Leserbriefe

Vitamin B₁₂: Alternative Methylcobalamin kann man nehmen, muss man aber nicht ...

Zum Beitrag „Vitamin-B12-Mangel oft unterschätzt: Beratungswissen zu den Cobalaminen“ in DAZ 2018, Nr. 26, S. 38

Sehr geehrte Frau Dr. Podlogar,

sehr geehrter Herr Prof. Smollich,

mit großem Interesse habe ich die Lektüre Ihres Artikels zum Thema Vitamin B12 in der DAZ vom 28. Juni begonnen, erhoffte ich mir doch u. a. eine Bewertung der verschiedenen verwendeten Cobalamin-Alternativen.

Genau das vermisse ich aber. Methylcobalamin ist definitiv im Handel verfügbar und laut Uwe Gröber dem Cyanocobalamin vorzuziehen. ... Da hätte mich eine Stellungnahme in Ihrem Artikel sehr interessiert.

Außerdem wäre ein Abschnitt zur Bestimmung des Vitamin-B12-Status‘ wünschenswert gewesen.

Ansonsten liefert der Artikel aber einen guten Überblick!

Regine Hartung, Apotheke am Marktplatz, Ott & Hartung OHG, 63683 Ortenberg

Antwort der Autoren

Sehr geehrte Frau Hartung,

herzlichen Dank für Ihre Zuschrift und Ihr Interesse an unserer Mikronährstoff-Serie. Wie Sie richtigerweise angemerkt haben, sind wir in unserem Artikel nicht auf mögliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Vitamin-B12-Formen in Bezug auf Wirksamkeit und Toxizität eingegangen, da wir sie für irrelevant halten. Da diese Fragestellung aber im Apothekenalltag vermutlich häufig auftaucht, möchten wir unsere Meinung nachfolgend begründen.

In einschlägigen Internetforen wird zum Teil sehr vehement vor der Einnahme des „künstlichen“ Cyanocobal­amins gewarnt, weil dieses erstens selbst unwirksam sei und zunächst in die Wirkform Methyl- oder Adenosylcobalamin umgebaut werden müsse, was unnatürlich sei, und zweitens durch die Freisetzung von Cyanid ­toxisch sei.

Die erste Behauptung ist zwar richtig, aber in der Praxis irrelevant. Auch zahlreiche andere Vitamine und sonstige Nährstoffe müssen zunächst in ihre Wirkform umgewandelt werden, z. B. Vitamin D3 in Calcitriol, was bei Leber- und Nierengesunden problemlos möglich ist, oder Betacarotin in Vitamin A. Die Annahme, dass eine derartige Umwandlung unnatürlich sei, wird dadurch widerlegt, dass auch das in Lebensmitteln hauptsächlich vorkommende Hydroxocobalamin selbst unwirksam ist und zunächst metabolisiert werden muss. Außerdem wird der Ligand am Cobaltatom ohnehin im Rahmen des Resorptionsprozesses abgespalten; anschließend wird aus freiem Cobalamin entweder Methylcobalamin (im Zytosol) oder Adenosylcobalamin (in den Mitochondrien) gebildet [1]. Wer diese Prozesse durch die direkte Gabe von Methyl­cobalamin umgehen will (was nicht möglich ist), müsste konsequenter­weise auch Adenosylcobalamin direkt zuführen, da nur diese Form als Coenzym der Methylmalonyl-CoA-Mutase und der Leucin-2,3-Aminomutase fungiert.

Cyanocobalamin wird seit Langem erfolgreich in der Prävention und Therapie des Vitamin-B12-Mangels eingesetzt. Es gibt zugelassene Arzneimittel (nicht nur Nahrungsergänzungsmittel), die ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in kontrollierten Studien nachweisen mussten (z. B. B12-Tropfen „Ankermann“ etc). Außerdem ist Cyanocobalamin preiswert herzustellen und chemisch-physikalisch stabiler als die anderen Formen. Das bei den US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) angesiedelte Office of Dietary Supplements, das auf seiner Homepage in Form sogenannter „Health Professional Fact Sheets“ viele nützliche und vor allem seriöse Informationen zu Nahrungsergänzungsmitteln bietet, gibt ebenfalls an, dass die vorliegende Evidenz keine Unterschiede der einzelnen Varianten vermuten lässt [2].

Die zweite Befürchtung lässt sich durch quantitative Überlegungen entkräften: Aus den jeweiligen molaren Massen der Cyanogruppe und des Gesamtmoleküls Cyanocobalamin ergibt sich, dass 1000 µg Cyanocobalamin etwa 20 µg Cyanid enthalten. Cyanid kommt in zahlreichen natürlichen Lebensmitteln in geringen Mengen vor. Von der WHO wird eine tägliche Aufnahme von 50 µg/kg Körper­gewicht für akzeptabel gehalten [3]; eine 70 kg schwere Person nimmt also auch mit einer hohen Cyanoco­balamin-Dosis von 1000 µg/d nur ca. 0,6% der als unbedenklich angesehenen Tagesdosis auf [3].

Richtig ist dagegen, dass Hydroxocobalamin bei parenteraler Applikation eine bessere Depotwirkung aufweist als Cyanocobalamin: Während 50 bis 90% einer intramuskulär oder intravenös verabreichten Gabe von 0,1 bis 1 mg Cyanocobalamin innerhalb von 48 Stunden mit dem Urin ausgeschieden werden, sind nach Applikation von Hydroxocobalamin länger anhaltende Serumspiegel zu beobachten, wobei innerhalb von 72 Stunden lediglich 16 bis 66% der Dosis im Urin erscheinen. Dieser Effekt ist jedoch nur in der Anfangstherapie akuter Mangelzustände relevant; in der Langzeitbehandlung sollten zwischen Hydroxocobalamin und Cyanocobalamin keine wesentlichen Unterschiede im Resorptions- und Retentionsverhalten bestehen [4].

Fazit: Grundsätzlich spricht nichts gegen eine Einnahme von Methylcobalamin, wenn man davon absieht, dass sie höhere Kosten verursacht und die Substanz in der Regel als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben wird und nicht als Arzneimittel, das deutlich strengeren Kontrollmechanismen und Qualitätsanforderungen unterläge. Sie ist jedoch schlicht nicht notwendig, da mit Cyano- und Hydroxocobalamin preiswerte, stabile und zig-fach erprobte Substanzen zur Verfügung stehen. In unseren Augen ist die überwiegend in Populärmedien geführte und durch wirtschaftliche Interessen motivierte Diskussion völlig überzogen und lenkt von der eigentlichen Problematik ab, nämlich einer häufig unzureichenden Vitamin-B12-Versorgung vor allem bei Veganern und Magenkranken.

Julia Podlogar und Prof. Dr. Martin Smollich

Literatur

[1] Hahn A et al: Ernährung. Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 3. Auflage 2015

[2] https://ods.od.nih.gov/factsheets/Vit­aminB12-HealthProfessional/

[3] Concise International Chemical Assessment Document 61: Hydrogen Cyanide and Cyanides:human Health Aspects. WHO 2004

[4] Fachinformation Vitamin B12 Depot rotexmedica 1000 µg/ml, Stand Juni 2015

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