Gesundheitspolitik

Nicht irgendein Arzt

Rücksprache mit behandelndem Arzt zwingend

BERLIN (jz) | Wenn die Anwendung eines verschreibungspflichtigen Medikaments keinen Aufschub erlaubt, darf der Apotheker es nach Rücksprache mit dem Arzt ausnahmsweise ohne ein vorliegendes Rezept abgeben. Allerdings nur, wenn es sich dabei um den behandelnden Arzt handelt, entschied der Bundes­gerichtshof (BGH) bereits am 8. Januar (Az. I ZR 123/13) – die Zustimmung irgendeines Arztes, der den Patienten gar nicht kennt, reiche nicht aus. Jetzt liegen die Urteilsgründe vor.

Auslöser für die Entscheidung war ein Streit zweier Apotheker im baden-württembergischen Aulendorf: Matthias Stadler, Inhaber der Schloss-Apotheke, hatte beobachtet, dass eine Mitbewerberin eine „Notfallregelung“ pflegte. Ein Beispiel entfachte dann den Rechtsstreit: An einem Samstag im Februar 2011 lehnte seine Mitarbeiterin es ab, einer Stammkundin ihren seit Jahren verordneten Blutdrucksenker ohne Rezept auszuhändigen. Stattdessen verwies sie auf den rund 15 Kilometer entfernten ärztlichen Notdienst. Die Kundin bekam jedoch in der nahe­gelegenen Apotheke von Gisela Möhringer eine 100er-Packung Tri Normin 25, nachdem Möhringer Rücksprache mit einer befreundeten Ärztin gehalten hatte, die die Abgabe für unbedenklich erklärte.

Stadler mahnte Möhringer daraufhin ab und nahm sie auf Unterlassung in Anspruch. Man stritt bis zum BGH, der Stadler Recht gab: Verstöße gegen die in § 48 AMG geregelte Verschreibungspflicht seien grundsätzlich als unlauter anzusehen. Ob ein solcher Verstoß für andere Marktteilnehmer spürbar sei (§ 3 Abs. 1 UWG), spiele dabei keine Rolle. Denn für einzelfallbezogene Abwägungen sei angesichts des hohen Schutzguts der menschlichen Gesundheit sowie der großen Gefahr, die mit einer Fehlmedikation verschreibungspflichtiger Medikamente verbunden sei, kein Raum.

Fazit: Durch die Abgabe ohne Rezept verstieß Möhringer gegen § 48 AMG. Zwar ist es der verschreibenden Person nach § 4 Abs. 1 AMVV ausnahmsweise erlaubt, den Apotheker über die Verschreibung und deren Inhalt zu unterrichten, wenn die Anwendung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels keinen Aufschub erlaubt. Das Rezept muss dann unverzüglich nachgereicht werden. Allerdings setze dies „eine eigene Therapieentscheidung des behandelnden Arztes auf der Grundlage einer vorherigen, regelgerechten eigenen Diagnose voraus“, heißt es im Urteil. An dieser fehle es aber bei der Zustimmung eines Arztes, der „den Patienten nicht kennt und deshalb zuvor nicht untersucht hat und nicht behandelnder Arzt des Patienten ist“.

Auch einen rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB analog) hielten die Richter nicht für gegeben. Droht eine erhebliche, akute Gesundheitsgefährdung des Patienten, kann dieser in Betracht kommen, auch wenn die Voraussetzungen des §§ 4 Abs. 1 AMVV nicht erfüllt sind – etwa wenn der behandelnde Arzt nicht erreicht werden kann. Doch Möhringer habe nicht dargelegt, dass der Gesundheitszustand der Patientin keinen Aufschub mehr erlaubt hätte. Eine Kontrolle mit anschließender Verschreibung durch den ärztlichen Notdienst hätte durchaus abgewartet werden können. |

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