Uni Tübingen

Lehrgang für Apotheker in der Entwicklungshilfe

Tübingen / Stuttgart - 25.05.2016, 09:00 Uhr

Entwicklungszusammenarbeit und Katstrophenhilfe: Der Tübinger Kurs rüstet Apotheker und Pharmaziestudenten für die humanitäre Hilfe. (Foto: action medeor)

Entwicklungszusammenarbeit und Katstrophenhilfe: Der Tübinger Kurs rüstet Apotheker und Pharmaziestudenten für die humanitäre Hilfe. (Foto: action medeor)


Für Apotheker und Pharmaziestudenten bietet die Universität Tübingen ab August 2016 einen neuen Lehrgang: „Pharmazie in Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenhilfe” soll interessierte Pharmazeuten professionell auf Tätigkeiten in der Entwicklungshilfe vorbereiten. DAZ.online sprach mit Prof. Dr. Lutz Heide, der treibenden Kraft hinter dem innovativen Projekt.

„Die Idee zu diesem Kurs habe ich schon länger“, sagt Prof. Lutz Heide vom Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen. Bereits 2014, als er nach Malawi aufbrach, um am dortigen pharmazeutischen Institut zu lehren und zu forschen, sei der Wunsch da gewesen, auch nach Rückkehr im Januar 2016, an den Bereich Arzneimittelversorgung in Entwicklungsländern anzuknüpfen. So schrieb der engagierte Pharmazeut bereits aus Afrika Anträge und initiierte erste Schritte. Erfolgreich. Das Projekt stieß beim Bundesministerium für Bildung und Forschung auf Interesse und ist im Rahmen „Innovative Curricula und praxisorientierte Lehrinhalte“ bewilligt. Der erste Kurs geht nun bereits im August 2016 an den Start.

DAZ.online: Worauf bereitet der Kurs Pharmazeuten konkret vor?

Prof. Lutz Heide: Ich sehe drei Ansatzpunkte: Erstens für Leute, die im Rahmen der staatlichen oder kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit oder mit Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise „Ärzte ohne Grenzen“ oder „Apotheker ohne Grenzen” für einen kürzeren oder längeren Zeitraum in Afrika, Asien oder Südamerika tatsächlich vor Ort tätig sein wollen. Ob das nun in einer Krankenhausapotheke, einem Flüchtlingslager oder einer Gesundheitsbehörde ist – da gibt es viele Bereiche, in denen eine Tätigkeit sinnvoll ist. Natürlich kann man sich auch in Deutschland engagieren und von hier aus für solche Projekte arbeiten, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit „Apotheker helfen e.V.“ oder im Rahmen von privaten Initiativen. Auch hierfür ist es ausgesprochen hilfreich, inhaltlich vorbereitet zu sein, Kontakte zu knüpfen und ein theoretisches Konzept zu entwickeln: Was will ich überhaupt erreichen und wie gelingt es? Und letztlich ist es, unabhängig ob sich jemand in einer bestimmten Organisation engagieren möchte oder nicht, wichtig, dass es auch in Deutschland genügend Menschen gibt, die ein Verständnis und Bewusstsein entwickeln, was in anderen Teilen der Welt passiert. Wir haben nur eine Welt – was sind die Probleme und Herausforderungen?

Die Anmeldungen: „Wir sind bald voll ausgebucht!”

Ein universitärer Kurs mit solch einem Schwerpunkt sei bundesweit einmalig, betont Heide. Er richtet sich an approbierte Apotheker, gleichermaßen an Studierende der Pharmazie. Pharmaziestudenten sollen sich mindestens im sechsten Fachsemester befinden. Der Lehrgang ist insgesamt für 25 Pharmazeuten konzipiert, und: „Wir sind bald voll ausgebucht“, sagt Heide nicht ohne Stolz. Täglich kämen derzeit ein bis zwei Anmeldungen. Auch wenn die primäre Zielgruppe Pharmazeuten sind, fänden selbstverständlich auch Interessierte anderer Berufsgruppen oder Studienfächer Berücksichtigung, erklärt Heide.

Der Kurs gliedert sich in drei Abschnitte. Die Präsenzveranstaltungen finden in einem zehntägigen Blockkurs auf dem Campus der Universität Tübingen statt. Anschließend haben die Teilnehmer Zeit, eine Projektarbeit anzufertigen, deren Ergebnisse in einer finalen Präsentationsveranstaltung diskutiert werden. Welche Strategien gibt es in afrikanischen Ländern zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen? Existieren Daten zur Stabilität von Oxytocin? Die Themen für die Projektarbeiten sollen von praktischer Bedeutung sein und Probleme beleuchten, mit denen die Helfer vor Ort konkret konfrontiert sind. „Sie haben nur einen kleinen Kühlschrank und müssen dann entscheiden: Bei welchen Arzneimitteln ist das Stabilitätsproblem am dringlichsten?“

Pharmazeutische Fragestellungen in der Entwicklungshilfe

Die Projektarbeit sieht der Professor für Pharmazeutische Biologie durchaus auch als „Literatur-Vorarbeit“ für potenzielle künftige Masterarbeiten oder Promotionsvorhaben. Denn der neue Lehrgang ist ein Angebot im Rahmen eines sich neu etablierenden Forschungsschwerpunktes „Pharmazie in Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenhilfe“ der Tübinger Hochschule. Bei Aufgaben in der Entwicklungshilfe gäbe es noch einiges zu professionalisieren. Auch seien Apotheker wichtige Multiplikatoren, die in Deutschland als kompetente Ansprechpartner bei Fragen der medizinischen Entwicklungshilfe eine ähnliche Rolle wie Ärzte spielen können. Es gilt auch hier für die „Sichtbarkeit des Apothekerberufes“ zu sorgen, erklärt Heide.

So beginnt im Sommer, fast zeitgleich mit dem Kurs, eine erste Doktorandin, die sich mit dem Thema „Antiinfektive Arzneimittel im südlichen Afrika: Verfügbarkeit, Qualität und Nachweis von Arzneimittelfälschungen“ beschäftigen wird. Weitere spannende Bereiche gibt es genügend, begeistert sich Heide gegenüber DAZ.online. Zum Beispiel besteht Bedarf an einfachen Methoden zur Untersuchung der Freisetzungsgeschwindigkeit bei festen, oralen Darreichungsformen. Schnell und ohne großen apparativen Aufwand müsse das in Afrika durchführbar sein. „Die Freisetzungsgeschwindigkeit ist das häufigste Qualitätsproblem von Medikamenten in Entwicklungsländern“, kommentiert Heide die Idee. Interessierte an Dissertationen auf diesem Gebiet sollten gerne auf ihn zukommen.

DAZ.online: Entwicklungshilfe professionalisieren - was bedeutet das?

Prof. Lutz Heide: Gerade im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit oder Katastrophenhilfe trifft man häufig auf wohlmeinende aber nicht ausreichend kompetente Hilfe. Zentrale Fragen müssen sein: Welche Hilfsmittel und Kompetenzen sind vor Ort schon vorhanden, was wird dort zusätzlich gebraucht? Und nicht: Was habe ich hier in Deutschland gerade zufällig übrig? Ein wichtiger Schritt hin zur Professionalisierung besteht darin, die vorhandenen Gesundheitspflegestrukturen vor Ort einzubeziehen und passende, unterstützende Zusatzangebote verfügbar zu machen. Und das mit einer entsprechenden Ausbildungskomponente der dortigen Bevölkerung zu verknüpfen. Nehmen Sie ein Beispiel aus der Flüchtlingskrise: Als Nachbarland von Syrien beherbergt Jordanien eine große Zahl an Flüchtlingen, die auch medizinisch-pharmazeutische Unterstützung benötigen. Eine sinnvolle Katastrophenhilfe aus Europa heißt jedoch nicht nur, deutsche Arzneimittel nach Jordanien zu transportieren. Sondern auch, die jordanische pharmazeutische Industrie an dieser Arzneimittelversorgung zu beteiligen. Unsere Aufgabe besteht somit vielleicht in einer Sicherstellung der Qualität der eingesetzten lokalen Arzneimittel. Schnell einsetzbare, transportable Labors wie das „Minilab“ der Firma Merck können hier eine Rolle spielen. 

Fundierte Ausbildung steht an erster Stelle

In der Ausbildung sieht Heide ein zentrales Thema. Die stehe an erster Stelle in der Entwicklungszusammenarbeit. Das Pharmaziestudium in Malawi sei beispielsweise noch sehr auf die Bereitstellung von Arzneimitteln fokussiert. Themen wie der rationale Einsatz von Antibiotika oder die Entwicklung der klinischen Pharmazie müssen noch verstärkt in das Bewusstsein gerückt werden. Auch in der Analytik und bei Laborpraktika sieht der Pharmazeut, der auf seine eigene Erfahrung in der humanitären Hilfe zurückgreifen kann, noch Entwicklungsbedarf. Der Kurs an der Universität Tübingen könne auch einen Schritt in diese Richtung darstellen – indem Teilnehmer dieses Spezial-Lehrgangs das angeeignete Wissen an richtiger Stelle weitergeben. Er könne sich gut vorstellen, dass die künftigen Absolventen sich auch im Bereich der pharmazeutischen Ausbildung in Afrika engagieren und dort die Studenten beispielsweise im Einsatz bestimmter Methoden zum Nachweis minderwertiger oder gefälschter Arzneimittel schulen. 

Für die fundierte Ausbildung der Kursteilnehmer in Tübingen ist es Heide gelungen, erfahrene Referenten unterschiedlicher Organisationen und Institutionen, beispielsweise vom Deutschen Institut für ärztliche Mission (Difäm), action medeor, Apotheker helfen e.V. und der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu gewinnen. Die Resonanz sei immens gewesen: „Alle, alle haben zugesagt. Obwohl wir kein Honorar zusichern konnten.“ Entwicklung und Gesundheit, essenzielle Arzneimittel, Management der Arzneimittellogistik, Qualitätskontrolle und Arzneimittelfälschungen sind nur einige der Themen, die mit den Kursteilnehmern dann im Laufe des Lehrgangs bearbeitet werden sollen. 


Es macht großen Spaß, an einem Projekt zu arbeiten, bei dem die Leute aus Interesse an der Sache mitwirken.

Prof. Dr. Lutz Heide, Pharmazeutische Biologie der Universität Tübingen


DAZ.online: Ist ein eigenständiger Masterstudiengang geplant?

Prof. Lutz Heide: Darüber ist intensiv gesprochen worden. Ich sehe in dem jetzigen Kurs einen Einstieg und Wegbereiter dafür. Bereits jetzt können wir in dem Tübinger Masterkurs „Pharmaceutical Sciences and Technologies“ Masterarbeiten vergeben, die sich speziell mit pharmazeutischen Herausforderungen in Entwicklungsländern befassen. Ein weiterer Schritt könnte die Einrichtung eines englischsprachigen Kurses sein, sodass gerade Pharmazeuten aus Entwicklungsländern diesen Lehrgang absolvieren und gewonnene Erkenntnisse in ihren Heimatländern anwenden können. Wir könnten uns darüber hinaus auch an Masterkursen in „International Health“ beteiligen, die von mehreren Universitäten gemeinsam getragen werden, zu denen wir eine pharmazeutische Ausbildungskomponente beitragen. Und wenn sich genügend Nachfrage zeigt, könnten wir letztlich einen eigenen Masterkurs ins Auge fassen.

Fakten zum Kurs

Blockkurs Tübingen: 1.08. bis 10.08.2016

Projektarbeit: Zeitraum 11.08. bis 07.10.2016 (Aufwand etwa zwei Wochen)

Abschlusspräsentation: 13.10.2016

Teilnahmevoraussetzung: Der Kurs richtet sich sowohl an approbierte Apotheker als auch an fortgeschrittene Pharmaziestudenten ab dem sechsten Fachsemester.

Akkreditierung: Anerkennung als Wahlpflichtfach bei Tübinger Pharmaziestudenten, sechs Credit Points im Masterstudiengang „Pharmaceutical Sciences and Technologies“, 50 Fortbildungspunkte für approbierte Apotheker (akkreditiert von der LAK Baden-Württemberg, Veranstaltungsnummer F16-0247).

Kosten: Für Studenten der Universität Tübingen kostenfrei, andere Teilnehmer zahlen 250 Euro. 

Abschluss: Teilnahmebescheinigung

Weitere Informationen gibt es hier.


Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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