Arzneimittel und Therapie

Außer Vertrieb und wieder eingeführt

Nutzenbewertung neuer Antidiabetika führt zu Turbulenzen

du | Gliflozine, Gliptine, GLP-1-Rezeptoragonisten, das alles sind neue Substanzgruppen, die die bestehenden Therapieoptionen bei Typ-2-Diabetes erweitern sollten. Hersteller kämpfen um die Anerkennung eines Zusatznutzens durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Doch in der Regel endet die Nutzenbewertung mit dem Resultat „kein Zusatznutzen“.

Ohne die Attestierung eines Zusatznutzens lässt sich für die Hersteller nur ein GKV-Erstattungspreis auf Festbetrags- bzw. Generikaniveau erzielen. Da mag manch einer nicht mitspielen und stellt die Vermarktung in Deutschland lieber ganz ein.

Vildagliptin außer Vertrieb

So hat ganz aktuell Novartis den Vertrieb des DPP4-Inhibitors Vildagliptin (Galvus®) und Vildagliptin plus Metformin (Eucreas®) zum 1. Juni 2014 eingestellt. Im Markt befindliche Packungen können zwar noch abverkauft werden und werden in dieser Zeit noch von der GKV erstattet. Aber die Bestände sollen nur noch für etwa zwei Monate reichen. In dieser Zeit müssen die Patienten umgestellt werden.

Dapagliflozin wieder im Markt

Auch der Vertrieb von Dapagliflozin (Forxiga®) war Mitte Dezember 2013 eingestellt worden, weil man sich nach dem Nutzenbewertungsverfahren auf keinen Erstattungsbetrag einigen konnte. Doch rechtzeitig bevor die Patienten umgestellt waren, einigte sich AstraZeneca mit dem GKV-Spitzenverband und verkündete Ende Februar die Rückkehr von Forxiga® auf den deutschen Markt.

Lixisenatid bleibt außer Vertrieb

Während also Forxiga® nur vorübergehend aus dem Verkehr gezogen worden ist, bleibt Sanofi im Falle des GLP-1-Rezeptoragonisten Lixisenatid (Lyxumia®) hart. Dem IQWiG fehlte der Beleg für einen Zusatznutzen von Lixisenatid in Kombination mit Metformin und/oder einem Sulfonylharnstoff sowie in Kombination mit einem Basalinsulin. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) folgte der Bewertung. Sanofi hatte daraufhin den Vertrieb von Lyxumia® in Deutschland zum 1. April 2014 eingestellt. Zwischenzeitlich hat die im Ringen um den Erstattungspreis angerufene Schiedsstelle einen Betrag festgelegt, den Sanofi nicht akzeptieren will. Der Vertrieb von Lyxumia® wird nicht wieder aufgenommen.

Und das Kräftemessen geht weiter. Im Juni verkündete das IQWiG, dass es auch keinen Zusatznutzen für Dapagliflozin plus Metformin (Xigduo®) sehen kann. Jetzt ist der G-BA am Zug, genauso wie im Fall eines weiteren SGLT2-Inhibitors, dem Canagliflozin (Invokana®) von Janssen, dem das IQWiG ebenfalls keinen Zusatznutzen bescheinigt hat.

IQWiG sieht keine Belege

Schaut man sich die Begründungen des IQWiG an, so wird ein Zusatznutzen der neuen Antidiabetika entweder deshalb nicht gesehen, weil geeignete Daten (z.B. Lixisenatid oder Canagliflozin) generell fehlen oder vorhandene Daten keinen Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie erkennen lassen (z.B. Dapagliflozin plus Metformin).

DDG sieht Patientennutzen

Mit entsprechender Regelmäßigkeit kommt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) in ihren Stellungnahmen zu einer völlig anderen Einschätzung. Sie stellt den Patientennutzen in den Vordergrund und betont, dass gerade die nicht hypoglykämisierenden Antidiabetika (SGLT2-Inhibitoren, DPP-4-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptoragonisten) im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen wesentlich seltener zu schweren potenziell lebensbedrohlichen Hypoglykämien führen (s. Kasten). Zudem verweist die Fachgesellschaft darauf, dass sich mit diesen Antidiabetika eine Gewichtszunahme vermeiden lässt. Solche für den Patienten wichtige Vorteile werden vom IQWiG nicht als Zusatznutzen anerkannt. Nachfragen hierzu wollte das IQWiG mit Verweis auf laufende Verfahren nicht beantworten.

„Ein besseres Sicherheitsprofil“

Die Liste der Stellungnahmen zur Nutzenbewertung neuer Antidiabetika durch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) wird immer länger. Im Gespräch mit der DAZ erläutern Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz (Vizepräsident der DDG) und Prof. Dr. med. Dirk Müller-Wieland (Mediensprecher der DDG), warum die DDG immer wieder dem IQWiG nicht folgen kann.

Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz, Vizepräsident der DDG

DAZ: Herr Professor Gallwitz, Herr Prof. Müller-Wieland, verfolgt man die Bewertungen neuer Antidiabetika durch das IQWiG und die Reaktionen der DDG, so stellt man fest, dass die DDG grundsätzlich von einem Zusatznutzen der neuen Therapien überzeugt ist, das IQWiG ihn entweder nicht sieht oder nicht bestätigen kann. Was sind die Gründe für die unterschiedliche Einschätzung?

Gallwitz, Müller-Wieland: Die DDG sieht wie die Zulassungsbehörden EMA, FDA und BfArM den medizinischen und wissenschaftlichen Wert der neuen Substanzen. Die DDG berücksichtigt bei der Beurteilung alle zur Verfügung stehenden Kenntnisse. Das IQWiG berücksichtigt vor allem die Fachinformationen und kommt daher zu anderen Schlussfolgerungen. Die neuen Substanzen haben in aller Regel ein besseres Sicherheitsprofil, gerade in Bezug auf Hypoglykämien.

DAZ: Die DDG hat sich zusammen mit anderen Fachgesellschaften schon vor einiger Zeit hinsichtlich des Methodenpapiers des IQWiG positioniert und Forderungen gestellt. Jetzt ist eine Neufassung des Papiers veröffentlicht worden. Wurden Ihre Forderungen berücksichtigt?

Gallwitz, Müller-Wieland: Die Kernforderungen waren:

  • Die Einbindung der Fachgesellschaften bei der Festlegung der Vergleichssubstanz, der Formulierung der Fragestellung sowie der Festlegung und Bewertung des Zusatznutzens,
  • die Beteiligung bei der Einbindung von externen Gutachtern und
  • eine Begründung des IQWiG, wenn die Beurteilung des IQWiG zu Abweichungen von leitliniengerechtem Vorgehen im Alltag führt.

Die Forderungen sind leider nicht in die Neufassung eingeflossen.

Prof. Dr. med. Dirk Müller-Wieland, Mediensprecher der DDG

DAZ: Kein Zusatznutzen bedeutet für die Hersteller, dass als Basis für den Erstattungsbetrag die Vergleichstherapie dient. Nicht jeder Hersteller will einen Preis auf Generika-Niveau akzeptieren. Reagiert wird wie jüngst im Falle von Vildagliptin mit der Einstellung des Vertriebs. Was bedeutet das für Ärzte und Patienten?

Gallwitz, Müller-Wieland: Die Ärzte sind grundsätzlich durch das AMNOG-Verfahren noch verunsichert. Grundsätzlich kann es dazu kommen, dass Patienten neue Medikamente nicht erhalten.

DAZ: Sie sehen ein geringeres Hypoglykämierisiko unter neuen Antidiabetika. Wenn dem so ist, müssten sich Krankenhauseinweisungen als Folge von Hypoglykämien reduzieren lassen. Das würde Kosten sparen. Kann man solche Kosten konkretisieren?

Gallwitz, Müller-Wieland: Die Daten lassen sich natürlich schwer kalkulieren, es gibt jedoch Modellrechnungen, dass gerade bei Typ-2-Diabetes die stationären Behandlungskosten durch Hypoglykämien ca. das 5-fache der Behandlungskosten für Hypoglykämien bei Typ-1-Diabetes verursachen (u.a. durch Sturzereignisse sowie kardiovaskuläre und neurologische Komplikationen). Die Kosten betragen pro Jahr ca. $ 40.000,- pro 100 000 Einwohner (Holstein A et al., Diabetes Care 2002).

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!

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