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Körperverletzung

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Es gibt Infektionskrankheiten, die sind so gefürchtet, dass ein schützender Impfstoff händeringend herbeigesehnt wird. Dazu zählen HIV-Infektionen ebenso wie die Malaria oder Ebola. Dann gibt es gefährliche Infektionskrankheiten, die durch Impfungen weltweit auszurotten wären, was aber einfach nicht gelingen will. Prominentes Beispiel – die Masern.

Sicher, gegenüber HIV-Infektionen erscheint eine Maserninfektion nahezu harmlos. Darüber hinaus haftet den Masern noch der Mythos an, dass eine durchgemachte Infektion wesentlich für den Reifeprozess des Kindes sei. Ein böses Erwachen gibt es zum Glück selten. Kommt es zu Komplikationen, gelangen diese noch seltener ans Licht der Öffentlichkeit. Den Sensationsmeldungen über schleichend tödlich verlaufende Komplikationen (Stichwort subakute sklerosierende Panenzephalitis [SSPE] durch reaktivierte Masernviren) stehen die vielen offenkundig ohne Nachwehen überstandenen Maserninfektionen gegenüber. Aufklärung und Überzeugungsarbeit in Sachen schlummerndes Virus, das jederzeit wieder zuschlagen kann, haben nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Deshalb soll nun die Impfpflicht kommen, die voraussichtlich ab März 2020 für Kinder in Kindertagesstätten und Schulen, Menschen in Gemeinschaftseinrichtungen sowie das Personal in all diesen Einrichtungen gelten wird. Ob sich dann die Impfverweigerer dem Zwang unterordnen werden, mag bezweifelt werden. Der Widerstand ist ungebrochen, es wird mit Verfassungsklage gedroht. Unabhängig davon bleibt gut Betuchten die Möglichkeit, sich durch Zahlung eines Bußgeldes freizukaufen, um beispielsweise ihr schulpflichtiges Kind vor der in ihren Augen „gefährlichen Körperverletzung“ zu schützen. Eine äußerst unbefriedigende Situation.

Ein weiteres Beispiel für eine Infektionskrankheit, ausgelöst durch ein Virus mit Schlummermodus, ist das Pfeiffersche Drüsenfieber. Diese auch als Kusskrankheit bekannte Epstein-Barr-Virus-Infektion ereilt vor allem Jugendliche und junge Erwachsene (s. S. 32). Meist wird sie für eine harmlose Erkältung gehalten, die etwas langwieriger verläuft. Erst wenn die Betroffenen immer wieder mit Krankheitssymptomen kämpfen und sich der zu Rate gezogene Arzt auf Ursachensuche begibt, wird die richtige Diagnose gestellt. Erst dann weiß man, dass im Körper der Betroffenen ein Virus schlummert, das lebenslang für Probleme sorgen kann. Denn Epstein-Barr-Viren (EBV) zählen zu den onkogenen Viren, die für bestimmte Lymphome verantwortlich gemacht werden und darüber hinaus das Risiko für verschiedene andere Krebserkrankungen erhöhen können. Doch damit nicht genug. Epstein-Barr-Viren sind als Verursacher des chronischen Erschöpfungssyndroms ebenso in der Diskussion wie als Auslöser für Immunerkrankungen. So soll beispielsweise das Risiko, an multipler Sklerose zu erkranken, mit einer EBV-Infektion in der Anamnese um das 16-Fache erhöht sein. Eine spezifische Pharmakotherapie gibt es noch nicht. Auch hier wäre ein wirksamer Impfschutz der Königsweg, am besten einer, der auch schlummernde Viren im Körper in Schach hält. Die Forschung läuft auf Hochtouren. Bleibt zu hoffen, dass dann, wenn ein solcher Impfstoff zur Verfügung stehen wird, auch die Letzten verstanden haben, dass nicht die Impfung, sondern die Inkaufnahme einer Infektion die eigentliche Körperverletzung ist.

Doris Uhl

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