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„Das Verfahren ist nun eröffnet“

AvP-Insolvenzverwalter Hoos erklärt die wichtigsten Schritte für betroffene Apotheken

eda | Wie erbeten und erwartet hat das Amtsgericht Düsseldorf zum 1. November das Insolvenzverfahren des Apothekenrechenzentrums AvP Deutschland GmbH eröffnet – einen Monat früher, weil man mit dem Käufer Noventi schnellstmöglich Planungssicherheit für die Krankenhausapotheken schaffen wollte. Im Interview mit der DAZ gibt Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos Einblicke in das laufende Verfahren und skizziert, was in den nächsten Wochen für die ­betroffenen Apotheken wichtig ist. Mitte Dezember soll in der Düsseldorfer Messe die Gläubigerversammlung stattfinden. Mit knapp 5000 Gläubigern ist bei der Ver­anstaltung zu rechnen, doch nicht unwahrscheinlich ist, dass bis ­dahin noch die Corona-Pandemie dazwischenfunkt.
Foto: picture alliance / Marcel Kusch; Kanzlei White & Case

AvP-Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos betont im DAZ-Interview, dass bei der Anmeldung der Forderung nicht gleichzeitig das Recht auf Aussonderung erlischt.

DAZ: Herr Dr. Hoos, erklären Sie uns bitte, weshalb es zur früheren Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei der AvP Deutschland GmbH am 1. November gekommen ist.

Hoos: Normalerweise wäre das Verfahren zum 1. Dezember eröffnet worden, also nach Ablauf des Insolvenzgeldzeitraums. So läuft es ja auch bei den anderen Unternehmen der AvP-Gruppe. Der Hintergrund für die vorgezogene Verfahrenseröffnung bei der AvP Deutschland GmbH ist in erster Linie der Kaufvertrag mit der Noventi. Dieser sollte im eröffneten Verfahren vollzogen werden, um für Noventi die notwendige Rechtssicherheit zu schaffen. Damit wir den Krankenhausapotheken schnellstmöglich Planungs­sicherheit bieten, haben wir also die Vorbereitungen für die Eröffnung des Verfahrens deutlich beschleunigt.

DAZ: Den Kaufpreis kommunizieren Sie wahrscheinlich nicht?

Hoos: Nein, das wird nicht öffentlich bekannt gegeben. Erstens bin ich gegenüber Noventi vertraglich zur Verschwiegenheit verpflichtet und zweitens handelt es sich beim Insolvenzverfahren um ein nicht öffentliches Verfahren. Daher berichte ich lediglich dem Gericht, dem Gläubigerausschuss und der Gläubigerversammlung. Die Gläubiger haben natürlich ein Recht darauf zu erfahren, wie groß die Insolvenzmasse ist und dazu gehört natürlich auch die Höhe des Kaufpreises.

DAZ: Wie läuft das Verfahren denn jetzt genau ab? Was müssen die betroffenen Apotheken in die Wege leiten, um als Gläubiger an der Versammlung teilzunehmen und Aussicht auf die ­Insolvenzmasse zu haben?

Hoos: Das Verfahren ist nun eröffnet. In einem ersten Schritt werde ich als Insolvenzverwalter umgehend alle Gläubiger anschreiben und ihnen Ge­legenheit zur Forderungsanmeldung geben. Wir reden hier über eine Zahl von knapp 5000 Gläubigern, weil es ja nicht nur um die Apotheken geht. Diese bilden zwar mit Abstand die größte Gläubigergruppe, aber es bestehen darüber hinaus auch Forderungen von Lieferanten, Dienstleistern und Arbeitnehmern. Auch habe ich alle Kostenträger angeschrieben, weil sie mögliche Gläubiger im Verfahren sein könnten, wenn sie etwa in der Vergangenheit Überzahlungen geleistet haben. Mein Anschreiben an die Gläubiger enthält unter anderem ein Formular zur Forderungsanmeldung. Für die Apothekengläubiger sind in dieses Formular bereits sogenannte Vorschlagswerte eingetragen, die sich aus den Daten der AvP ergeben. Wenn der jeweilige Apotheker mit diesem Vorschlagswert einverstanden ist, kann er das Formular einfach unterzeichnen und muss keine weiteren Nachweise für seine Forderung einreichen. Hierdurch soll das Anmeldeprocedere für die Apotheken vereinfacht werden. Anmeldefrist ist nach dem Eröffnungsbeschluss des Gerichts der 24. November.

DAZ: Und im Fall, wenn der Gläubiger höhere Forderungen hat oder Aussonderungsrechte geltend machen möchte?

Hoos: Wenn der Apotheker der Ansicht ist, dass seine Forderungen höher sind als der im Formular ange­gebene Vorschlagswert, kann er den höheren Betrag eintragen. Dann muss er für diesen höheren Betrag aber auch Belege beifügen. Im Begleitschreiben zu dem Formular zur Forderungsanmeldung wird auch noch einmal darauf hingewiesen, wie Aussonderungsrechte geltend zu machen sind. An dieser Stelle möchte ich be­tonen, dass durch eine Anmeldung der Forderung als Insolvenzforderung nicht gleichzeitig das Recht auf Aussonderung erlischt.

Noventi übernimmt AvP-Rezeptprüfungssoftware

In einer Pressemitteilung erklärte der Apothekendienstleister Noventi in der vergangenen Woche, dass man die exklusiven Lizenzrechte für die Rezeptprüfungssoftware „ScanAdhoc“ von AvP übernommen habe. Gleichzeitig wolle man die Anwendung ab sofort für alle Apotheken Deutschlands verfügbar machen, weil das Prüfmodul unabhängig von der Warenwirtschaft funktioniert.

DAZ: Was passiert, wenn einzelne Gläubiger die vom Gericht gesetzte Frist nicht einhalten können?

Hoos: Es handelt sich bei dem 24. November nicht um eine Ausschlussfrist. Der Stichtag für die Prüfung der angemeldeten Forderungen ist der 22. Dezember. Wir werden also versuchen, möglichst jede bis kurz vor diesem Stichtag angemeldete Forderung noch mit zu prüfen. Selbst wenn die Forderungsanmeldung nicht rechtzeitig vor dem 22. Dezember bei uns eingeht, ist der Gläubiger jedoch nicht von der Teilnahme am Verfahren ausgeschlossen. Solche Forderungen werden dann allerdings erst zu einem späteren Stichtag geprüft. Häufig findet ein solcher nachträglicher Prüfungsstichtag erst kurz vor Abschluss des Insolvenzverfahrens statt.

DAZ: Am 15. Dezember wird dann die Gläubigerversammlung als Präsenzveranstaltung in der Düsseldorfer Messe stattfinden. Gehen Sie davon aus, dass tatsächlich Tausende von Gläubigern kommen werden?

Hoos: Die Gläubigerversammlung am 15. Dezember steht natürlich noch immer unter dem Vorbehalt, dass uns die Corona-Pandemie keinen Strich durch die Rechnung macht. Es kann also sein, dass die Veranstaltung unter Umständen noch verschoben wird. Im Zusammenhang mit der Forderungsanmeldung werden die Gläubiger gebeten mitzuteilen, ob sie an der Gläubigerversammlung vor Ort teilnehmen werden oder nicht. So können wir ungefähr abschätzen, wie viele Gläubiger kommen werden und entsprechend planen. Stand heute lässt sich die Anzahl nicht voraussagen.

DAZ: Nun hat Noventi ja inzwischen bestätigt, einer Apotheke sämtliche AvP-Forderungen abgekauft zu haben, um an den Gläubigerversammlungen „im Sinne aller ehemaligen AvP–Kunden beteiligt zu sein“. Was ist davon zu halten?

Hoos: Was der Hintergrund dieses Einzelfalls ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Das müssen Sie Noventi fragen.

„Wir werden versuchen, möglichst jede bis kurz vor dem Stichtag angemeldete Forderung noch mit zu ­prüfen.“

Dr. Jan-Philipp Hoos

DAZ: Aber jetzt mal unabhängig vom konkreten Verfahren: Welchen Vorteil hat das insolvenzrechtlich, sich in die Gläubigerversammlung einzukaufen?

Hoos: Als Gläubiger bin ich natürlich näher am Verfahren dran. Ich kann an der Gläubigerversammlung teilnehmen und erfahre den Stand der Dinge. Wie bereits gesagt, ist das Insolvenzverfahren ja kein öffentliches Verfahren. Informationen über zum Beispiel die Insolvenzmasse, die Höhe der angemeldeten Forderungen oder auch die Quotenaussichten erhält man eben nur als Gläubiger. Als Käufer von Vermögenswerten aus einem Insolvenzverfahren erhalte ich solche Informa­tionen natürlich nicht.

DAZ: Kaufinteressenten und tatsäch­liche Käufer, wie Noventi oder ARZ Haan, haben also bisher keinen Einblick auf AvP-Konten gehabt?

Hoos: Ganz genau, das ist alles außerhalb deren Kenntnis.

DAZ: Kommen wir noch mal zurück auf das Thema Aussonderungsrechte. Gibt es Ihrerseits neue Erkenntnisse, welche AvP-Kundengruppen hierfür eventuell infrage kommen?

Hoos: Die Prüfung werden wir kurzfristig abschließen und ich gehe davon aus, dass wir uns hierzu auch auf der Gläubigerversammlung äußern werden. Für einen Großteil der Kunden unter den Offizinapotheken bestehen nach meiner derzeitigen Einschätzung keine Aussonderungsrechte. Es mag sein, dass für neuere Verträge unter Umständen ein solches Recht infrage kommt. Aber wie gesagt, die Einzelheiten prüfen wir noch.

DAZ: Es soll wohl vereinzelt auch Geschäftsbeziehungen zwischen AvP und Apotheken gegeben haben, die gar nicht schriftlich in einem Vertrag festgehalten wurden. Was ist denn mit solchen Fällen?

Hoos: Es scheint in der Tat solche Einzelfälle zu geben. In der Regel liegt der Vertragsschluss dabei wohl weit in der Vergangenheit. Ich gehe allerdings auch davon aus, dass bei solchen Verträgen per Handschlag in der Folgezeit die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der AvP Vertragsbestandteil wurden.

DAZ: Ergibt sich für die vom Nacht- und Notdienstfonds an AvP gezahlten Gelder in irgendeiner Weise eine an­dere Konsequenz als für Zahlungen von den Krankenkassen? Könnte der Nacht- und Notdienstfonds diese Gelder zurückfordern?

Hoos: Zu diesem Sachverhalt kann ich noch keine Stellung beziehen. Auch diese Prüfung ist nicht ab­geschlossen.

DAZ: Wann legen Sie dem Gericht ein erstes Gutachten über Ihre Arbeit vor und inwieweit wird dieses veröffentlicht?

Hoos: Mein Gutachten zur Insolvenzeröffnung liegt dem Gericht bereits vor. Das Gericht hat mir, wie fast in jedem Fall, in dem ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird, auch einen Auftrag als Sachverständiger erteilt. In diesem Auftrag geht es zum Beispiel darum, zu prüfen, ob der Insolvenzschuldner, hier also die AvP, insolvent ist, worin die Gründe der Insolvenz liegen und welche Vermögenswerte noch vorhanden sind. Auch ist zu prüfen, ob das Unternehmen saniert oder erhalten werden kann. Das Gutachten ist aber in einem so komplexen Fall an vielen Stellen natürlich noch nicht abschließend. Öffentlich zugänglich ist das Gutachten aber nicht. Zu der Gläubigerversammlung werde ich dann einen auf dem Gutachten aufbauenden Bericht erstellen, der auch der Gläubigerversammlung zusammengefasst dargestellt wird und in den Gläubiger grundsätzlich Einsicht nehmen können.

„Ich bin mir sicher, dass es aufseiten der Rechenzentren und der Apotheken mittlerweile eine ganz andere Sensibilität für das Thema gibt.“

Dr. Jan-Philipp Hoos

DAZ: Apropos Gutachten: Sie selbst wollen Ihre Einschätzung und Arbeit auch mit externen Gutachten absichern. Ist das bereits geschehen?

Hoos: Ja, in der Tat. Ein Gutachten zu der Frage, ob Aussonderungsrechte der Apotheken an Forderungen, Rezepten oder Kontoguthaben bestehen, habe ich bei einer externen Kanzlei in Auftrag gegeben. Für mich ist es natürlich wichtig, durch einen externen Dritten verifizieren zu lassen, ob meine eigenen Einschätzungen zutreffen. Für die Offizinapotheken ist das Gutachten weitgehend fertig. Das Ergebnis werde ich natürlich dem Gläubigerausschuss präsentieren und auch in der Gläubigerversammlung hierzu Stellung nehmen.

DAZ: Seit Bekanntwerden der AvP-Pleite haben wir ja immer mehr Erkenntnisse über die Umstände und Ursachen gewonnen. Das Geschäftsmodell von AvP beruhte demnach hauptsächlich auf Factoring und sah nicht vor, Abrechnungsgelder auf Treuhandkonten zu verwalten. Warum tauchen diese Summen dann nicht in der Bilanz auf?

Hoos: Nach meiner derzeitigen Einschätzung hätten die Abrechnungskonten der AvP wohl bilanziert werden müssen.

DAZ: Und das ist nie bei einer Wirtschaftsprüfung aufgefallen und moniert worden?

Hoos: Ich kann nicht aus dem Stegreif sagen, ob das in der Vergangenheit von dem damaligen Wirtschaftsprüfer jemals moniert wurde.

DAZ: Nun sind Sie zwischenzeitlich ja auch auf politischer Bühne präsent gewesen und standen im Austausch mit den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses. Hat sich das Verfahren seitdem irgendwie verändert?

Hoos: Nein, keinesfalls. Mein Eindruck ist, dass es bei der Sitzung des Gesundheitsausschusses vor allem darum ging, welcher Schaden durch die AvP-Insolvenz bei den Apotheken entstanden ist und ob bzw. wie der Staat hier helfen soll. Darüber hinaus wollte man ver­stehen, was man aus der Insolvenz der AvP lernen kann, um zu vermeiden, dass so etwas noch einmal vorkommt.

DAZ: Was müssten Ihrer Meinung nach denn zukünftig für Voraussetzungen geschaffen werden, um die Insolvenz eines Rechenzentrums von den angeschlossenen Apotheken abzuwenden?

Hoos: Dazu möchte ich mich derzeit nicht öffentlich äußern. Mein Fokus liegt derzeit darauf, den Schaden für die Gläubiger dieses Verfahrens so gering wie möglich zu halten. Ich bin mir allerdings sicher, dass es aufseiten der Rechenzentren und der Apotheken mittlerweile eine ganz andere Sensibilität für das Thema gibt.

DAZ: Herr Dr. Hoos, vielen Dank für das Gespräch. |

 

Hinweis: Wenige Tage nach diesem Interview wurde der Redaktion das von Dr. Hoos erstellte Gutachten zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugespielt. Den entsprechenden Artikel dazu finden Sie auf Seite 9.

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