menschen", 7. Oktober 1999.

  • Gegen viele Infektionskrankheiten, darunter AIDS, Malaria und Hepatitis C, gibt es noch keine wirksamen Impfstoffe. Herkömmliche Immunisierungsmethoden versagen hier oder bergen unannehmbare Risiken. Diese Lücke könnte in Zukunft durch maßgeschneiderte DNA-Impfstoffe geschlossen werden.

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