Die Seite 3

Entlassen und im Stich gelassen

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Armin Edalat

Es muss nicht immer der 13. sein. Für Krankenhauspatienten kann jeder Freitag zum Schicksalstag werden.

Vor 15 Jahren untersuchten Wissenschaftler der Berliner Charité, unter welchen Umständen Patienten aus deutschen Kliniken entlassen werden. Sie fanden heraus, dass die meisten Patienten (mehr als 20 Prozent) an einem Freitag nach Hause geschickt werden. Auf alle sieben Wochentage gleichmäßig verteilt müssten es ja eigentlich rund 14 Prozent sein. Und Patienten, deren Entlassung an einem Freitag stattfindet, werden wegen Komplikationen oder Folgeerkrankungen in den darauf­folgenden 30 Tagen überdurchschnittlich häufig wieder stationär aufgenommen. ­Interessant ist auch der folgende Zusammenhang: Je länger der Krankenhausaufenthalt dauert, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, an einem Freitag entlassen zu werden.

Sind das alles nur imposante Zahlenspiele ohne weitere Bedeutung? Nein, sicher nicht. Bereits die Studienautoren erkannten in ihren Ergebnissen eine alarmierende Brisanz. Durch die Entlassungen an Freitagen geraten Patienten in problematische Versorgungssituationen. Am Wochenende sind niedergelassene Ärzte nur eingeschränkt verfügbar. Der Erstkontakt mit dem eigenen Hausarzt kann frühestens am darauffolgenden Montag stattfinden. Ein häuslicher Krankenpflegedienst steht nicht immer bereit. Dringend benötigte Arzneimittel, zum Beispiel gegen Schmerzen und Thrombosen, sind zwar in den (notdiensthabenden) Apotheken vorrätig, doch ohne ärztliche Verordnung nicht erhältlich.

Die Vermutung der Studienautoren von damals: Der Zeitpunkt, wann Patienten entlassen werden, basiert nicht allein auf medizinischen Kriterien, sondern auf Kostendruck und den jeweiligen Vorgaben des Krankenhausträgers. Patienten werden aufgrund von Personalmangel in den Kliniken (vor allem an Freitagen) nur unzureichend auf ihre Entlassung vorbereitet. Die Nachsorge durch medizinische, pharmazeutische und pflegerische Leistungen scheitert an der geringen Vernetzung zwischen stationärer und ambulanter Behandlung. Die Studie schließt ab mit einem Plädoyer für eine Strukturveränderung zum Wohle der Patienten. Die Autoren gehen davon aus, dass es mit Blick auf weniger stationäre (Nach-)Behandlungen keine Mehrkosten geben muss.

Wo stehen wir heute? Immerhin gibt es seit Oktober 2017 ein „Entlassmanagement“, das eine lückenlose Anschlussversorgung garantieren soll. Krankenhausärzte stellen fest, welche ambulanten Leistungen unmittelbar nach der Entlassung für ihre Patienten erforderlich sind, und dürfen diese auch einleiten. So wird es hoffentlich immer unwahrschein­licher, dass Patienten frisch entlassen freitagnachmittags ohne Rezept in der Apotheke stehen und die benötigten Arzneimittel und Medizinprodukte nicht erhalten können.

Doch es gibt noch immer gravierende Probleme: Die abzugebenden kleinsten Packungsgrößen reichen meistens nicht für die Versorgung über das Wochenende, Rückfragen an die Krankenhaus- oder Hausärzte laufen nach wie vor ins Leere und Formfehler auf den Entlassrezepten können zur Retaxation führen.

Gelöst haben das die Ergänzungsvereinbarungen zwischen dem Deutschen Apothekerverband und den Primär- und Ersatzkassen nur schlecht. Im Gegenteil – sie haben einige bürokratische Stolperfallen nicht aus der Welt schaffen können. Dabei ist die Versorgung der Patienten an der Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Behandlung ohnehin schon eine Herausforderung für alle Beteiligten. Hier muss unbedingt nachgebessert werden. Die Apotheken als häufig erste Anlaufstelle nach der Entlassung dürfen nicht weiter im Stich gelassen werden und brauchen mehr Handlungssicherheit bei der Versorgung der Patienten.

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

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