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Praxis

Cannabis in der Apotheke

Was man über Ausgangsstoffprüfung, Rezeptbelieferung und Beratung (vorerst) wissen muss

Im März soll das neue Cannabis-Gesetz in Kraft treten. Auf Apotheken kommen damit neue Herausforderungen zu. Die Versorgung von Patienten mit Cannabinoiden wird keine Ausnahme mehr sein: Jeder approbierte Arzt (ausgenommen Zahn- und Tierärzte) kann Patienten künftig Cannabis-Blüten, Extrakte, Rezeptur- und Fertigarzneimittel auf Cannabis-Basis als Betäubungsmittel verschreiben und jede Apotheke muss in der Lage sein, entsprechende Rezepte zu beliefern und die Patienten zu beraten. Noch sind viele Fragen offen. So ist noch nicht vollkommen klar, wie Verordnungen von Cannabis-Blüten konkret aussehen werden. Fürs Erste wird man sie als Droge bzw. Ausgangsstoff betrachten müssen. Selbstverständlich müssen die allgemein gültigen Regeln für Betäubungsmittel und Rezepturarzneimittel beachtet werden. Der folgende Artikel soll als erste Soforthilfe dienen und erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch hat er einen dogmatischen Charakter. Die Entwicklungen müssen in den nächsten Monaten mit wachen Augen verfolgt werden. | Von Rika Rausch

Was genau unter die Droge Cannabis sativa (Cannabaceae) fällt, war und ist noch immer Gegenstand von Diskussionen. Aufgrund morphologischer Eigenschaften kann man der Gattung Cannabis die drei Arten Cannabis sativa, Cannabis indica und Cannabis ruderalis zuordnen. Andere Meinungen gehen dahin, dass es sich bei C. indica und C. ruderalis lediglich um Unterarten von Cannabis sativa handelt. Medizinisch genutzt werden heute Hybride der drei Arten, die aufgrund ihres Gehalts an Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) bestimmte Eigenschaften aufweisen. Verwendet werden nur die weiblichen Blüten.

Die Datenlage zur medizinischen Verwendung von Cannabis ist nach wie vor dürftig. Im neuen Gesetz wurde ausdrücklich darauf verzichtet, einzelne Indikationen aufzuführen. Theoretisch könnten Cannabis-Blüten und -Extrakte sowie Rezepturarzneimittel mit Dronabinol daher für jede Indikation verordnet werden, vorausgesetzt, dass „eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht“ oder diese nicht zur Anwendung kommen kann. Konkrete Hinweise auf eine Wirksamkeit von Cannabis gibt es in Bezug auf Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie, Appetitlosigkeit und Kachexie bei Krebs- oder HIV-/Aids-Patienten, neuropathischen und chronischen Schmerzen und Spastik. Die Fertigarzneimittel Sativex® (Nabiximols) und Canemes® (Nabilon) sind in eindeutigen Anwendungsgebieten zugelassen, können aber off label verordnet werden.

Alle THC-haltigen Ausgangsstoffe, Zubereitungen und Fertigarzneimittel fallen unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG); die geltenden Regeln zur Belieferung eines BtM-Rezepts sowie die Dokumentationspflichten sind zu beachten.

Wie können solche BtM-Rezepte in Zukunft aussehen?

Cannabis-Blüten

Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) obliegt die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ausreichend Medizinalhanf in der erforderlichen Qualität zur Verfügung steht. Zukünftig wird die beim BfArM angesiedelte Cannabis-Agentur den Anbau von Cannabis überwachen und die produzierte Menge vollständig aufkaufen. Bis für eine Produktion in Deutschland alle Voraussetzungen erfüllt sind, wird die Versorgung mit Medizinalcannabis über Importe gedeckt. Viele Jahre waren in Deutschland nur niederländische Cannabis-Blüten verfügbar. Die Produktion der Firma Bedrocan BV wird von der dortigen Cannabis-Agentur OMC (Office of Medicinal Cannabis) überwacht. Zur Verfügung stehen fünf verschiedene Cannabis-Sorten in 5-g-Dosen, die sich in ihrem Gehalt an THC und CBD unterscheiden (siehe Tabelle). Die niederländischen Sorten werden auch durch die Pedanios GmbH in Berlin vertrieben. Seit 2016 kann kanadisches Medizinalcannabis auch von den Firmen MedCann GmbH und Peace Naturals (über Pedanios GmbH) bezogen werden.

Lagerung. Cannabis-Blüten werden lichtgeschützt an einem kühlen Ort aufbewahrt. Die aktuelle DAC-Monographie enthält den Hinweis, die Blüten bei 2 bis 8 °C zu lagern, was für Verwirrung sorgt, da die Droge aus den Bezugsländern ungekühlt geliefert wird. Vor Aufnahme der Monographie in das DAB 2017 bedarf dieser Passus noch genauerer Abstimmung. Definitiv notwendig ist eine Lagerung unter 25 °C.

Tab.: THC/CBD-Gehalte von Cannabis-Blüten
Sorte
Gehalt THC
Gehalt CBD
von Bedrocan angebotene Sorten
Bedrocan
ca. 22%
< 1%
Bedrobinol
ca. 13,5%
< 1%
Bedica granuliert*
ca. 14%
< 1%
Bediol granuliert*
ca. 6,3%
ca. 8%
Bedrolite granuliert*
< 1%
ca. 9%
aus kanadischem Anbau
Princeton (MCTK007)
ca. 16,5%
bis zu 0,05%
Houndstooth (MCTK001)
ca. 13,5%
bis zu 0,05%
Penelope (MCTK002)
ca. 6,7%
bis zu 10,2%
Argyle (MCTK005)
ca. 5,4%
ca. 7%
vom kanadischen Hersteller Peace Naturals
Pedanios 22/1
ca. 22%
bis zu 1%
Pedanios 18/1
ca. 18%
bis zu 1%
Pedanios 16/1
ca. 16%
bis zu 1%
Pedanios 14/1
ca. 14%
bis zu 1%
Pedanios 8/8
ca. 8%
ca. 8%

* Granuliert bedeutet, dass die getrockneten Blüten in Teilchen mit einer maximalen Größe von 5 Millimeter zerkleinert wurden.

Prüfung. Laut Apothekenbetriebsordnung ist es ausreichend, in der Apotheke die Identität eines Ausgangsstoffs zu prüfen, vorausgesetzt, aus dem Prüfzertifikat des Herstellers geht hervor, dass der Ausgangsstoff GMP-konform hergestellt und nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln geprüft wurde. Das gilt für Cannabis-Blüten gleichermaßen. Bei mehreren Behältnissen einer Charge muss jedes Behältnis geprüft werden. Momentan existiert noch keine Monographie für Cannabis-Blüten im Europäischen oder Deutschen Arzneibuch. Bis es soweit ist, können alternative Prüfmethoden zur Anwendung kommen, beispielsweise aus dem Deutschen Arzneimittel-Codex (DAC). Im Juni 2016 wurde die DAC-Monographie „Cannabisblüten, Cannabis flos“ (C-053) vorgestellt, die für alle Cannabis-sativa-Varietäten gilt und Eingang in das DAB 2017 finden soll. Cannabis-Blüten haben einen charakteristischen Geruch. Die DAC-Monographie umfasst eine makroskopische und mikroskopische Prüfung sowie eine Dünnschichtchromatografie (DC). Liegt ein valides Prüfzertifikat des Herstellers vor, ist die Prüfung nach den Alternativverfahren des DAC ausreichend, auf eine mikroskopische Prüfung kann dann verzichtet werden.

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Rezeptangaben. Auf dem BtM-Rezept müssen neben „Cannabis-Blüten“ vom Arzt auch explizit die betreffenden Sorten vermerkt sein. Durch den Gehalt an THC und CBD in den Cannabis-Blüten kann die Therapie gesteuert werden. So ist es möglich, dass dem Patienten verschiedene Cannabis-Sorten parallel verordnet werden. In Summe darf eine Menge von 100 g Cannabis-Blüten in 30 Tagen nicht überschritten werden. Die Höchstmenge ist unabhängig vom Gehalt einzelner Cannabinoide. Verschrieben werden können beispielsweise sowohl 100 g der Sorte Bedrocan, als auch jeweils 50 g der Sorten Bedrocan und Bedica. Übersteigt die Verordnung die zulässige Höchstmenge, so muss das Ausnahmekennzeichen „A“ auf dem Rezept vermerkt sein. Bei Nichtverfügbarkeit einer verordneten Sorte darf nicht gegen eine andere ausgetauscht werden; das BtM-Rezept muss dann an den Arzt zurückgegeben werden.


Dosierung.
Da Cannabis-Blüten im ärztlichen Praxisalltag in der Regel noch Neuland sein dürften, die Therapie zudem komplex ist und es keine verbindlichen Dosierungen gibt, wird vermutlich „Anwendung gemäß schriftlicher Anweisung“ auf dem ersten Rezept vermerkt sein. Üblicherweise werden wohl 5-g-Dosen verschrieben, es könnte aber auch vorkommen, dass vom Arzt Einzeldosen gewünscht sind, zum Beispiel 10-mal 1 g. In diesem Fall müsste die Apotheke die Mengen abwiegen, portionieren und in spezielle Behältnisse abfüllen. Grundsätzlich ist die richtige Dosis für eine Dauertherapie langsam zu titrieren. Je nach THC-Gehalt wird eine Anfangsdosis von 25 bis 50 mg Cannabis-Blüten empfohlen und maximal 100 mg Cannabis-Blüten mit geringem THC-Gehalt pro Tag. Die Dosis kann alle ein bis drei Tage um etwa 2,5 bis 5 mg THC (entspricht je nach Sorte ca. 25 bis 100 mg Cannabis-Blüten) gesteigert werden. Bei Folgerezepten wird die Dosierung auf dem Rezept angegeben (z. B. „1 × täglich 1 g mittels Verdampfer inhalieren“).

Indikationen. Die Frage, bei welcher Indikation welche Cannabis-Sorte am wirksamsten ist, kann auf Basis des derzeitigen Kenntnisstands nicht beurteilt werden. Bei Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust sollten reines THC (Dronabinol) bzw. Nabilon oder THC-reiche Cannabis-Blüten zum Einsatz kommen, da CBD einer Steigerung des Appetits entgegenwirkt. Dafür wirkt CBD additiv zu THC in Bezug auf Entzündungshemmung und Anxiolyse. Bei seltenen kindlichen Epilepsien erwies sich auch reines CBD als wirksam.

Anwendung. Cannabis-Blüten können inhaliert oder oral aufgenommen werden. Voraussetzung zum Erzielen einer Wirkung ist, dass die inaktiven Säuren von THC und CBD durch Wärme decarboxyliert und damit in den aktiven Zustand überführt werden. Bei der Inhalation kommt es zu einem sehr raschen Anfluten und einem ebenso schnellen Absinken im Blut; die maximale Plasmakonzentration wird nach drei bis zehn Minuten erreicht. Empfohlen wird die Verwendung eines Vaporisators, bei dem eine bestimmte Menge Cannabis-Blüten kontrolliert auf 180 bis 210 °C erhitzt wird (siehe Kasten). Alternativ zum Vaporisator können Ärzte auf einer schriftlichen Gebrauchsanweisung vorgeben, dass die Cannabis-Blüten für eine Stunde im Backofen auf 110 bis 120 °C erhitzt werden sollen. Nach peroraler Applikation ist die Aufnahme langsam und individuell sehr unterschiedlich; maximale Plasmaspiegel treten nach ein bis sechs Stunden auf. Die Zubereitung als Tee ist keine sinnvolle Option, da Cannabinoide nicht wasserlöslich sind. Diesem Umstand könnte man durch Zugabe von einem Schuss Sahne begegnen. Erwartet werden die von der DAC/NRF-Kommission angekündigten Rezepturvorschriften: abgeteilte Cannabis-Blüten zur Inhalation mit Verdampfer und zur peroralen Gabe sowie Cannabis-Extrakte zur Inhalation mit Verdampfer und zur peroralen Gabe. (Anm. der Red.: Bis Druckschluss lagen uns keine weiteren Informationen vor.)

Kontrolliert verdampfen

Fotos: Storz & Bickel GmbH

Zur inhalativen Anwendung von Cannabis-Blüten stehen spezielle Verdampfer zur Verfügung, mit denen eine bestimmte Menge Droge kontrolliert erhitzt wird und die Cannabinoide in ihre aktiven Formen überführt werden können. Die systemische Bioverfügbarkeit liegt bei etwa 10 bis 40% und damit wesentlich höher als unter oraler Anwendung, bei der noch der First-Pass-Effekt berücksichtigt werden muss. Für die inhalative Anwendung von Cannabis-Blüten sind in Deutschland momentan zwei zertifizierte Medizinprodukte zugelassen: das stationär zu verwendende Gerät Volcano Medic (a) und der transportable Vaporisator Mighty Medic (b). Die zerkleinerten oder granulierten Cannabis-Blüten werden in Dosierkapseln vor­gefüllt, im Magazin gelagert und vor der Anwendung in die Füllkammer eingesetzt. Zur Anwendung werden die Blüten auf ca. 180 °C erhitzt. Beim Volcano Medic wird der Dampf in einem 12,5 l großen Ballon aufgefangen. Wenn dieser vollständig gefüllt ist, wird er abgenommen und ein Mundstück zur Inhalation aufgesetzt. Bei diesem Vaporisator ist unter Verwendung von Tropfenkissen auch die Verdampfung von in Alkohol gelöstem Dronabinol oder alkoholischem Cannabis-Extrakt möglich.

Taxation. Zur Abrechnung von Cannabis-Blüten gelten grundsätzlich die Regeln der Arzneimittelpreisverordnung. Solange kein Preis in der Hilfstaxe gelistet ist, wird anhand des mengenanteiligen Einkaufspreises mit einem Festzuschlag von 100% taxiert sowie Gefäß plus ggf. Arbeitsaufwand für das Portionieren berechnet und die Umsatzsteuer von 19% plus die BtM-Gebühr von 0,26 Euro erhoben.

Rezepturen mit Dronabinol

Wird Dronabinol als Reinsubstanz verschrieben, so beziehen sich die Ärzte im Regelfall auf die beiden NRF-Rezepturen, die in der Apotheke angefertigt werden können. Dronabinol kann oral angewendet werden in Form von Kapseln in den Stärken 2,5 mg, 5 mg und 10 mg (NRF 22.7) und öligen Tropfen in einer Konzentration von 25 mg/ml (NRF 22.8). Die Rezeptursubstanz kann bei den Firmen THC Pharm GmbH in Frankfurt/M, Bionorica Ethics GmbH in Neumarkt in der Oberpfalz sowie Fagron GmbH in Barsbüttel bestellt werden. Die Hersteller bieten zu ihren Dronabinol-Wirkstoffsets auch Herstellsets an mit allen für die Herstellung nötigen Substanzen und Gefäßen.

Prüfung. Zur Identitätsprüfung von Dronabinol schreibt die DAC-Monographie (D-100) als erste Möglichkeit die IR-Spek­troskopie (2.2.24) vor, als zweite Möglichkeit eine DC (bandförmig) in Kombination mit einem nasschemischen Nachweis. Der DAC gibt als Alternativverfahren die DC an, wobei hier die Auftragung der Lösungen punktförmig erfolgt. Eine vierte Option ist ein immunchromatografischer Schnelltest zum Nachweis von Dronabinol, der vom Hersteller geliefert wird (z. B. Bionorica Ethics, Fagron oder THC Pharm).

Dosierung. Zur Dosisfindung wird mit ein- bis zweimal täglich 2,5 mg Dronabinol begonnen und die Dosis vorsichtig innerhalb von vier Wochen alle ein bis zwei Tage um eine Einheit (2,5 mg Dronabinol) bis zum Erreichen der gewünschten Wirkung oder dem Eintritt von Nebenwirkungen gesteigert. Beim Auftreten von Nebenwirkungen wird die Dosis um eine Einheit reduziert. Zur Appetitsteigerung beträgt die Einstiegsdosis 5 mg Dronabinol pro Tag. Als Antiemetikum im Rahmen einer Chemotherapie sind Tages­dosen von 20 mg üblich.

Foto: Bionorica Ethics GmbH

Anwendung. Ölige Dronabinol-Tropfen dürfen keinesfalls inhalativ angewendet werden. Sie sollten zur oralen Einnahme nicht mit Wasser verdünnt werden, sondern entweder direkt auf einem Löffel oder auf ein Stück Brot, einen Keks oder Würfelzucker getropft eingenommen werden. Tropfen und Kapseln sollten immer unter gleichen Bedingungen, also entweder vor, zum oder nach dem Essen und zur gleichen Tageszeit angewendet werden.

Lagerung. Fertig zubereitete Lösungen werden nicht im Kühlschrank, sondern bei Raumtemperatur (unter 25 °C) an einem dunklen Platz aufbewahrt.

Taxation. Zum Taxieren von Dronabinol-Tropfen wird zu den Kosten der eingesetzten Rezeptursubstanzmengen bzw. des Rezeptursets ein 90%iger Aufschlag addiert. Fünf Euro werden für das Anfertigen von Lösungen unter Anwendung von Wärme bis 300 Gramm berechnet. Auf den Gesamtbetrag werden 19% Umsatzsteuer erhoben plus die BtM-Rezeptgebühr von 0,26 Euro. Bei Dronabinol-Kapseln beträgt der Rezepturzuschlag statt fünf Euro für das Füllen von Kapseln bis zur Grundmenge von zwölf Stück sieben Euro. Für jede über die Grundmenge hinausgehende kleinere bis gleich große Menge erhöht sich der Rezepturzuschlag laut Arzneimittelpreisverordnung um jeweils 3,50 Euro.

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle die ölige Cannabidiol-Lösung 50 mg/ml (NRF 22.10) erwähnt, die nicht unter das BtM-Recht fällt und unter anderem beim Lennox-Gastaut-Syndrom Anwendung findet.

Fertigarzneimittel

Die Verordnung eines Fertigarzneimittels auf Cannabis-Basis ist seit 2011 gängige Praxis und stellt bislang die einfachste Form einer BtM-Verschreibung von Cannabis als Medizin dar. Auf dem Rezept muss das Präparat namentlich genannt werden und eindeutig bestimmt sein, welche Menge pro abgeteilter Form enthalten ist. Bis vor Kurzem war Sativex® das einzige in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel auf Cannabis-Basis. Im Januar 2017 kam das Nabilon-haltige Canemes® hinzu, das bisher unter dem Namen Cesamet® als Importarzneimittel aus den USA und Groß­britannien bezogen werden konnte.

Das Mundspray Sativex® enthält den standardisierten Extrakt Nabiximols und ist zugelassen zur Symptomverbesserung bei Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von multipler Sklerose (MS). Um die optimale Dosis zu erreichen, ist eine Titrationsphase nötig. Pro Sprühstoß nimmt der Patient 2,7 mg THC und 2,5 mg CBD als Einzeldosis zu sich. Begonnen wird mit einer Dosis am Abend (zwischen 16 Uhr und Bettruhe). Der Patient kann die Dosis schrittweise um einen Sprühstoß pro Tag erhöhen auf höchstens zwölf Sprühstöße täglich, bis eine optimale Linderung der Symptome erreicht ist. Zwischen den Sprühstößen sollten Abstände von mindestens 15 Minuten liegen. Der Patient sollte darüber informiert werden, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis die optimale Dosierung gefunden wird und dass während dieser Zeit Nebenwirkungen auftreten können, am häufigsten Schwindelgefühle und Müdigkeit. Sativex® wird gekühlt (2 bis 8 °C) geliefert, nach Anbruch kann das Spray aber bei Raumtemperatur (< 25 °C) aufbewahrt werden.

Canemes® enthält den Wirkstoff Nabilon als ein vollsynthetisch hergestelltes Derivat von Delta-9-Tetrahydrocannabinol und ist indiziert zur ­Behandlung von Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit einer Chemotherapie bei Erwachsenen, die auf andere antiemetische Behandlungen nicht adäquat ansprechen. Die übliche Dosierung sind ein bis zwei Kapseln (1,0 bzw. 2,0 mg Nabilon) täglich. Um Nebenwirkungen zu minimieren, wird empfohlen, mit 1 mg zu beginnen und die Dosis bei Bedarf zu steigern. Die erste Einnahme sollte am Abend vor Beginn der Chemotherapie erfolgen, die zweite ein bis drei Stunden vor Gabe der ersten Dosis im Rahmen der Chemotherapie. Eine maximale Dosierung von 6 mg in drei Einzeldosen sollte nicht überschritten werden. Canemes® kann über den vollständigen Chemotherapie-Zyklus verabreicht werden und darüber hinaus für 48 Stunden nach Beendigung der Chemotherapie.

Herausforderungen ergeben sich, wenn die Fertigarzneimittel off label verordnet werden und die Kostenerstattung durch die Krankenkasse gefährdet ist. Im neuen Gesetz ist jedoch ausdrücklich festgehalten, dass Versicherte, die mit den zugelassenen Fertigarzneimitteln behandelt werden, in denselben begrenzten Ausnahmefällen wie bei Verordnung von Blüten und Rezepturen einen Anspruch auf die Versorgung bzw. Erstattung haben.

Zudem kann es vorkommen, dass im Ausland zugelassene Präparate verordnet werden, die als Einzelimporte nach Deutschland eingeführt werden können. Das in den USA zugelassene Marinol® wird eingesetzt zur Behandlung von Übelkeit während einer Chemotherapie sowie bei Appetitlosigkeit kachektischer HIV-Patienten. Bevor ein Einzelimport auf Grundlage eines Kassen- oder Privatrezepts stattfinden kann, muss die Apotheke prüfen, ob es sich bei der Verordnung um ein zugelassenes Fertigarzneimittel handelt und der Import damit rechtlich zulässig ist. Portionierte Cannabis-Blüten fallen nicht hierunter. Es wird empfohlen, vorab die Genehmigung der Krankenkasse einzuholen. Eine Vorratshaltung ausländischer Arzneimittel ist in Deutschland nicht erlaubt.

Extrakt von Cannabis-Blüten

Ein Cannabis-Voll­extrakt soll ab Juni 2017 offizieller Bestandteil des Sortiments der Firma Bionorica Ethics werden. Es handelt sich dabei um einen Blütenextrakt zur oralen Anwendung, der auf einen Gehalt von 5% THC eingestellt und unter anderem in Abfüllungen von 10 g ausgeliefert wird.

Prüfung. Der DAC enthält dazu noch keine Prüfvorschrift. Der Lieferung des Extrakts wird jedoch neben einem Analysenzertifikat auch ein Nachweisset zur Identitätsprüfung von THC beiliegen, der behördlich akzeptiert wird.

Anwendung und Dosierung. Es gilt eine Verschreibungshöchstmenge von 1000 mg Extrakt innerhalb von 30 Tagen. Um die ärztlich verordnete Konzentration einzustellen, wird der Ausgangsextrakt mit Miglyol, einem Gemisch mittelkettiger Triglyceride, verdünnt. Eine Konzentration von 2,5% THC entspricht etwa der NRF-Rezepturvorschrift für ölige Dronabinol-Tropfen. Aufgabe der Apotheke ist es, den eingestellten Extrakt in mit eine mit Tropfer versehene Flasche abzufüllen und zu bestimmen, welche Anzahl Tropfen der ärztlichen Vorgabe entsprechen. Alternativ kann das Arzneimittel in einem Gefäß mit Dosierpumpe abgegeben werden. Ein Herstellset kann die Zubereitung der Arzneiform vereinfachen. Die gewünschte THC-Einzeldosis wird entweder als Milligramm-Angabe oder Anzahl Tropfen bzw. Hübe vorgegeben. Bei der Eindosierung des Cannabis-Vollextrakts kann sich der Therapeut an den Empfehlungen zu reinem Dronabinol und den zugelassenen THC-haltigen Fertigarzneimitteln orientieren. Eine verbindliche Vorgabe zur Dosierung gibt es derzeit noch nicht. In der Regel wird mit einer Einzeldosis von 2,5 mg Dronabinol täglich begonnen, vorzugsweise morgens. Sinnvoll ist es, die Tropfen zur Einnahme direkt auf einen Löffel zu geben. Alternativ können sie auf einem Stück Brot, einem Butterkeks oder auf einem Stück Zucker eingenommen werden. Auf keinen Fall dürfen die Tropfen inhaliert werden.

Lagerung. Der Extrakt soll bei Raumtemperatur (unter 25 °C) an einem dunklen Platz aufbewahrt werden.

Taxation. Abgerechnet wird die anteilig verwendete Menge Blütenextrakt und der Preis des Rezeptursets plus 90%iger Aufschlag sowie ein Rezepturzuschlag von 2,50 Euro für das Herstellen einer Lösung ohne Anwendung von Wärme. Auf die Gesamtsumme wird die Mehrwertsteuer und die BtM-Gebühr von 0,26 Euro berechnet.

Allgemeine Beratung

Nebenwirkungen. Bei der medizinischen Anwendung von Cannabis muss der Patient auf folgende Nebenwirkungen gefasst sein: Müdigkeit, Schwindelgefühl, Tachykardie, Blutdruckabfall, Mundtrockenheit, Muskelentspannung, verstärkter Appetit und psychotrope Wirkungen. Bei regelmäßiger Einnahme tritt meist eine Gewöhnung ein und mit ihr eine allgemein gute Verträglichkeit der Therapie.

Kontraindikationen. Persönlichkeitsstörungen, psychotische Erkrankungen, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schwangerschaft und Stillzeit sind Kontraindikationen.

Wechselwirkungen. Da sowohl THC als auch CBD über das hepatische Cytochrom-P450-System (CYP450) verstoffwechselt werden, sind Wechselwirkungen möglich. In der Fachinformation von Sativex® wird vor Interaktionen mit starken CYP-Inhibitoren wie Itraconazol, Ritonavir oder Clarithromycin und CYP-Induktoren wie Rifampicin, Carbamazepin und Phenytoin gewarnt. Dronabinol kann die kardiovaskulären Effekte von Sympathomimetika und Anticholinergika, wie Tachykardie oder Blutdruckanstieg, verstärken. Dronabinol hat eine hohe Bindung an Plasmaproteine und kann daher andere Arzneistoffe aus ihrer Proteinbindung verdrängen. Pharmakodynamisch können die sedierenden Wirkungen von Benzodiazepinen und Hypnotika in Komedikation mit Cannabinoiden verstärkt werden. In Kombination mit Spasmolytika kann eine verstärkte muskelrelaxierende Wirkung resultieren.

Toxizität. Im Rahmen einer Studie mit dem Fertigarzneimittel Sativex® wurden bei Überdosierung akute intoxikationsartige Reaktionen einschließlich Schwindelgefühl, Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Paranoia, Tachykardie oder Bradykardie mit Hypotonie beobachtet. Ebenso traten Fälle von toxischer Psychose auf, die aber nach Beendigung der Behandlung reversibel waren.

Therapieende. Zum Absetzen von Cannabis im medizinischen Gebrauch gibt es nur wenig Erfahrung. In der DAC-Monographie zu Dronabinol wird darauf hingewiesen, dass ein chronischer Gebrauch, vor allem bei sehr hoher Dosierung, in seltenen Fällen eine Abhängigkeit hervorrufen kann. Ein plötzlicher Abbruch der Behandlung kann ein Entzugssyndrom mit Gereiztheit, Schlafstörungen und Unruhe auslösen, das bis zu 48 Stunden anhalten kann. Die Entzugssymptome werden deutlich geringer eingeschätzt als bei Beendigung einer Therapie mit Benzodiazepinen oder Opiaten.

Fahrtüchtigkeit. Bei Erstverordnung ist es unbedingt nötig, den Patienten darauf hinzuweisen, während der Titrationsphase kein Fahrzeug zu führen. Später ist das Fahren aus rechtlicher Sicht grundsätzlich zulässig. Hier gilt es allerdings noch zu klären, wie im Rahmen einer Verkehrskon­trolle zwischen medizinischem und nicht-medizinischem Cannabis-Konsum unterschieden werden kann.

Reisen. Nach einer Änderung der Betäubungsmittel-Außenhandelsverordnung im Zuge des neuen Gesetzes ist Reisen mit Cannabis-Blüten oder -Extrakten theoretisch ohne Erlaubnis möglich. Voraussetzung ist das Mitführen des EU-weit gültigen Schengen-Formulars gemäß Artikel 75 des Durchführungs-Abkommens, das von der im jeweiligen Bundesland zuständigen Stelle beglaubigt werden muss. Auch die Bundesopiumstelle stellt ein derartiges Formular zur Verfügung. Was der Patient selbst bei einer Botschaft oder einem Konsulat in Erfahrung bringen muss, sind die Voraussetzungen, um mit Medizinalhanf in das Zielland einreisen zu dürfen. |

Noch Fragen?

Pünktlich zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes kommt „Cannabis: Arbeitshilfe für die Apotheke“ in den Handel, das Apotheker und Apothekerinnen mit sachlichen und übersichtlichen Informationen zu den wichtigsten Themen rund um Cannabis auf Rezept versorgt. In einem kurzen Abriss wird die historische Anwendung von Cannabis beschrieben und der Weg des Gesetzes und seine Auswirkungen auf andere Regelwerke erläutert. Wissenswertes zur Botanik von Cannabis, zur Toxizität, bestehenden Monografien, Rezepturvorschriften und Fertigarzneimitteln ist ebenso enthalten wie Angaben zu Beschaffung, Lagerung und Prüfung von Cannabis-Blüten und die Art der Anwendung der verschiedenen Medikamente. An Beispielen wird erläutert, wie korrekte BtM-Rezepte für Cannabis-Blüten, -Extrakte, Fertig- oder Rezepturarzneimittel aussehen müssen und was bei deren Belieferung zu beachten ist. Der Ratgeber bietet weiterführende Informationen zu Wechselwirkungen, Nebenwirkungen und Indikationen, zusammengetragen von ausgewiesenen Experten für Betäubungsmittel und cannabisbasierte Arzneimittel. Profitieren Sie von diesem Wissen!

Klaus Häußermann, Franjo Grotenhermen, Eva Milz

Cannabis: Arbeitshilfe für die Apotheke

2017. IX, 60 S., 13 farb. Abb., 12 farb. Tab., kartoniert;
1. Auflage; 19,80 Euro. ISBN 978-3-7692-6819-5.
Deutscher Apotheker Verlag

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oder unter www.deutscher-apotheker-verlag.de

Quelle

Häußermann K, Grotenhermen F, Milz E. Cannabis – Arbeitshilfe für die Apotheke, 1. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart, 2017

DAC-Monographie Dronabinol (D-100), Stand DAC 2013-2

DAC-Monographie Cannabisblüten (C-053), Stand DAC 2016-1


Autorin

Rika Rausch, Apothekerin und DAZ-Redakteurin

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