GKV-Spitzenverband

Beschleunigte Zulassungen müssen Ausnahmen bleiben

Stuttgart - 04.04.2016, 14:30 Uhr

Strengere Standards für schnelle Zulassungen fordert Johann-Magnus von Stackelberg vom GKV-Spitzenverband - hier bei der Vorstellung des Positionspapiers zur Arzneimittelversorgung. (Foto: Sket / DAZ.online)

Strengere Standards für schnelle Zulassungen fordert Johann-Magnus von Stackelberg vom GKV-Spitzenverband - hier bei der Vorstellung des Positionspapiers zur Arzneimittelversorgung. (Foto: Sket / DAZ.online)


Um Risiken für Patienten zu begrenzen, fordert GKV-Vize Johann-Magnus von Stackelberg verschärfte Standards für schnelle Zulassungen – und erinnert an den Contergan-Skandal. Da die Industrie kaum Daten liefere, setzt er sich für wiederholte Nutzenbewertungen und geringere Erstattungen ein.

Um die Zeit zu verkürzen, die ein Medikament von der Grundlagenforschung bis zum Patientenbett braucht, werden von den Arzneimittelbehörden immer häufiger beschleunigte Zulassungsverfahren genehmigt. Für Patienten, die an einer Erkrankung ohne Therapiemöglichkeit leiden, sind die verkürzten Prozesse ein Weg, um schneller neue Arzneimittel zu erhalten. Doch darf dies nicht zulasten der Sicherheit gehen, fordert Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes: „So verständlich die Hoffnung auf Heilung oder Linderung einer Krankheit durch neue Arzneimittel ist, sie darf nicht mit einer partiellen Abkehr vom Grundsatz Sicherheit als Bedingung für die Marktzulassung erkauft werden“, sagt er laut einer Stellungnahme des Verbands vom Montag.

Aufgrund der niedrigeren Anforderungen bei beschleunigten Verfahren sind diese schon länger in der Kritik. Die Zulassungen werden unter der Auflage erteilt, dass die Hersteller weitere Studien und Unterlagen nachreichen. Oft passiert dies jedoch verspätet oder nicht im vollen Umfang: Von den 26 Arzneimitteln, die die EMA bis Juni 2015 unter Auflagen zuließ, wurden nur zehn auf Basis der vom Hersteller nachgelieferten Daten in eine reguläre Zulassung überführt, schreibt der GKV-Spitzenverband.

Nachträglich abgesenkte Standards

„Im Durchschnitt dauerte es bis zur Hochstufung zur Vollzulassung fünf Jahre, in denen Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels nicht auf regulärem Niveau abgesichert waren“, so der Verband. Die vor Zulassung formulierten Studienauflagen seien im Nachhinein abgesenkt worden – und in keinem Fall entzog die Behörde wegen nicht erfüllter Auflagen die Zulassung.

Eine solide wissenschaftliche Evidenzgrundlage müsse für die Zulassung weiterhin oberste Priorität haben, so von Stackelberg. „Wir dürfen nicht hinter den Sicherheitsstandard zurückfallen, den der Gesetzgeber aufgrund der leidvollen Erfahrungen mit dem Contergan-Skandal in den 1970er Jahren gesetzt hat“, sagt er. Hierzu bedürfe es robuster, vergleichender Phase-III-Studien, die die vom Hersteller behauptete Wirksamkeitsannahme untersuchen und mögliche schwere Nebenwirkungen erkennen, bevor das Produkt in der breiten Regelversorgung eingesetzt wird.

Nur im Ausnahmefall

„Beschleunigte Zulassungen von Arzneimitteln müssen daher Ausnahmen für echte medizinische Versorgungslücken bleiben“, sagt von Stackelberg. „Nur hier ist es zu rechtfertigen, dass der sehr frühe Marktzugang mögliche Fehleinschätzungen zu Wirksamkeit, Risiken und Nebenwirkungen aufgrund der dünnen Datenlage zum Zeitpunkt der Zulassung mit sich bringt.“

Zulassungsbehörden haben immer mehr Möglichkeiten, Zulassungsverfahren abzukürzen. Während die EMA im vergangenen Jahr 13 Prozent der zur Zulassung empfohlenen Arzneimittel für ein beschleunigtes Verfahren ausgewählt hat, waren es in den USA sogar 60 Prozent – da die FDA ihren Prüfpflichten bei nachträglich vorgelegten Studien nicht nachgekommen war, geriet sie dort wiederholt in scharfe Kritik.

Anfang März hatte die EMA das neue Verfahren PRIME („PRIority MEdicines“) angekündigt, das bei besonderes vielversprechenden Arzneimitteln oder Erkrankungen ohne Therapieoptionen zum Einsatz kommen soll. Teil des Konzepts ist es, dass Behörde und Hersteller schon früh im Entwicklungsprozess diesen zusammen planen – zum Beispiel, um ein Mittel zuerst an speziellen Patientengruppen zu testen. „Dann erhält man den gleichen Grad der Evidenz, als wenn man später Subgruppen herauszieht“, sagte BfArM-Präsident Karl Broich im Februar auf einer Tagung in Frankfurt. Dort warf er auch die Frage auf, ob mehrere Studien mit kleinen Patientengruppen nicht günstiger seien als große Phase-III-Studien, wenn man am Ende ohnehin die Ergebnisse für einzelne Populationen einzeln untersuchen müsse.

Auch Hans-Georg Eichler, Medizinischer Leiter der europäischen Zulassungsbehörde EMA, hatte sich für eine schrittweise Zulassung („adaptive Licensing“) ausgesprochen. Dies kritisierte aber beispielsweise IQWiG-Chef Jürgen Windeler: „Die frühere Verfügbarkeit wird erkauft durch höhere Unsicherheit und uneinlösbare Versprechen“, sagte er. 

Stackelberg fordert Sanktionen

Auch von Stackelberg zweifelt, ob die vom Pharmahersteller versprochenen, nachträglich eingereichten Studien am Ende in der nötigen Qualität vorgelegt werden. Daher seien Sanktionsmöglichkeiten nötig. „Wenn die Zulassungsebene den Anspruch auf Studienlieferungen nicht effektiv durchsetzt, müssen es die nationalen Sozialversicherungssysteme tun“, sagt er. Der GKV-Spitzenverband schlägt daher eine angepasste Erstattung auf Basis verpflichtend zu wiederholender Nutzenbewertungen vor: Legt der Unternehmer nach Fristablauf die geforderten Studien nicht vor, wird die Erstattung gekürzt.

Allgemein sollten die Hersteller bei schrittweisen Zulassungen nicht mit hohen Erstattungen rechnen, so der Spitzenverband: Je weniger Daten bei der Zulassung vorliegen, desto dünner sei die Basis für die Erstbewertung und damit auch ein mögliches Zusatznutzenvotum durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. „Eine schrittweise Zulassung kann daher nur eine am jeweiligen Wissensstand angepasste Erstattungshöhe bedeuten, die die größere Unsicherheit beim Zusatznutzen berücksichtigt“, sagt von Stackelberg.

Patienten müssten von Risiken erfahren

Er fordert auch, dass Hersteller sowie Ärzte transparent die schrittweise Marktzulassung bei neuen Arzneimitteln thematisieren. „Patienten wie Ärzte haben einen Anspruch darauf, zu wissen, welches Risiko von Neben- und Wechselwirkungen sie eingehen“, so von Stackelberg. „Die mit dieser Zulassungsart verbundene größere Unsicherheit muss an Patienten und Ärzte kommuniziert werden“, sagt er – „und zwar viel gezielter und breiter, als es heute passiert“.


Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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