Empfehlungen der Bundesregierung

Eine „Reiseapotheke“ zur zivilen Verteidigung

Berlin - 24.08.2016, 17:10 Uhr


Wie soll sich die Bevölkerung auf Katastrophenfälle vorbereiten? Innenminister Thomas de Maizière stellte am heutigen Mittwoch seine Pläne vor – die anders als teilweise wahrgenommen – nicht zu Hamsterkäufen raten sollten, wie er betont. Stattdessen seien die Empfehlungen mit Tipps zur Reiseapotheke vergleichbar.

Nach mehr als 20 Jahren überarbeitete die Bundesregierung ihr Konzept für die zivile Verteidigung, mit der sich das Land für einen Katastrophenfall wappnen will. Zusammen mit dem „Konzept der Bundeswehr“ soll das Dokument, welches Bundesinnenminister Thomas de Maizière am heutigen Mittwoch in Berlin vorstellte, Teil der Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung“ sein. Es sieht vor, wie im Notfall die Energieversorgung, Ernährung und Arzneimittelversorgung gewährleistet werden kann. „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“, sagte der Minister.

Bei der Pressekonferenz sah er sich angesichts anderer Vermutungen genötigt, grundlegende Fragen zu klären: „Die Wiedereinführung der Wehrpflicht steht nicht zur Debatte“, betonte de Maizière. Die in den vergangenen Tagen durch die Medien geisternden Listen, wie viele Kilogramm Nudeln oder Trockenpflaumen Haushalte vorhalten sollten, werden vom Ernährungsministerium erarbeitet. Das Konzept des Innenministeriums bleibt stattdessen auf der allgemeinen Ebene und sagt beispielsweise aus, dass Notbrunnen im Krisenfall die Trinkwasserversorgung gewährleisten sollen. Die Bundesregierung rate nicht zu Hamsterkäufen, betonte de Maizière – und verglich die Empfehlungen stattdessen mit Ratschlägen für eine Reiseapotheke.

Hausapotheke für medizinischen Eigenbedarf

Auf zwei der 70 Seiten geht das Dokument auch auf die medizinische Notfallversorgung ein. „Die Bevölkerung soll durch geeignete Maßnahmen angehalten werden, für den Eigenbedarf vorzusorgen“, erklärt das Innenministerium recht allgemein. Dabei verweist es auf Hausapotheken und Vorräte an regelmäßig benötigten Medikamenten, welcher von Privathaushalten angelegt werden sollte.

Auch ansonsten hält das Dokument für Apotheken nichts Überraschendes bereit. „Die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten erfolgt dezentral über eine Vielzahl von Apotheken und Großhändlern“, stellt das Innenministerium fest – und verweist auf die Apothekenbetriebsordnung. Diese verpflichte Apothekenleiter, Arzneimittel und Medizinprodukte, die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung notwendig sind, in einer Menge von mindestens dem durchschnittlichen Bedarf einer Woche bereitzuhalten. Darüber hinaus sind in der Apotheke ohnehin einige, für einen medizinischen Notfall erforderliche Arzneimittel vorrätig zu halten.

Der Bund ergänzt die Vorräte an Sanitätsmaterial

Krankenhausapotheken und vollversorgende Arzneimittelgroßhandlungen müssen den Bedarf von zwei Wochen abdecken können. „Grundsätzlich ist durch diese Verpflichtungen im Regelbetrieb die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten für den durchschnittlichen Bedarf über einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen gesichert“, erklärt das „Konzept Zivile Verteidigung“.

Wenn bei einem sprunghaft ansteigenden Bedarf spezifischer Arzneimittel oder Medizinprodukte in Krisensituationen und bei längeren Krisenfällen diese Versorgungswege nicht ausreichen, greift die staatliche Sanitätsmaterialbevorratung.

Auf einen derartigen „friedenszeitlichen Massenanfall von Verletzten“ bereiten sich die Länder vor, indem sie durch Bevorratung einen erhöhten Bedarf an Sanitätsmaterial vorhalten. Der Bund ergänzt die Sanitätsmaterialbevorratung der Länder mit zusätzlichen Sanitätsmaterialpaketen für den Zivilschutz“, erklärt das Innenministerium.

Schutz vor Angriffen mit Massenvernichtungswaffen

Auch für die zivile Verteidigung militärischer Angriffe hält das Konzept verschiedenste Strategien bereit. Zum Schutz vor den Auswirkungen „chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer Ereignisse (CBRN-Schutz)“ regelt es nicht nur bauliche Aspekte, sondern sieht auch Pläne für die medizinische Versorgung vor, welche vom Robert Koch-Institut erarbeitet werden müssen.

Zur Notfallversorgung seien Antibiotika und Virustatika, Antidote, Kaliumiodidtabletten und Beatmungsbetten vorzuhalten. „Zur Abwendung bzw. Bewältigung von B-Lagen lagern Bund bzw. Länder Pockenimpfstoffe und Antibiotika ein“, erklärt das Ministerium. Ein Mehrbedarf an Pockenimpfstoffen sei für den Zivilschutz nicht erforderlich. In Katastrophenfällen sollen bei Bedarf Dekontaminationsstellen an Krankenhäusern eingerichtet werden.

Das Innenministerium hat auch Gefahren aus dem „Cyberraum“ in das Konzept aufgenommen, die zu einer direkten Bedrohung Deutschlands und seiner Verbündeten werden könnten.

Ärzteverbände und Gesundheitsministerium wurden kaum eingebunden

Bei der Erarbeitung ihrer Ratschläge hat das Innenministerium offenbar keine Expertise bei den betroffenen Einrichtungen eingeholt: Nach Informationen der „Ärztezeitung“ wurden die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft nicht eingebunden – auch das Bundesgesundheitsministerium hat offenbar keine zentrale Rolle gespielt. Ob die ABDA um eine Stellungnahme gebeten wurde, konnte die Pressestelle kurzfristig nicht ermitteln.

Die Katastrophenforscherin Gabriele Hufschmidt von der Uni Bonn begrüßt die Stoßrichtung des vorgelegten Papiers generell. „Im Konzept wird erkannt, dass das Wissen um mögliche Bedrohungen und Vorsorgemaßnahmen in der Bevölkerung zur Stärkung der Selbsthilfe zentral ist“, erklärte sie. Konkrete Überlegungen zur Umsetzung seien jedoch nur ansatzweise erkennbar. „Generell sollte im Bereich der Bildung, konkret schon in den Schulen, angesetzt werden, damit zivil- und katastrophenschutzrelevantes Wissen auch wirklich gesamtgesellschaftlich aufgebaut werden kann“, sagte sie.

Kritik am Konzept

Die Freiburger Staatsrechtlerin Silja Vöneky hingegen betont in einer Stellungnahme Schwachstellen im Konzept des Innenministeriums. „Für alle relevanten Gefahren sollte ein Warnsystem entwickelt werden, das insbesondere auch vulnerable Gruppen (Kinder, Alte, Kranke etc.) über die Gefahren so informiert, dass diese verstanden werden können und Selbstschutzmaßnahmen eingeleitet werden können“, erklärte sie – dies würde bislang nicht ausreichend hervorgehoben. Auch fordert sie zumindest in Ballungszentren Schutzräume für die Bevölkerung – und beispielsweise Messstationen für Radioaktivität, damit sich der Staat nicht auf die Angaben der Betreiber von Atomkraftwerken verlassen müssen. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Zeitpunkt

von Frank ebert am 25.08.2016 um 0:12 Uhr

Da sieht man , welches Fingerspitzengefühl unsere heutigen Eliten haben, Blöd, blöder Politiker.

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